Luxemburg-Leaks:Ärger im Steuer-Märchenland

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Blick auf die Stadt Luxemburg: Hier residieren viele internationale Konzerne

(Foto: Imago Stock&People)

Die Luxemburger Behörden sind wohlwollend. Und eine ganze Heerschar findiger Berater steht bereit, um die Abgabenlast für Konzerne durch umstrittene Steuermodelle kleinzurechnen - nicht selten auf weniger als ein Prozent.

Von Bastian Brinkmann, Christoph Giesen, Frederik Obermaier, Bastian Obermayer und Klaus Ott

Der Mann mit dem Spitznamen "Mr. Ruling" ist jemand, den man kennt im Großherzogtum, in der Politik genauso wie in der Beraterbranche. Unter seinem echten Namen Marius Kohl war der 61-Jährige bis zu seiner Pensionierung im vergangenen Jahr Leiter der Steuerabteilung "Sociétés 6". Auf seinem Schreibtisch landeten die Fälle der großen multinationalen Firmen, die geheime Abmachungen mit Luxemburg erbaten - sogenannte tax rulings, daher der Spitzname. Mit diesen individuellen "rulings" genehmigte Luxemburg den globalen Konzernen zum Teil absurde Steuervermeidungskonstruktionen mit Steuersätzen von bisweilen weniger als einem Prozent.

Marius Kohl hatte ein großes Eckbüro in einem vierstöckigen, rostfarbenen Gebäude in Bahnhofsnähe. Unter seinem Fenster eine Kreuzung zweier schmaler Einbahnstraßen, durch die sich allerlei Lieferverkehr zwängt, und so riecht es auch. Hier empfing er die Steuerexperten der Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers (PwC), das belegen Hunderte geheime Steuerdokumente, die dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) übergeben wurden.

Die Berater von PwC stellten Marius Kohl im Namen ihrer Kunden - darunter Konzernen wie Ikea, Pepsi, Eon oder Deutsche Bank - die Pläne der Firmen vor, in der Hoffnung, auf offene Ohren zu stoßen. Kaum einer wurde enttäuscht, nach spätestens ein bis zwei persönlichen Treffen wurde ein schriftlicher Antrag eingereicht, den Marius Kohl oft noch am selben Tag positiv beschied. Es mögen Tausende Anträge gewesen sein, die Marius Kohl in den 22 Jahren seiner Amtszeit bearbeitet hat, und an manchen Tagen genehmigte Kohl die Anträge fast seriell, bis zu 54 an einem Tag.

Der Steuerschaden, den allein diese "rulings" in den europäischen Nachbarstaaten angerichtet haben, ist gigantisch. Das durch die Dokumente der Luxemburg- Leaks erstmals zu besichtigende Ausmaß der Kooperation - oder soll man sagen: Kumpanei? - zwischen den Luxemburger Behörden, verkörpert durch Marius Kohl, und den globalen Großkonzernen ist erstaunlich. Die Enthüllung der geheimen Steuerdeals kommt vor allem für einen Mann zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Jean-Claude Juncker.

Der Mann, der als Co-Architekt des Luxemburger Systems gelten kann, ist gerade in seiner ersten Woche als EU-Kommissionschef. Und er hat sowieso schon eine lästige Ermittlung der EU gegen Luxemburg am Hals, bei der geprüft wird, ob die steuerliche Behandlung von Amazon und einer Fiat-Tochter unter unerlaubte staatliche Beihilfe fällt. Lästig auch deshalb, weil die Ermittler öffentlich machten, dass Luxemburg sich lange weigerte, der EU die zur Klärung notwendigen Dokumente herauszugeben.

Juncker kann sich aus seiner Verantwortung kaum wegducken: Zwanzig Jahre lang war er nicht nur Premier, sondern auch Finanzminister seines Landes. In seiner Zeit stieg das kleine Luxemburg zur internationalen Finanzgroßmacht auf: Noch 1980 war der Finanzsektor kaum existent, heute ist Luxemburg nach den USA das weltweit größte Investment-Zentrum, dort werden rund drei Billionen Euro an Vermögen verwaltet. Das ist zurückzuführen auf die äußerst günstige Steuergesetzgebung, also auf die Institutionen, als deren verlängerter Arm Marius Kohl agierte.

