"Das Verschwinden der Eleanor Rigby" im Kino:Mit Worten schweigen

James McAvoy und Jessica Chastain in einer Szene von "Das Verschwinden der Eleanor Rigby"

Szenen einer Ehe: Conor (James McAvoy) und Eleanor (Jessica Chastain) bevor sie beschließt, aus seinem Leben zu verschwinden.

(Foto: Prokino Filmverleih)

Jessica Chastain und James McAvoy spielen in "Das Verschwinden der Eleanor Rigby" ein Paar, das an einem Schicksalsschlag zerbricht. In seinem Debüt-Film zeigt sie Regisseur Ned Benson auf überzeugende Art als Menschen, die zu viel zwischen den Zeilen kommunizieren.

Von Susan Vahabzadeh

Man kennt das, wenn man mit Freunden redet, die sich trennen: Erst erzählt einem der eine, dann der andere warum; und die beiden Versionen haben nichts miteinander zu tun. Worin dann vielleicht auch schon die Antwort liegt auf die Frage, wie es so gekommen ist.

Das Fundament von Ned Bensons "Das Verschwinden der Eleanor Rigby" ist diese Idee, dass es zwei Seiten gibt, die man miteinander vereinen, aber nicht miteinander versöhnen kann.

Der Film beginnt an einem glücklichen Abend, ein junges Paar beim Essen in einem Restaurant in New York, sie will die Zeche prellen, zum Spaß, geht ganz ruhig aus dem Lokal, er geht langsam hinterher, wird vom Kellner aufgehalten. Und dann sieht man, wie er aus dem Lokal gelaufen kommt, und die beiden rennen kichernd bis in einen Park, landen außer Atem auf der Wiese.

Das Schöne an dieser Szene ist ihre Leerstelle: Wir sind ganz bei ihr, Eleanor - man weiß so wenig wie sie selbst, ob Conor die Rechnung nicht vielleicht doch bezahlt hat und dann erst herausgelaufen ist, nur mit ihr wegrennt, um diesen ausgelassenen Moment nicht zu zerstören.

Zeitsprung. Wenn wir die beiden wiedersehen, sind sie schon mitten in der Trennung. Eleanor (Jessica Chastain) hat versucht, sich umzubringen und zieht nach Westport, zu ihren Eltern, ein Professor mit einer Vorliebe für die Beatles und eine Künstlerin, William Hurt und Isabelle Huppert, deren klaren Züge und roten Haare sie auf den ersten Blick zur perfekten Film-Mutter für Jessica Chastain machen.

Er verdrängt

Sie befürchtet, nicht die beste aller Mütter gewesen zu sein, auch der Vater hat Angst, versagt zu haben - sie behandeln Eleanor wie ein rohes Ei. Conor (James McAvoy) bleibt in der Stadt, im alten Leben, geht weiter in seine Bar und tut so, als wäre alles in Ordnung, obwohl der Laden schlecht läuft und er ihn zusperren würde, wäre der Koch nicht sein bester Freund; obwohl er todunglücklich ist, wenn er abends allein in die leere Wohnung kommt.

Er verdrängt. Die Einsamkeit verdrängt er, indem er ein paar Sachen zusammenpackt und zu seinem Vater zieht.

Unüberbrückbare Differenzen

William Hurt, Isabelle Huppert, Jessica Chastain, Wyatt Ralff, Jess Weixler (v.l.n.r.) in einer Szene von "Das Verschwinden der Eleanor Rigby".

In ihrer Familie findet Eleanor Rigby (Dritte von links) den nötigen Rückhalt. (William Hurt, Isabelle Huppert, Jessica Chastain, Wyatt Ralff, Jess Weixler (v.l.n.r.)).

(Foto: Prokino Filmverleih)

Conor will mit Eleanor reden, taucht bei ihren Eltern auf, aber die Mutter schirmt Eleanor ab. Eleanor geht wieder zur Uni und versucht, da wieder anzuknüpfen, wo sie aufgehört hat, als sie Conor getroffen hat. Man muss sich hier viel selbst zusammenreimen - was ist passiert zwischen dem Abend im Restaurant und Eleanors Sprung von der Brücke? Was ist das für eine schreckliche Sache, über die keiner sich zu reden traut?

Es ist dann bald klar, dass die beiden einmal ein Kind hatten - und die Beziehung daran zerbrochen ist, dass sie mit dem Schmerz des Verlusts komplett unterschiedlich umgehen: unüberbrückbare Differenzen.

Das Schweigen, die Heimlichtuerei setzen sich fort, in beiden Familien, auch die Großeltern dürfen nicht reden über das tote Kind. Bei Conor ist das so, weil er sich beim Verdrängen ungern stören lässt; und um Eleanor haben, weil ihr Schmerz so viel sichtbarer ist, immer alle Angst.

