Migranten in München:Leben mit Schimmel, Dreck und Ungeziefer

Migranten in München: Ende Oktober lösten die Zustände in einem Haus in Kirchtrudering Empörung aus. Dort lebten bis zu 70 Menschen unter katastrophalen Bedingungen.

Ende Oktober lösten die Zustände in einem Haus in Kirchtrudering Empörung aus. Dort lebten bis zu 70 Menschen unter katastrophalen Bedingungen.

(Foto: Robert Haas)

Zahlreiche Vermieter in München nutzen die Not von Migranten aus. Sie verlangen horrende Mieten für verwahrloste, überbelegte Häuser. Eine interne Liste des Sozialreferats zählt mehr als zwei Dutzend solcher Objekte auf.

Von Bernd Kastner

In München floriert das Geschäft mit der Not von Migranten, zahlreiche Vermieter nutzen ihre prekäre Situation aus. Sie leben oft in heruntergekommenen, überbelegten Häusern und zahlen dafür mitunter horrende Mieten. Das geht aus einer internen Aufstellung des Sozialreferats hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt: Sie enthält mehr als zwei Dutzend Anwesen unter der Überschrift "prekäre Wohnsituation" und "überbelegte Objekte".

Es dürfte sich dabei nur um die Spitze eines Eisbergs handeln, Fachleute gehen von Tausenden überbelegten Wohnungen aus. Nun kontrolliert die Stadt die ihr bekannten Objekte und prüft, ob sie einschreiten muss. Gefahr für Leib und Leben habe man bislang nicht festgestellt, sagt Sozialreferentin Brigitte Meier (SPD) und konstatiert: "Es gibt einen neuen Markt - wie man Mieter ausnimmt."

Vor Kurzem war ein Anwesen in Kirchtrudering als "Elendshaus" in die Schlagzeilen geraten. Schon im Juni hatten die Mitarbeiter der Sozialbürgerhäuser den Auftrag bekommen, ihnen bekannte Objekte der Zentrale zu melden. Systematisch und nach einheitlichen Kriterien sind diese Häuser aber nicht erfasst. Die Sozialarbeiter beschreiben vielmehr jene Objekte, die sie aus ihrer täglichen Arbeit kennen.

Das System, die Not armer Menschen auszunutzen, funktioniert auch deshalb, weil die meisten Leidtragenden schweigen. Viele von ihnen sind aus Osteuropa, vor allem aus Bulgarien und Rumänien, zugewandert und befürchten Sanktionen des Vermieters, von Schikane bis Kündigung. Vermutlich scheuen sich viele, sich an Behörden zu wenden - aus Sorge, Deutschland verlassen zu müssen.

Die interne Liste des Sozialreferats (Stand 11. November) lässt erahnen, wie unzählige Menschen in München leben müssen: "Das Haus ist in einem heruntergekommenen Zustand. Die Innenräume (sind) stark renovierungsbedürftig. Es gibt in allen Räumen Schimmelbildung." So beschreiben Mitarbeiter des zuständigen Sozialbürgerhauses ein Anwesen in Berg am Laim, in dem sich etwa 50 Appartements befinden.

Eine fünfköpfige Familie teilt sich demnach ein Zimmer mit 14 Quadratmetern, auch im Keller seien "Wohnräume" vermietet. Im selben Stadtteil lebt eine Familie mit vier Kindern, die Frau ist schwanger. Zu ihrer Bleibe ist notiert: "Gravierende Mängel der Wohnung (feuchte Decken, die teilweise herunterbrechen und ein Verletzungsrisiko bergen/Schimmel an den Wänden). Die Mängel wurden vom Vermieter seit 2005 nicht behoben."