Wie das genau ablief, zeigen nun die ehemals streng geheimen Steuerdokumente des Leaks. Die beinahe 28 000 Seiten der vertraulichen Unterlagen wurden in einer sechsmonatigen Recherche von einem internationalen Team von mehr als 80 Journalisten aus 26 Ländern gesichtet - koordiniert vom International Consortium of Investigative Journalists. In Deutschland arbeiteten Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR an den Daten, weltweit Partner wie der britische Guardian, Le Monde aus Frankreich, Politiken aus Dänemark, CNBC aus den USA oder CBC aus Kanada.

Das ICIJ wird am Donnerstag auf www.icij.org fast 550 der geleakten Steuer-Dokumente aus den Jahren 2002 bis 2010 veröffentlichen. Und während das Luxemburger Steuergeheimnis bislang die Tricksereien der Großkonzerne schützte, kann die Öffentlichkeit nun erstmals nachvollziehen, wie sich die Konzerne aus der Verantwortung stehlen: Sie gründen Niederlassungen im Großherzogtum, obwohl sie ihre eigentlichen Geschäfte in anderen Ländern machen, und verschieben dann ihre Gewinne - zum Beispiel getarnt als Zinsen - nach Luxemburg. Dort aber werden auf die verschobenen Gelder kaum Steuern erhoben.

Warum ist Luxemburg ein "magisches Märchenland"?

"Eine Luxemburg-Struktur ist ein Weg, Einkommen der Steuer zu entziehen, egal woher es kommt", sagt Stephen E. Shay, Professor für Internationale Steuern an der amerikanischen Universität Harvard und zuvor Steuerexperte im US-Wirtschaftsministerium: "Luxemburg ist wie ein magisches Märchenland."

Das Leak wird das Land weiter in Bedrängnis bringen. Selbst hochrangige deutsche Politiker, die seit Jahren mit dem Gründungsmitglied der EU mehr Geduld zeigen als etwa mit der Schweiz, ringen inzwischen um Fassung. Wo die Luxemburger ihr Geschäftsprinzip Steuerkonkurrenz nennen, sprechen immer mehr EU-Politiker von kaum noch tolerierbarer Illoyalität. Klar: De facto profitiert das Land jedenfalls davon, die Steuerpolitik seiner Nachbarländer zu torpedieren, und schafft damit Umsätze im Luxemburger Finanzsektor.

Und wen sie alles ins Land gelockt haben! In den Unterlagen des Leaks finden sich neben den eingangs erwähnten Konzernen noch Dutzende weitere große internationale Akteure, die meisten von ihnen aus den USA: der Ketchup-Pionier Heinz, der Apple-Ableger iTunes, der Konsumgüterriese Procter & Gamble und der Tabakhersteller British American Tobacco. Ebenso die britische Modemarke Burberry oder die Besitzerfamilie des weltgrößten Bierkonzerns Stella Artois aus Belgien. Branchengrenzen sind nicht erkennbar, egal ob Investmentgesellschaften, Industriekonzerne oder Pharmafirmen, das Thema Steuern vereint sie alle auf Luxemburg.

Die Dokumente zeigen auch, dass nicht nur private Investoren die Umgebung zu nutzen wissen: Auch eine staatliche Pensionskasse Kanadas und der nationale Pensionsfonds Südkoreas gründeten Firmen im Großherzogtum, um ihre Immobiliengeschäfte steuerlich zu optimieren. Ebenso der damals staatlich kontrollierte US-Versicherungskonzern AIG. Alle drei investierten in deutsche Immobilien.

Die Steuerdokumente einzelner Firmen - etwa des britischen Pharmariesen Glaxo-Smith-Kline - waren bereits Gegenstand von Veröffentlichungen des französischen Fernsehjournalisten Édouard Perrin. Die Mehrheit der Papiere aber wird durch Luxemburg-Leaks erstmals öffentlich.

