Zweifel über sichere Herkunftsstaaten:Karlsruhe soll neues Asylrecht prüfen

  • Das Verwaltungsgericht Münster äußert erhebliche Bedenken gegen die Einstufung Serbiens als sicherer Herkunftsstaat und stoppt die Abschiebung einer asylsuchenden Roma-Familie dorthin.
  • Es prüft nun, ob es das Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit dem Bundesverfassungsgericht vorlegt.
  • Der Gesetzgeber hat kürzlich die Länder Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Das führt dazu, dass Asylanträge von Flüchtlingen aus diesen Staaten grundsätzlich keinen Erfolg mehr haben.

Von Heribert Prantl

VG Münster stoppt Abschiebung von Roma-Familie

Mit Gesetz vom 31. Oktober, in Kraft seit 6. November, hatte der Gesetzgeber die Länder Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Das führt dazu, dass Asylanträge von Flüchtlingen aus diesen Staaten grundsätzlich keinen Erfolg mehr haben.

Das Verwaltungsgericht Münster äußert nun erhebliche Bedenken gegen die Einstufung Serbiens als sicherer Herkunftsstaat. Es hat daher zunächst mit einem nicht mehr anfechtbaren Beschluss die Abschiebung einer asylsuchenden Roma-Familie nach Serbien gestoppt; das Gericht gewährte ihr per Eilentscheidung vorläufigen Schutz. Es prüft nun, ob es das Gesetz über die sicheren Herkunftsstaaten wegen Verfassungswidrigkeit dem Bundesverfassungsgericht vorlegt.

Kretschmann hatte dem Gesetz den Weg bereitet

Das umstrittene Gesetz über die sicheren Herkunftsstaaten hatte im Bundesrat die notwendige Mehrheit erhalten, weil Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg, aus der Ablehnungsfront der von Grünen mitregierten Bundesländer ausgebrochen war. Bei den Grünen gab es deswegen heftige Diskussionen.

Das Verwaltungsgericht Münster zweifelt nun an der Stichhaltigkeit und der Sorgfalt der Gesetzesbegründung. Es sei nicht hinreichend erkennbar, "welches Gewicht der Gesetzgeber bei seiner Entscheidung den geänderten serbischen Ausreisebestimmungen" und ihrer Anwendung auf die Roma gegeben habe.

Die Roma in Serbien werden in ihrem Recht auf Freizügigkeit beschnitten; allein wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland müssen sie mit strafrechtlicher Verfolgung und Verurteilung rechnen. Sie sind "gezwungen, am Rand der Gesellschaft zu leben". Das Verwaltungsgericht Stuttgart hatte schon am 25. März 2014 diese Feststellungen getroffen.

Die Asyl-Diskussionen von 1996 könnten wieder aktuell werden

Das Verwaltungsgericht in Münster bezieht sich nun auch darauf und moniert, die Materialien zum neuen Asylrecht würden nicht erkennen lassen, ob der Gesetzgeber diese Erkenntnisse und die Entscheidungspraxis der Verwaltungsgerichte Stuttgart und Münster berücksichtigt habe. Diese hatten mehrmals gegen Abschiebungen nach Serbien entschieden. Es bestehe deshalb, sagt das VG Münster, "Klärungsbedarf, ob der Gesetzgeber seiner Aufgabe in vollem Umfang nachgekommen" sei.

Die Möglichkeit, dass der Gesetzgeber bestimmte Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten erklären kann, ist mit der Änderung des Grundrechts auf Asyl 1993 geschaffen worden. Das Bundesverfassungsgericht hat das geänderte Asylgrundrecht 1996 zwar akzeptiert - allerdings gegen drei scharf abweichende Voten, unter anderem der damaligen Gerichtspräsidentin Jutta Limbach. Sie hatte sich unter anderem sehr deutlich gegen das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten gewandt. Es kann gut sein, dass ihre Argumentation nun, fast zwei Jahrzehnte später, noch zum Tragen kommt.

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