Bundesarbeitsgericht zu Arbeitszeugnissen:Durchschnitt heißt "befriedigend"

Arbeitszeugnis

"Zur vollen Zufriedenheit" heißt es, wenn die Arbeitsleistung durchschnittlich war. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Regel für Arbeitszeugnisse bestätigt.

(Foto: dpa)
  • Das Erfurter Bundesarbeitsgericht bestätigt die gängige Arbeitszeugnis-Regel: "durchschnittlich" heißt "befriedigend".
  • Die Formulierung "zu unserer vollen Zufriedenheit" ist weiterhin Standardformulierung - Abweichungen für eine bessere oder schlechtere Benotung müssen im Streitfall bewiesen werden.

Von Dorothea Grass

Der Fall

Der Rechtsstreit begann in einer Berliner Zahnarztpraxis: Nach Beendigung ihrer einjährigen Tätigkeit erhielt eine Mitarbeiterin für Empfang- und Bürotätigkeiten ein Arbeitszeugnis, mit dem sie nicht zufrieden war. Gegenüber ihrer Chefin forderte sie ein neues Zeugnis, das den formalen Anforderungen entsprechen sollte. Die Zahnärztin änderte daraufhin das Zeugnis und beurteilte die Arbeit ihrer ehemaligen Angestellten mit der Gesamtbewertung "zu unserer vollen Zufriedenheit". In Personalersprache ist die Formulierung mit der Benotung "befriedigend" gleichzusetzen.

Das wollte die Empfangsmitarbeiterin nicht auf sich sitzen lassen und klagte. Vor Gericht forderte sie ein Zeugnis mit der Gesamtnote "gut", das heißt mit der Bewertung "stets zu unserer vollen Zufriedenheit".

Die Streitfrage

Bislang gilt für Arbeitszeugnisse die Bewertung "befriedigend", also "zu unserer vollen Zufriedenheit", als Standard. Möchte der Arbeitgeber eine schlechtere Note als drei vergeben, dann liegt die Beweislast bei ihm. Findet hingegen der Arbeitnehmer, seine Leistung entspräche eher der Benotung "gut" oder gar "sehr gut" ("stets zu unserer vollsten Zufriedenheit"), dann muss der Angestellte die Beweise dafür erbringen - und das ist schwierig.

Im vorliegenden Fall der Zahnarzt-Angestellten hatten sich die Vorinstanzen dafür ausgesprochen, dass ein Zeugnis mit der Note "gut" heute als Standard zu gelten habe. Damit versetzten die Richter auch die Beweislast um eine Note nach oben. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin hatte sich in der Begründung seiner Entscheidung vom 21. März 2013 auf veränderte Umstände im Wirtschaftsleben berufen, nach der ein gutes Arbeitszeugnis nicht mehr als überdurchschnittlich angesehen werde, sondern zum Durchschnitt geworden sei. Zeugnisse müssten dem gerecht werden. Dabei stützte sich das LAG auf Ergebnisse einer wirtschafts- und sozialpsychologischen Studie aus dem Jahr 2011.

Die Beklagte wollte mit ihrem Gang vor das Bundesarbeitsgericht erreichen, dass die Klage ihrer Ex-Mitarbeiterin endgültig abgewiesen wird.

So argumentierten Klägerin und Beklagte

Die ehemalige Angestellte der Zahnarztpraxis sah sich mit der Note "befriedigend" falsch beurteilt und forderte ein Zeugnis mit der Gesamtnote "gut". Sie habe überdurchschnittliche Arbeit geleistet, ein Zeugnis mit der gängigen Standardnote werde ihrer Leistung nicht gerecht. Die von ihrer Chefin aufgeführten Mängel seien nicht zutreffend.

Die Beklagte war anderer Auffassung: Zum einen beurteilt sie die Arbeit ihrer vormaligen Empfangsmitarbeiterin als "allenfalls durchschnittlich" und begründet das mit "zahlreichen Fehlleistungen". Außerdem sei die Klägerin nicht ihrer Darlegungs- und Beweispflicht nachgekommen, um ihre Leistungen im Arbeitsverhältnis als "überdurchschnittlich" bewertet zu bekommen.