Der Dokumentenschatz besteht zumeist aus sogenannten Advance Tax Agreements von fast 350 Unternehmen, angefertigt von den Beratern von PricewaterhouseCoopers. Damit wird im Voraus die Bestätigung für eine bestimmte steuerliche Behandlung eingeholt. Bei 86 Dokumenten ist ein Bezug zu Deutschland feststellbar.

So findet man Luxemburger Firmen, die mit der Deutschen Bank verbunden sind. Die Unterlagen belegen, wie der Finanzkonzern jahrelang komplizierte Konstruktionen aufsetzte, mit deren Hilfe bei Immobiliengeschäften in halb Europa in Höhe von vielen Hundert Millionen Dollar Steuern weitgehend vermieden wurden. Zum anderen agierte die Deutsche Bank auch als Dienstleister und half etwa einem finnischen Unternehmen, Gewinne aus Geschäften in Russland nach Luxemburg umzuleiten. Dort wurden die Profite den Dokumenten zufolge kaum besteuert.

Der deutsche Energieversorger Eon leitete Milliardenbeträge von Luxemburg aus an andere Tochterunternehmen weltweit, meist als konzerninterne Darlehen. Im Gegenzug wurden Profite aus diesen Ländern als Zinsen abgeschöpft - und so offenbar die Gewinne und damit auch die Steuerlast in diesen Ländern reduziert. In Luxemburg wiederum wurden weder auf die Zinsgewinne in oft dreistelliger Millionenhöhe noch auf die Werte in Milliardenhöhe nennenswerte Steuern bezahlt.

Ähnlich operierte ein weiterer Dax-Vertreter: Fresenius Medical Care, deutscher Gesundheitskonzern mit Milliardenumsätzen. Auch Fresenius vermied durch interne Darlehen in dreistelliger Millionenhöhe, die über diverse Luxemburger Finanzierungsgesellschaften liefen, seit Jahren Steuern. Ein Sprecher von Fresenius bestätigte dies und erklärte, es sei unerlässlich, Firmenstrukturen "steuerlich möglichst optimal" zu wählen. Sprecher von Eon und Deutscher Bank betonen, beide Konzerne hätten nicht gegen Gesetze verstoßen.

Manche Gewinne müssen die Konzerne nicht einmal mit 0,1 Prozent versteuern

All die Konstruktionen lassen sich sehr genau beschreiben, da die Berater von PwC der Luxemburger Steuerbehörde detailliert darlegen, was der jeweilige Konzern plant. Und: weshalb am Ende kaum oder keine Steuern anfallen auf Einkommen aus Lizenzgebühren, Dividenden, Zinsen oder Kapitalerträge. Das US-amerikanische Kurierunternehmen FedEx etwa musste nach Luxemburg verbrachte Gewinne mit nicht einmal 0,1 Prozent versteuern. Die frühere Pepsi Bottling Group, die zum US-Getränkeriesen Pepsi-Co gehörte, hatte nach einer Reihe von konzerninternen Darlehen via Luxemburg ebenfalls eine signifikant niedrigere Steuerquote. Beide Konzerne nahmen dazu keine Stellung.

Es ist beinahe schon ein Vergnügen, beim Lesen der Papiere zuzusehen, wie die reguläre Unternehmensteuer, die in Luxemburg bei rund 29 Prozent liegt, unter den kunstvollen Handgriffen der PwC-Leute zerbröselt, bis kaum etwas übrig ist. Wohlgemerkt: legal. Es werden Schwestergesellschaften erschaffen, Schuldscheine verschoben, und Dividenden verwandeln sich über Nacht in Zinsen und sind als solche: steuerfrei. Alles für sich rechtens, und doch Interpretationssache. Aber die PwC-Leute wussten ja, dass sie bei Marius Kohl nicht gegen eine Mauer laufen würden. In einer internen Kunden-Präsentation beschreiben die PwC-Berater Luxemburg als Ort mit "flexiblen Behörden": Diese seien "leicht kontaktierbar" und mit "Bereitschaft zum Dialog". Die Verkörperung jener Behörden war Marius Kohl.

