NSU-Prozess:Zeuge löst Scharmützel unter Anwälten aus

NSU-Prozess

Die mutmaßliche Terroristin und Angeklagte Beate Zschäpe (2.v.l) Mitte November 2014 im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts in München zwischen ihren Anwälten

(Foto: dpa)

Im NSU-Prozess sind schon viele Zeugen mit einem seltsamen Verhältnis zur Wahrheit aufgetreten. Ralph H. ist ein besonders schwerer Fall. Am Ende kochen die Emotionen hoch.

Aus dem Gericht berichtet Tanjev Schultz

Im Brandschutt von Beate Zschäpes Wohnung in Zwickau fanden die Ermittler 2011 einen alten Personalausweis. Er war ausgestellt auf Ralph H. aus Chemnitz. Ralph H. gehörte zur rechten Szene, aber angeblich hat er Zschäpe und ihre Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die Ende der Neunzigerjahre in Chemnitz untertauchten, nie getroffen. Im NSU-Prozess hat man schon viele Zeugen mit einem seltsamen Verhältnis zur Wahrheit erlebt. Ralph H. ist ein besonders schwerer Fall. Am Ende kochen die Emotionen hoch.

Wie war das also mit dem Personalausweis? Der sei ihm, sagt Ralph H., 1999 abhanden gekommen - verloren oder gestohlen. Er beantragte einen neuen. Dabei blieb es aber nicht, Ralph H. zeigte auch einen Missbrauch seiner Personalien an. Denn auf seinen Namen war von einer anderen Person eine Wohnung in Chemnitz angemietet worden, und die Miete wurde nie bezahlt. Ralph H. bekam außerdem Post von Inkasso-Unternehmen, die insgesamt mehrere Tausend Mark forderten für Bestellungen bei Versandfirmen. Und angeblich hatte Ralph H. nicht das Geringste damit zu tun.

Die Wohnung war offenbar unbewohnt und nur angemietet worden, um Waren in Empfang zu nehmen. In der ersten Zeit nach ihrer Flucht aus Jena hatten die Untergetauchten Geldnöte, erst später begingen sie einträgliche Überfälle.

Ein Bajonett als "Dekoration"

Zu den nicht bezahlten Waren gehörten unter anderem ein Multifunktionswerkzeug, Reizgas und ein teures Nachtsichtgerät. Eben solche Produkte fand die Polizei 2011 in den Überresten von Zschäpes Wohnung. An einen Zufall kann man da nicht mehr glauben.

Ralph H. hatte früher regulär bei einigen der Versandhändler selbst etwas bestellt, zum Beispiel bei einer Firma, die bei Jägern beliebt ist. "Da war ich auch Kunde, das stimmt, da hatte ich so Zimmerdekorationen bestellt", sagt Ralph H.

Was er nicht erwähnt: Es handelte sich um Deko-Waffen, darunter ein Bajonett.

Ralph H. soll 1998 oder 1999 von einem der Helfer des untergetauchten Trios gefragt worden sein, ob er Leute zur Untermiete unterbringen könnte. Thomas S. habe ihn damals in der Innenstadt getroffen, begleitet von zwei Personen, die ihre Kapuze vor das Gesicht gezogen hätten. Angeblich weiß der Zeuge nicht, wer die beiden waren. Die Vermutung liegt nahe, dass es Böhnhardt und Mundlos gewesen sind. Ralph H. sagt, er habe abgelehnt zu helfen, weil er noch bei den Eltern wohnte.

Ralph H. will Thomas S. zu einem späteren Zeitpunkt an einen anderen Kameraden verwiesen haben, an Carsten R., der dann tatsächlich geholfen hat, den Untergetauchten einen Unterschlupf zu beschaffen. Obwohl der Zeuge mit R. befreundet war, will er nichts weiter über die Geschichte erfahren haben. Es sei nicht darüber gesprochen worden, und er habe nicht nachgefragt.

"Heil Euch"-SMS im Rausch

Vor Gericht behauptet Ralph H., zuletzt vor etwa zehn Jahren mit Carsten R. Kontakt gehabt zu haben. Seltsam nur, dass vom Handy, das Ralph H. gehörte, zu Neujahr 2012 eine SMS an den Anschluss von Carsten R. gesendet wurde, mit diesem Inhalt: "Wünsch Euch und unseren Familien ein gesundes neues zionfreies Jahr 2012! Auf das alle unsere jahrelangen Wünsche in Erfüllung gehen. Heil Euch".

Damit konfrontiert, behautet Ralph H., er habe da wohl nur eine SMS im Rausch an alle Personen, die in seinem Adressbuch standen, weitergeleitet. Im Speicher seines Handys hatte er auch die Kontaktdaten von Andre E., einem der Angeklagten und mutmaßlichen Helfer des NSU. Angeblich habe er ihn nur mal irgendwann bei einer Veranstaltung getroffen und die Kontaktdaten notiert für etwaige Einladungen zu weiteren Veranstaltungen.