Die Seite der Beklagten zweifelte darüber hinaus die Entscheidungen der Vorinstanzen an. "Gut" dürfe nicht gleichbedeutend mit "durchschnittlich" werden, so die Argumentation der Zahnärztin und ihrer Anwälte. Eine durchschnittliche Arbeitsleistung soll weiterhin mit der Note "befriedigend" und der entsprechenden Formulierung bewertet werden dürfen. Für eine Korrektur zu einer besseren Bewertung sehen sie die Beweispflicht auch in Zukunft beim Arbeitnehmer.

Das Urteil

Das Bundesarbeitsgericht hat die Klage der Angestellten abgewiesen. Damit enttäuscht es die Hoffnungen der Beschäftigten, sich künftig leichter eine bessere Gesamtbewertung im Arbeitszeugnis zu erstreiten. Die Richter halten an ihrer Linie fest, wonach die Formulierung "zu unserer vollen Zufriedenheit" - das entspricht der Note 3 - eine durchschnittliche Leistung beschreibt. Wolle ein Mitarbeiter eine bessere Bewertung, müsse er genaue Gründe dafür darlegen, so die Entscheidung des 9. Senats.

Darüber hinaus, so die Richter in Erfurt, führten die von den Vorinstanzen herangezogenen Studien, nach denen "fast 90 Prozent der untersuchten Zeugnisse die Schlussnoten "gut" oder 'sehr gut' aufweisen sollen, nicht zu einer anderen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. Für die Rechtsprechung käme es nicht "auf die in der Praxis am häufigsten vergebenen Noten an". Darüber hinaus würde sich aus den Studien nicht schließen lassen, dass "neun von zehn Arbeitnehmern gute oder sehr gute Leistungen erbringen". Es könne ebenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass "auch Gefälligkeitszeugnisse in die Untersuchungen eingegangen sind, die dem Wahrheitsgebot des Zeugnisrechts nicht entsprechen."

Das sagt der Arbeitsrechtexperte

Daniel Hautumm, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Düsseldorf: "Im Prinzip geht es hier um die Frage: Was ist gut, was ist Durchschnitt, was ist Unter-Durchschnitt? Mit ihrer Entscheidung, die Klage der Sprechstundenhilfe abzuweisen, wollen die Erfurter Richter vermutlich auch die Wertigkeit der Zeugnisbenotungen in der Zukunft erhalten." Hautumm zufolge bleibt also alles beim Alten: "Das Bundesarbeitsgericht beurteilt ein Zeugnis mit der Note 'befriedigend' als durchschnittliche Leistungsbewertung. Wenn der Arbeitnehmer eine bessere Bewertung möchte, als der Arbeitgeber ihm von sich aus gibt, dann muss er Beweise dafür vorbringen. In der Praxis ist das fast unmöglich."

Der SZ.de-Arbeitsrechtexperte
Daniel Hautumm
Daniel Hautumm, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt Daniel Hautumm ist Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Düsseldorf. Nachdem er zunächst für eine internationale Großkanzlei auf Arbeitgeberseite tätig war, vertritt er nun sowohl Arbeitnehmer als auch kleinere Unternehmen. Sein Spezialgebiet sind Kündigungsschutzprozesse. Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite von Daniel Hautumm.

Hautumm zufolge stärkt das Urteil ein weiteres fragwürdiges Prozedere: "Mancher Arbeitgeber setzt das Arbeitszeugnis in erster Instanz auch dazu ein, die Abfindung eines ehemaligen Angestellten zu drücken. Als Gegenleistung bekommt er dann eine gute oder sehr gute Bewertung im Zeugnis. Auch aufgrund dieser Praxis spiegeln Zeugnisse nicht immer die wahren Arbeitsleistungen wider."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: