Weihnachtsmärkte in München:Glühwein allüberall

Weihnachtsmärkte in München

Weihnachtsmärkte in München

(Foto: SZ-Grafik/Foto: Claus Schunk)

Im Dezember wird ganz München zu einem einzigen Christkindlmarkt. Noch auf der kleinsten freien Fläche ist Platz für eine Bretterbude. Manchen geht der ausufernde Budenzauber auf die Nerven, andere können nicht genug kriegen.

Von Franz Kotteder

Christkindlmärkte sind volkswirtschaftlich betrachtet ein erstaunliches Phänomen. Eigentlich lässt es sich nur noch mit gewissen Erscheinungsformen und Auswirkungen des Raubtierkapitalismus vergleichen, bei dem es ja gelegentlich auch um gewaltige Summen Geldes geht, die durch keinerlei realen Wert mehr gedeckt sind.

Was Christkindlmärkten von sonstigen, wirklichen Märkten unterscheidet: Herkömmliche Märkte wachsen so lange, bis der Bedarf gedeckt ist. Danach tritt Stagnation ein, bis sich wieder neue Märkte herausgebildet haben. Christkindlmärkte hingegen breiten sich seit Jahrzehnten völlig ungehemmt aus, ohne dass wirklich ein Bedarf nach ihnen besteht, und ohne dass in all den Jahren etwas bahnbrechend Neues zum gängigen Warensortiment hinzugekommen wäre.

Gut, beim zentralen Münchner Christkindlmarkt auf dem Marienplatz und in der Fußgängerzone gibt es in diesem Jahr erstmals glutenfreie Elisenlebkuchen und veganes Kletzenbrot, wie der Zweite Bürgermeister Josef Schmid (CSU) stolz verkünden durfte. Aber mal ehrlich: Die große Adventsrevolution sieht anders aus.

Bis zum Lebensende ausgesorgt

Merkwürdigerweise versucht das städtische Wirtschaftsreferat seit vielen Jahren, die Attraktivität des Christkindlmarktes durch allerlei Zusatzattraktionen zu steigern, veranstaltet adventliche Volksmusiksingstunden oder einen Krampuslauf, bietet Bastelgruppen für Kinder an und ein Christkindlpostamt. Eigentlich wäre es ja an der Zeit, damit wieder aufzuhören. Schließlich ist hinlänglich bewiesen, dass Christkindlmärkte attraktiv zu sein scheinen.

Längst hat eine Inflation eingesetzt, eine wahre Verchristkindlmarktisierung der Stadt, beginnend meist am letzten Donnerstag im November. Fast möchte man sagen: Wo immer in der Stadt sich eine halbwegs freie Fläche von mindestens 20 Quadratmetern befindet, wird unvermeidlich auch eine Bretterbude aufgestellt, und schon bald darauf ziehen süßliche Glühweinschwaden durch die angrenzenden Straßen. Man müsste Aktienpakete eines dieser multinationalen Glühweinkonzerne besitzen, dann hätte man gewiss bis zum Lebensende ausgesorgt, denn deren Umsätze - und Gewinnspannen! - dürften gewaltig sein.

Baumwollene Kinderkleider und Einsiedlerbildchen

Die flächendeckende Umwandlung der Stadt München in einen einzigen Christkindlmarkt dürfte jedenfalls in ein paar Jahren abgeschlossen sein. Sie begann so über den Daumen gepeilt vor etwa 25 oder 30 Jahren. Bis dahin gab es in der Stadt eigentlich fast nur den einen Christkindlmarkt auf dem Marienplatz, einmal abgesehen von kleineren Weihnachtsbasaren in einzelnen Kirchengemeinden.

Der Markt auf dem Marienplatz hat eine lange Tradition. Schon im 14. Jahrhundert, sagen Stadthistoriker, habe es eine Nikolaidult gegeben, erstmals in den Annalen der Stadt erwähnt wird sie 1642, damals war sie noch in der Kaufingerstraße beim "Schönen Turm", der wegen seiner reichhaltigen Verzierungen so genannt wurde. Später siedelte die Nikolaidult dann auf den Promenadeplatz um.

Christkindlmarkt am Rindermarkt in München, 2012

Weihnachtsstimmung auf dem Rindermarkt.