Ralph H. ist sichtlich bemüht, seine Rolle klitzeklein zu reden. Andere Zeugen beschreiben diese Rolle anders: Er sei genau auf der Welle des Trios geschwommen, sagte Thomas S. über ihn. Und auch Carsten R. stellte die Geschichte so dar, dass Ralph H. durchaus mehr gewusst haben muss von der Suche des Trios nach einem Unterschlupf.

"Das kameradschaftliche Gefühl halt"

Der Zeuge findet auch keine klare Linie, als Richter Manfred Götzl ihn zu seiner Gesinnung fragt. Es ist mal wieder extrem mühsam:

Richter Götzl: Wie war Ihre Einstellung damals?

Ralph H.: Ich hab viele Ansichten geteilt. Man hat sich mit einigen Sachen schon identifizieren können halt.

Richter Götzl: Welche waren das?

Ralph H.: Zum Beispiel wenn Sonnenwende war, Brauchtum, das Zusammengehörigkeitsgefühl halt. Sicherlich hier und da aktuelle politische Situationen, mit denen man nicht zufrieden war.

Richter Götzl: Welche Ansichten waren es denn?

Ralph H.: Das kameradschaftliche Gefühl halt.

Richter Götzl: Und inhaltlich jetzt? Politische Positionen?

Ralph H.: Asylpolitik und so weiter - und ja: Brauchtumspflege hat mich halt angesprochen.

Richter Götzl: Und wie sahen nun Ihre Ansichten aus?

Ralph H.: Schon rechte Ansichten, waren es schon.

Scharmützel der Advokaten

Der Zeuge strapaziert die Geduld, und wie so oft entlädt sich der Frust schließlich in einem heftigen Wortgefecht - bei dem Ralph H. allerdings nur noch unbeteiligt dabei sitzt. Es beginnt damit, dass der Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler, der Familien der NSU-Opfer vertritt, den Zeugen nach den Namen der Ermordeten fragt. "Kennen Sie Enver Şimşek,?" "Nein" - "Kennen sie Abdurrahim Özüdoğru?" - "Nein." - So hätte es weitergehen können, doch die Verteidiger von Zschäpe und des Mitangeklagten Ralf Wohlleben schreiten ein und beanstanden die Art der Befragung.

Nun geht es wild hin und her. Daimagüler sagt, er frage sich, ob Wohllebens Verteidiger Olaf Klemke "Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache" habe, denn es seien doch nur Fragen an den Zeugen gestellt worden. Er möge nicht "frech" werden, ruft Klemke zu Daimagüler und verlangt, die Äußerungen offiziell zu protokollieren.

Klemke und Zschäpes Anwälte werfen dem Nebenklage-Anwalt vor, sein Fragerecht für eine Erklärung zu missbrauchen, letztlich also nicht zur Sache zu fragen, sondern ein Statement abgeben zu wollen. Daimagüler sagt dagegen, er finde es schon erstaunlich, dass man in einem Terrorverfahren die Namen der Opfer nicht mehr nennen dürfe. Daraufhin fühlt sich Richter Götzl angesprochen und verbittet sich den Vorwurf.

Zschäpes Anwalt Wolfgang Stahl bemüht sich, die Lage zu beruhigen und sagt, er verstehe nicht, "warum hier diese Schärfe drin ist". Es gehe auf keinen Fall darum, die Opfer zu verhöhnen, das lasse er sich nicht unterstellen.

Der Zeuge kennt keine Türken - aber er mag sie nicht

Nach einer Pause macht das Gericht Anstalten, den Wortwechsel zwischen Daimagüler und Klemke in einem offiziellen Protokoll festhalten zu lassen. Doch erwartungsgemäß gibt es Streit darüber, was nun genau gesagt worden ist. Am Ende wird aufs Protokollieren verzichtet.

Nach diesem Intermezzo setzt Daimagüler die Befragung des Zeugen fort. Prompt entsteht wieder der gleiche Konflikt. Irgendwann scheint allen zu dämmern, dass man schneller vorankommt, wenn der Anwalt seine Fragen wie geplant stellt.

Als Daimagüler danach fragt, wie Ralph H. zu Türken stehe, gibt es gleich die nächste Unterbrechung. Denn der Zeuge will dazu nichts sagen. Er wird kurz aus dem Saal geschickt.

Zschäpes Verteidiger Stahl merkt an, Ralph H. habe seine rechte Gesinnung doch schon zu erkennen gegeben. Daimagüler hält dagegen, man müsse mehr darüber erfahren, was für eine Einstellung der Zeuge habe.

Ralph H. kommt zurück und sagt über Türken den schlichten Satz: "Gemocht habe ich sie nicht." Er habe allerdings auch keinen Türken persönlich gekannt.

In der Szene soll Ralph H. den Spitznamen "SS Ralle" gehabt haben. Ein anderer Zeuge sagt, die Untergetauchten hätten sich mal darüber lustig gemacht.

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