Was Ned Benson da versucht, das ist ein ziemliches Mammut-Projekt - zumal "Das Verschwinden der Eleanor Rigby" sein erster Film ist. Szenen einer Ehe, fokussiert auf die Bedeutung unterschiedlicher Sichtweisen.

Besonders für ein Regiedebüt ist "Eleanor Rigby" dann wirklich sehr komplex und sehr stimmig - was auch immer hier nicht in Ordnung ist, ein bisschen schlecht gewählte, viel zu plakative Musik beispielsweise, ist nebensächlich und Sache der Postproduktion.

Genaugenommen drei Filme

Genau genommen sind es Ned Bensons drei ersten Filme, und "Eleanor Rigby" ist größer als das, was wir nun in den deutschen Kinos zu sehen bekommen. Die ersten beiden Fassungen hatten noch den Zusatz "His" und "Hers", sie wurden im Herbst 2013 in Toronto vorgestellt.

Was nun gezeigt wird ist "Them" - ein Zusammenschnitt aus beiden, eine handliche Version sozusagen, wie sie sich die Weinstein Company, die den Film in den USA vertreibt, gewünscht hatte - in Cannes im vergangenen Frühjahr stellte Benson die zusammengefügte, gekürzte Fassung vor, in der Reihe Un certain regard.

Wenn Conor Eleanor gefunden hat, sehen wir ihm dabei über die Schulter

James McAvoy in einer Szene von "Das Verschwinden der Eleanor Rigby"

Connor (James McAvoy) kämpft nicht nur um die Liebe seiner Frau, sondern auch um das Überleben seiner Bar, die kurz vor dem Ruin steht.

(Foto: Prokino Filmverleih)

Alles in Abwandlung eines Satzes des Meister-Cutters Walter Murch, der sagte, man schreibe einen Film, drehe einen anderen, und schneide dann noch einmal einen anderen.

Zehn Jahre Vorlauf hatte Ned Benson für "Eleanor Rigby", doch erst, als er Jessica Chastain die Rolle anbot und sie das Drehbuch gelesen hatte, entstand die Idee, konsequent aus zwei Sichtweisen zu erzählen.

Sie bat ihn, der Sicht der Frau, die da weggeht, mehr Raum zu geben. Die Einteilung in Perspektiven - "His" erzählt die Geschichte nur von seiner Seite aus, "Hers" vertritt durchgehend nur ihre Sichtweise - ist ein ganz interessantes Mittel, um der gescheiterten Kommunikation auf den Grund zu gehen, die dieser Beziehung den Garaus gemacht haben muss.

Manchmal ist man nur Zuschauer - spannend wird es, wenn man in eine der Rollen gedrängt wird, durch die Kameraführung zum Beispiel. Wir sehen die Dinge aus der Perspektive der jeweiligen Seite - wenn Conor Eleanor endlich ausfindig macht, ihr durch die Straßen folgt zur Uni, sehen wir ihm dabei über die Schulter, wenn Eleanor in der Nacht, als Conor die Wohnung auszuräumen beginnt, von einer Ahnung getrieben endlich dorthin fährt, stehen wir hinter ihr im Flur.

Es ist schon so, dass das Vermischen der Perspektiven, das Kürzen auf ein handliches Format, "Eleanor Rigby" ein bisschen beraubt, des Potenzials, so richtig bahnbrechend zu sein - Jessica Chastain hat erkämpft, dass in den USA alle drei Filme ins Kino kommen.

Er weiß, wovon sie nie reden

Aber es sind auch so wunderbare Szenen dabei. Wenn Eleanors Vater ihr beispielsweise erzählt, wie er sie als kleines Kind einmal mitgenommen hat ans Meer, damals, als man sich Nantucket noch leisten konnte; und er hat sie verloren, für einen Augenblick. Es steckt das Eingeständnis darin, dass er nur einen Moment lang gefühlt hat, was sie fühlt - und doch weiß, was das ist, wovon sie da nie reden.

Das ist Bensons größte Stärke: dass er viel Gespür dafür hat zu zeigen, wie Menschen etwas nicht aussprechen, zwischen den Zeilen kommunizieren, mit Worten schweigen, den anderen erahnen und erfühlen - oder eben daran scheitern.

The Disappearance of Eleanor Rigby: Them, USA 2013/2014 - Regie, Buch: Ned Benson. Kamera: Chris Blauvelt. Schnitt: Kristina Boden. Mit: Jessica Chastain, James McAvoy, Ciaran Hinds, Isabelle Huppert, William Hurt. Prokino, 122 Minuten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: