"Zukunftscharta" zur Entwicklungspolitik:"Von unten" her gedacht

Angela Merkel auf dem "EineWelt-Zukunftsforum"

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterhält sich auf dem "EineWelt-Zukunftsforum" in Berlin mit Bernd Bornhorst vom Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen e. V. (Venro). Rechts freut sich Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU).

(Foto: dpa)

Ein Leben in Würde weltweit, Wirtschaftswachstum auf der Basis von menschenwürdiger Beschäftigung und der Kampf gegen den Klimawandel: Die "Zukunftscharta", die an diesem Montag an Angela Merkel übergeben wurde, soll die deutsche Entwicklungspolitik revolutionieren.

Von Markus C. Schulte von Drach

"Zukunftscharta", das klingt nach einer großen Sache. Und tatsächlich sind es große Ziele, die das Dokument enthält, das Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin übergeben hat.

Es geht darin um grundlegende Fragen: Wie soll eine nachhaltige und gerechte Welt aussehen? Wie werden wir unserer Verantwortung für die Zukunft gerecht? Wie setzen wir die Idee einer globalen Partnerschaft um?

Erarbeitet hat die Charta Müllers Ministerium gemeinsam mit Vertretern von etlichen Nichtregierungsorganisationen von Amnesty International bis zum WWF, von Stiftungen und Kirchen und Fachleuten aus Wirtschaft und Wissenschaft sowie mit Bürgerinnen und Bürgern. Seit April hatten sie Gelegenheit, sich im Internet, in regionalen Foren und auf Veranstaltungen mit dem Minister an der als Dialog angelegten Entwicklung des Papiers zu beteiligen.

Die Antworten, die das Papier mit dem Untertitel "EineWelt - Unsere Verantwortung" bietet, sollen die neue Grundlage der deutschen Entwicklungspolitik darstellen und das Konzept "Chancen schaffen - Zukunft entwickeln" ablösen, das auf Müllers Vorgänger Dirk Niebel (FDP) zurückgeht.

Im kommenden Jahr soll das Dokument den Weg bereiten für Pläne der Vereinten Nationen zur nachhaltigen Entwicklung. Dieser Zielkatalog wird derzeit erarbeitet und soll 2015 verhandelt werden. Insbesondere durch die Beteiligung etlicher Fachleute sowie der Bevölkerung selbst hofft Müller auf eine möglichst breite Unterstützung.

Politik, Wirtschaft, Individuen - alle sind gefragt

Die Unterstützung wird Müller brauchen, denn die acht "Handlungsfelder" dokumentieren einen Anspruch, der die herkömmliche Vorstellung von Entwicklungspolitik sprengt: In der Charta geht es um ein Leben in Würde weltweit, um ein Wirtschaftswachstum mit Nachhaltigkeit und menschenwürdiger Beschäftigung. Es geht um Menschenrechte, Frieden, kulturelle und religiöse Vielfalt, Innovationen, Digitalisierung und darum, eine neue globale Partnerschaft zu entwickeln. Das wichtigste Thema ist Müller zufolge der Kampf gegen den Klimawandel. "Ohne Luft, ohne Klima, ohne Atmosphäre gibt es kein Leben", sagte Müller zum Auftakt des EineWelt-Zukunftsforums.

Die Charta richtet sich zum einen an jeden einzelnen Menschen: "Stellen Sie sich jeden Tag die Frage, wie sich Ihr Handeln auf unsere Welt auswirkt", fordert Müller in seinem Vorwort alle Leserinnen und Leser auf. "Wo kommen Ihre Lebensmittel, Kleidungsstücke, Technologien her und wie wurden sie hergestellt? [...] Vieles kann ein wertvoller Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit sein und nur wenn viele sich auf den Weg machen, können wir etwas ändern."

Zum anderen zielt die Zukunftscharta aber auch in Richtung Weltpolitik. So erinnern die Autoren daran, dass viele der Millenniumsziele, die die Weltgemeinschaft sich gesetzt hatte, noch nicht erreicht wurden. Zwar sei etwa die absolute Armut weltweit halbiert worden. Sie sollte aber bis 2030 gleich ganz beseitigt werden. Auch in allen anderen Handlungsfeldern reiht sich eine Forderung an die andere, und es werden etliche Ziele formuliert, die Deutschland, aber auch andere Industrieländer sich nun vornehmen sollten.

Nichtregierungsorganisationen bleiben skeptisch

Für die Weltpolitik spielt das eher kleine BMZ bislang allerdings eher eine kleine Rolle. Die Charta müsse "zu einem Dokument der Bundesregierung und nicht nur des Entwicklungsministeriums werden", fordert deshalb Marion Lieser von Oxfam Deutschland. Die Organisation hat sich an dem Dialog für die Zukunftscharta beteiligt. Doch zufrieden ist man dort nicht. Vor allem brauche es einen Aktionsplan, "damit aus den schönen Worten konkrete Taten werden", sagt Lieser.

Immerhin konnte Müller für das "EineWelt-Zukunftsforum" in Berlin, zu dem das BMZ gemeinsam mit etwa 100 Initiativen und Akteuren aus ganz Deutschland eingeladen hatte, die Unterstützung von einigen Kabinettsmitgliedern gewinnen: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD), Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) und Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) hatten sich eingefunden, um mit weiteren, auch internationalen Gästen zu diskutieren.

Unterstützung durch weitere Kabinettsmitglieder

Und die Ministerinnen und Minister legten sich ordentlich für Müllers Projekt ins Zeug. So kündigte etwa Andrea Nahles an, das Thema "Gute Arbeit weltweit" werde während der G-7-Präsidentschaft Deutschlands im kommenden Jahr besondere Bedeutung erhalten.

Als Höhepunkt der Veranstaltung hatte Müller Gelegenheit, Bundeskanzlerin Merkel die Zukunftscharta zu übergeben. Die zeigte sich beeindruckt davon davon, dass das Papier "von unten entstanden" sei. Welche Bedeutung Merkel dem Dokument tatsächlich beimisst, wird sich zeigen. In Berlin betonte sie der dpa zufolge vor allem, wie wichtig es sei, die Ziele, die in der Charta aufgeführt würden, auch wirklich zu leben. "Unsere internationale Glaubwürdigkeit hängt davon ab." Auch Entwicklungsminister Müller hatte die Charta bereits zum Referenz-Dokument erklärt, "an dem wir uns alle messen lassen wollen".

Es bleibt zu hoffen, dass die Zukunftscharta mehr Erfolg haben wird als das vom BMZ kürzlich gegründete Bündnis für nachhaltige Textilien. Unternehmen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen sollen gemeinsam ein Siegel schaffen, das Verbrauchern anzeigt, unter welchen Bedingungen ein Produkt hergestellt wurde. Doch bislang beteiligen sich die wichtigsten deutschen Branchenverbände nicht an dem Projekt. Lediglich einige kleinere Textilfirmen sind dabei - darunter vor allem solche, die bereits jetzt auf Sozial- und Umweltstandards achten.

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