Flucht aus Schanghai:Kolonialvillen im Bambushain

Zwei Stunden Autofahrt nur und der ohrenbetäubende Lärm des Molochs Schanghai scheint noch viel weiter weg. In den Bambuswäldern des Berges Moganshan weht der kühle Hauch der Geschichte.

Die sanften Steigungen des Moganshan waren einst Rückzugsort für die weißen Herren aus dem halbkolonialen "Paris des Ostens", der Hafenmetropole Schanghai.

Im Juli und August, wenn die Hitze und die Hektik unerträglich wurden, suchten schon vor 100 Jahren die Kaufmänner, Missionare und Diplomaten im Schatten der Bambuswälder Kühlung. Chinesische Kulis schleppten die schwitzenden Kolonialherren in ihren Sänften auf den nur 500 Meter hohen Berg, der von der Hafenstadt Schanghai rund zwei Stunden Autofahrt in Richtung der Stadt Hangzhou in der Provinz Zhejiang liegt.

Die alten Villen der Stadtflüchtigen stehen noch. Einige verfallen ungenutzt am Hang. Manche sind zu Museen umfunktioniert, aber die meisten beherbergen kleine Hotels und Pensionen, in denen für kleine Preise Zimmer gemietet werden können. In anderen sind chinesische Restaurants eingezogen, die Speisen nach Art der einheimischen Zhejiang-Küche, aber auch nordchinesisches Essen oder Spezialitäten nach dem süßlichen Geschmack der Schanghaier zubereiten. Auch die Sänftenträger gibt es wieder, allerdings wuchten diese nun chinesische Touristen den Berg hinauf.

Für die einheimischen Gäste ist weniger die Ruhe wichtig als die historische Aura des Ortes. Sie interessieren sich für die Herren des Moganshan, die nach den Kolonialisten kamen: KP-Führer wie der ehemalige Ministerpräsident Zhou Enlai empfingen in den Gemäuern Staatsgäste.

Auch Mao Tse-tung soll hier genächtigt haben. Ehrfurchtsvoll wird in einer Villa ein Liegestuhl aus Bast ausgestellt, auf dem der "Große Vorsitzende" einst saß. Selbst Schanghais Unterwelt der dreißiger Jahre residierte im Sommer auf dem Moganshan. Die Villa des damaligen Schanghaier Opiumkönigs, des "Großohr" genannten Du Yuesheng, ist heute ein Gasthaus.

Der kühle Hauch der Geschichte

Westliche Urlauber kommen selten nach Moganshan - dabei gibt es Touristenbusse, die ihre Fahrt von Shanghai aus am Busbahnhof beim Sportstadion antreten. Und selbst diese Route hat ihren Reiz: Zum Ende der Strecke reiht sich eine Bambus-Manufaktur neben die andere.

Auf Höfen an der Straße werden die hohlen grünen Stämme gesammelt. Die trockenen braunen Stämme werden von Arbeitern mit breiten Strohhüten vertaut und in Bündeln auf rostig-blaue Lastwagen geladen. Über enge Serpentinen geht es dann auf den Gipfel. Aus dem Boden piekst der saftig grüne Bambus in den blauen Himmel, seine schmalen Blättchen zucken im Wind, und auf dem Moganshan weht ein kühler Hauch von Geschichte.

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