(Foto: Robert Haas)

Der Historiker und ehemalige Münchner Stadtarchivdirektor Michael Schattenhofer hat einmal nachgeforscht, was damals so verkauft wurde: "Oberammergauer Ware und Nürnberger Lebkuchen, baumwollene Kinderkleider, Kripperlfiguren und Kaminfeger aus Zwetschgen und Mandeln, Nikolaus-, Nonnen- und Einsiedlerbildchen" sollen es gewesen sein.

Von alkoholischen Getränken war noch nicht die Rede, aber man kann davon ausgehen, dass die Münchner darauf nicht verzichteten, wie bei anderen Festivitäten auch. In den folgenden Jahrhunderten zog der Markt immer wieder einmal an einen anderen Platz in der Stadt, erst seit 1972 befindet er sich auf dem Marienplatz - die Fußgängerzone machte es möglich.

Frühe Vorform der After-Work-Party

Damit hätte es nun gut sein können. Der Christkindlmarkt im Herzen der Stadt etablierte sich schnell auch als Treffpunkt für halbe Belegschaften nach Büroschluss, eine Art frühe Vorform der After-Work-Party, und für Weihnachtseinkäufer, die sich nach dem großen Beutezug noch eine Tasse Glühwein und eine Bratwurst gönnten. Liebespaare und solche, die es werden wollten, schätzten die enthemmende Kraft von warmem Alkohol, und so vermeldet die städtische Statistik heute, dass etwas mehr als zehn Prozent aller Stände "Heißgetränke" anbieten. Noch einmal so viele sind Wurstbratereien. Ernährungsphysiologisch betrachtet ist das, in Kombination mit Plätzchen und anderen Süßwaren, ein rücksichtsloser Anschlag auf die Magenschleimhäute.

Irgendwann muss dann die Frage aufgekommen sein, warum man all das nur an einem Ort der Stadt konsumieren soll, und mit dem zunehmenden Stadtviertelbewusstsein entstanden kleine Christkindlmärkte draußen in den Stadtteilen. Manche von ihnen haben sich auf ein bestimmtes Marktsegment spezialisiert.

Der 1976 gegründete Schwabinger Weihnachtsmarkt etwa ist berühmt für Kunst im weitesten Sinne und Kunsthandwerk, beim Haidhauser Weihnachtsmarkt steht Handwerkskunst im Vordergrund - die Übergänge sind da ja fließend. Am Stephansplatz nahe dem Sendlinger Tor findet seit nun schon zehn Jahren "Pink Christmas, der schwule Christkindlmarkt" statt, auf dem man trefflich darüber sinnieren kann, woran man eigentlich einen homosexuellen Nikolaus oder lesbische Engerl erkennt.

Bonbonbunter "Winterzauberwald"

Es gibt einen mittelalterlichen Weihnachtsmarkt auf dem Wittelsbacher Platz, einen ökologisch einwandfreien Biomarkt bei Tollwood auf der Theresienwiese und einen bonbonbunten "Winterzauberwald" auf dem städtebaulich mäßig bezaubernden Rosenkavalierplatz in Bogenhausen, ja sogar der Flughafen draußen im Erdinger Moos verfügt über einen eigenen "Wintermarkt". Hinzu kommen noch all die anderen Weihnachtsmärkte von Pasing, Sendling, Neuhausen, Feldmoching und so weiter.

Ein Ende ist noch nicht abzusehen. Schon die Mutter aller Christkindlmärkte, der am Marienplatz, hat sich ganz schön ausgewachsen, er reicht jetzt vom Marienhof bis zum Rindermarkt, vom Alten Rathaus bis zum Richard-Strauss-Brunnen. 20 000 Quadratmeter Fläche nimmt er inzwischen ein. 159 Beschicker haben heuer den Zuschlag für einen Stand bekommen, gleich 568 haben sich darum beworben.

Man sieht schon: Die 409, die leer ausgegangen sind, möchten ihr Zeug natürlich auf irgendeinem anderen Markt loswerden. Man kann also damit rechnen, dass noch viele weitere Christkindlmärkte entstehen müssen, so lange es noch freie Flächen gibt. Aber auch Eingemeindungen sind bald nicht mehr auszuschließen.

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