Matratzenschlafplätze unter der Treppe

In der Balanstraße habe ein Mann ein Haus offiziell für seine Angestellten angemietet. Tatsächlich aber habe er es an etwa 65 Bulgaren untervermietet und "sehr hohe Mieten berechnet". Vermutlich habe er so pro Monat einige tausend Euro verdient. In einem Haus in Obergiesing haben die städtischen Mitarbeiter Matratzenschlafplätze entdeckt, die sich unter einer Treppe oder auf einem Treppenabsatz befänden. Angeblich werde ein Platz für 300 Euro im Monat vermietet. Im Bahnhofsviertel gebe es ein Hotel, in dem auch Dauermieter unterkommen. Ein Appartement, 16 Quadratmeter groß, koste 1400 Euro.

Über ein Anwesen in Schwabing ist notiert: "Mehrfamilienhaus mit ca. 25 Wohnungen in sehr schlechtem Zustand. Die uns bekannten Wohnungen sind mit Kakerlaken verseucht, der Eigentümer weigert sich, einen Kammerjäger zu finanzieren, das Dach ist undicht, dadurch Wasser in den Dachwohnungen. Die Heizung funktioniert nicht und es gibt kein warmes Wasser." Die Fluktuation der Bewohner sei sehr hoch, wovon der Vermieter profitiere: Es werde immer wieder Provision bei einer Neuvermietung verlangt. Dem Amt ist dies bekannt, weil es selbst "K+P-Scheine" an Mieter ausgibt: Die Stadt übernimmt die Kosten für Kaution und Provision.

Wo Schimmel die Gesundheit gefährdet

Häuser in dieser Kategorie finden sich in fast jedem Stadtbezirk und sind mitunter seit langem verwahrlost. Ein Objekt in Schwabing "mit seinem äußerst schlechten Zustand" ist der Stadt bereits "seit mindestens 2001" bekannt. Schon 2005 hätten damit befasste Behörden das Haus als "vermutlich nicht mehr renovierbar" bezeichnet, dennoch werde es immer wieder neu belegt. Familie Y. aus Bulgarien wohnt dort: Sechs Personen, darunter kleine Kinder, in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. "Die Wohnung wurde offenbar seit Jahrzehnten nicht mehr renoviert", heißt es in der internen Aufstellung. "Die Wände sind stark verdreckt und die Fußbodenbeläge uralt."

Auch die sanitären Anlagen seien verdreckt, die Küchenzeile "sehr abgenutzt". Die starke Schimmelbildung, vor allem an den Fenstern, gefährde die Gesundheit. "Familie Y. muss Sommer wie Winter die Heizung laufen lassen, um die Räume einigermaßen trocken zu halten." Gegen Ratten sei im Hof Gift ausgestreut worden - auch das eine Gefährdung der Kinder. Herr Y. habe bisher keine Hilfe angenommen, um seine Rechte durchzusetzen: "Die Eltern haben große Ängste, gekündigt zu werden." Vielleicht auch, weil sie den Beruf ihres Vermieters kennen: Rechtsanwalt.

Ein Haus in Laim nennt der zuständige Mitarbeiter "sozialer Brennpunkt". Es sei "davon auszugehen, dass die Lage weiter eskalieren wird". Hier würden "schlecht ausgestattete und heruntergekommene Kleinstappartements" von einem privaten Vermieter an Menschen in schwierigen Lebenssituationen vermietet. Demnach leben dort Kinder mit Haftentlassenen und Suchtkranken zusammen. "Es ziehen immer mehr Menschen in das überbelegte Haus." Die Behörden tragen nach Meinung des städtischen Mitarbeiters dazu bei, dass sich nichts ändere, weil oft das Amt für die Mieten aufkommt. Die Situation werde "durch Zahlung der unangemessenen Mieten aufrecht erhalten".

Sozialreferentin Meier räumt ein, dass es bislang am koordinierten Agieren der Behörden gegen ausbeuterische Vermieter mangele. Man wolle sich künftig besser abstimmen, das sei eine Lehre aus dem Fall in Kirchtrudering. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) richtete inzwischen einen referatsübergreifenden Arbeitskreis "Prekäre Wohnverhältnisse" ein.

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