Vor einigen Wochen erklärte Kohl zwei Reportern des Wall Street Journals, wie er entschied, ob Lizenzgebühren angemessen waren, die ausländische Konzerne an ihre Luxemburger Töchter für "geistiges Eigentum" bezahlten - um die Gewinne im eigenen Land zu senken: Marius Kohl steckte einen Finger in den Mund und hielt ihn hoch. "Es gab keinen Weg, das zu verifizieren", sagte er laut den Reportern.

Um Lizenzgebühren geht es etwa bei Amazon. Der Internethändler steuert seine europäischen Geschäfte über Luxemburg. Die Dokumente zeigen, dass Amazons Europazentrale etwa im Jahr 2009 Lizenzgebühren von mehr als 519 Millionen Euro bezahlte. Diese Kosten machten die Gewinne zunichte, die der Konzern in Luxemburg hätte versteuern müssen. Zur gleichen Zeit verdiente eine andere Amazon-Tochter 519 Millionen Euro mit Lizenzgebühren - und diese Firma muss in Luxemburg keine Steuern zahlen. Amazon bestreitet, in Luxemburg eine steuerliche Sonderbehandlung zu bekommen.

Das Gesetz, das der Konstruktion Amazons zugrunde liegt, ist eine der wichtigsten Luxemburger Regelungen für Steuervermeider, nämlich die 80-prozentige Steuerbefreiung von Gewinnen aus geistigem Eigentum. Das Gesetz aus dem Jahr 2007 trägt die Unterschrift des damaligen Finanzministers Jean-Claude Juncker.

Juncker lehnte es auf wiederholte Anfrage ab, detaillierte Fragen im Zusammenhang mit Steuervermeidung via Luxemburg zu beantworten - egal ob persönlich, telefonisch oder schriftlich. So bleibt auch die Frage unbeantwortet, in welchem Ausmaß er von der freizügigen Praxis des Marius Kohl wusste. Aber nochmal: Das Wirken von "Mr. Ruling" war im Großherzogtum kein Geheimnis und seine Rolle dem Ex-Wirtschaftsminister Luxemburgs, Jeannot Krecké, ebenso geläufig wie Junckers Nachfolger als Premierminister, Xavier Bettel. Kohl selbst erklärte im Gespräch mit dem Wall Street Journal, keiner seiner Vorgesetzten im Finanzministerium habe ihn je kritisiert oder infrage gestellt. "Ich hatte nie Druck von oben", wird Kohl zitiert, "ich hatte nie Probleme mit Juncker."

Marius Kohl ließ eine Anfrage von NDR, WDR und SZ unbeantwortet. Auch PwC lehnte einen Kommentar zu einzelnen Vorgängen ab und ließ erklären, man halte sich stets an alle Gesetze. Bei den Papieren des Leaks handele es sich um "gestohlene" Informationen, "deren Diebstahl in den Händen der zuständigen Behörden" liege.

Die offizielle Sprachregelung in Luxemburg lautet derweil: Die Steuerregelungen Luxemburgs seien "europarechtlich einwandfrei". Man wird sehen, was die EU-Untersuchung gegen Luxemburg ergibt.

Fest steht: Es gab noch nie eine derart große Einigkeit großer europäischer Staaten, gegen Steuerdumping vorzugehen. Und die EU hat bereits gehandelt und ein Steuerschlupfloch geschlossen. Früher konnten Tochtergesellschaften im Ausland Dividenden an ihre Konzernmütter schicken und von der Steuer absetzen. Die Muttergesellschaft jedoch musste diese Gewinne nicht versteuern. Das war ein bislang vollkommen legaler Weg, Profite an der Steuer vorbeizuschleusen.

Aber dieser sogenannte Mutter-Tochter-Trick war nur ein Baustein des Steuer-Wunderlands Luxemburg. Das Land hat längst neue Wege gefunden, Vermögen zu verstecken. Gerade wurde der "Freeport" eröffnet, zur Party kam sogar Großherzog Henri. Der Freeport ist ein Gebäude mit Schließfächern neben dem Flughafen. Der Zoll schaut weg, daher auch: "Freihafen". Freeports sind Lagerräume ohne staatliche Kontrolle - und ohne Steuern. Gewissermaßen ein magisches Niemandsland.

Mitarbeit: Kelly Carr, Julia Stein, Leslie Wayne

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