Gedenken an Opfer des Holocausts:München streitet über Stolpersteine

Gedenken an Opfer des Holocausts: Anhörung zum Thema Stolpersteine: Peter Jordan verlässt den Alten Rathaussaal, als als Gabriella Meros zu lange spricht.

Anhörung zum Thema Stolpersteine: Peter Jordan verlässt den Alten Rathaussaal, als als Gabriella Meros zu lange spricht.

(Foto: Alessandra Schellnegger)
  • In München wird diskutiert, ob Stolpersteine auf öffentlichem Grund an die Holocaust-Opfer erinnern sollen. Bisher sind die Steine in der Stadt verboten.
  • Bei einer Stadtratsanhörung im Alten Rathaus kam es beinahe zum Eklat. Ein 91-Jähriger kletterte aufs Podium, um eine Rednerin zum Schweigen zu bringen.
  • Ob Stolpersteinen künftig auch in München verlegt werden, wird der Stadtrat im Januar oder Februar entscheiden.

Von Martin Bernstein

Es ist der Moment, den Oberbürgermeister Dieter Reiter wohl am meisten gefürchtet hat: Die Stadtratsanhörung zu den Stolpersteinen, jener heftig diskutierten, immer wieder geforderten und in München auf öffentlichem Grund nach wie vor verbotenen Form des Gedenkens, steht kurz vor einem Eklat.

Pfiffe und "Aufhören!"-Rufe schallen durch den Saal des Alten Rathauses. Der 91-jährige Peter Jordan, der vor 75 Jahren aus München fliehen musste und dessen Eltern ermordet wurden, klettert aufs Podium, um der Rednerin Einhalt zu gebieten.

Es ist die Fotografin Gabriella Meros, die für die Israelitische Kultusgemeinde die Ablehnung der Stolpersteine begründen will. Die Steine sind für sie Massenware, dem Künstler Günter Demnig wirft sie Geldmacherei vor, den Verfechtern der Stolpersteine "unangebrachten Stolz".

Immer neue Attacken

Lange haben die vielen Gäste im Saal ihr zugehört, von der vereinbarten Zehn-Minuten-Frist für jeden, der auf dem Podium die Position seines Verbandes, seiner Einrichtung vertritt, ist schon lange nicht mehr die Rede. Doch als Meros sich in weitschweifigen, immer neuen Attacken auf Demnig verliert, verlieren viele Anwesende die Geduld.

Bei diesem Hearing, hatte Terry Swartzberg von der Stolperstein-Initiative zuvor gesagt, gehe es um Respekt. "Dieser Respekt", sagt Ernst Grube, der das KZ Theresienstadt überlebt hat, "scheint Ihnen zu fehlen, Frau Meros." Doch auch Meros' Familie stammt aus München, auch in ihrer Familie wurden Menschen von den Nazis ermordet - und in ihrem eigenen Vornamen, wie in so vielen jüdischen Namen, ist der Name Gottes enthalten.

Gabriella Meros hat ihre ganz persönlichen Gründe, warum sie ein Gedenken am Boden ablehnt. Doch mit ihrer Attacke auf diejenigen, die anders denken, überzieht sie in diesem Moment, nicht nur zeitlich.

Reiter verliest Brief von Knobloch

Zuvor hat Dieter Reiter einen Brief verlesen. Geschrieben hat ihn Charlotte Knobloch. Die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde erläutert darin, warum sie gegen jede Form von Gedenken ist, das nicht auf Augenhöhe stattfindet, warum für sie ein Stolperstein im Straßenpflaster so ist, als würden die Opfer erneut mit Füßen getreten. Die getretenen, am Boden liegenden Verletzten, Sterbenden und Toten hat sie vor Augen.

Und weil diese Erinnerung sich nicht ändert, deshalb kann sich für Charlotte Knobloch auch die ablehnende Haltung zu den Stolpersteinen nicht ändern. Nachhaltiges Erinnern, sichtbar, dezentral, mitten im Stadtbild - das wünscht auch sie sich. Aber nicht am Boden.

Auch Ernst Grube hat den Terror der Nationalsozialisten erlebt. Auch er wurde - wie Charlotte Knobloch - vor 82 Jahren in München geboren. Mit 13 Jahren wurde er kurz mit seiner jüdischen Mutter und seinen beiden Geschwistern ins KZ Theresienstadt deportiert. Er möchte, dass die vertriebenen und ermordeten Menschen, unter ihnen viele Mitglieder seiner Familie, ins Bewusstsein der Stadt zurückkehren. Und er weiß dabei das Präsidium der Lagergemeinschaft Dachau hinter sich, das im Oktober mit Mehrheit beschlossen hat, die Stolpersteine-Aktion zu unterstützen.

"Das Verbrechen wird markiert, mitten in der Stadt"

Für Grube haben die Metallplaketten im Bürgersteig eine wichtige Funktion: Sie ermöglichen das gemeinsame Reden über die Vergangenheit. "Wir kommen beim Verlegen der Stolpersteine mit Bürgern ins Gespräch und diese mit Angehörigen der Opfer." So könne man die heutigen Bewohner der Häuser gewinnen und zugleich das Bewusstsein für aktuelle Ausgrenzungen schärfen. "Das Verbrechen wird markiert, mitten in der Stadt", sagt Grube. "Die Steine, so klein sie sind, geben Denkanstöße. Mehr sollen sie auch nicht."

Einen dieser Denkanstöße formuliert Terry Swartzberg, der Vorsitzende der Initiative Stolpersteine für München, so: "Jeder Stolperstein macht uns klar, wie verletzbar unsere Zivilisation ist."

in Berlin gibt es mehr als 6000 Stolpersteine

So sehen das auch viele Berliner. Mehr als 6000 Stolpersteine gibt es in der Hauptstadt, berichtet die Historikerin Anke Silomon. Es gibt eine Koordinierungsstelle mit hauptamtlichen Mitarbeitern, eine offizielle Homepage und pädagogische Begleitprogramme. Vor allem aber gibt es Schulen, Initiativen und Privatpersonen, die sich nicht allein der Stolpersteine annehmen, sondern der menschlichen Schicksale, für die sie stehen. "Das Kunstprojekt ist längst zu einem sozialen Projekt geworden", sagt Anke Silomon.

Diese weitergehende Recherche gehört für die Vertreter zahlreicher nichtjüdischer Opfergruppen zu den Voraussetzungen, unter denen sie die Verlegung von Stolpersteinen auch in München grundsätzlich befürworten. Albert Knoll trägt diese Bedingungen vor, von denen sich etliche Stadträte - das wird die spätere Fragerunde zeigen - beeindruckt zeigen: keine Verlegung gegen den ausdrücklichen Wunsch von Angehörigen und Nachkommen, keine Formulierungen auf den Steinen, die auf die Sprache der Verfolger zurückgreifen, keine Exklusivität, die Stolpersteine könnten nur als Teil einer kommunalen Gedenkkultur ihre Aufgabe erfüllen.

Knoll ist seit 17 Jahren Archivar der KZ-Gedenkstätte Dachau. Und er ist Mitglied im Forum Homosexualität München. Für die Vertreter verschiedenster Opfergruppen sei klar: "Erinnerung braucht Orte."

Ob es diese Orte in Form von Stolpersteinen künftig auch in München geben wird - darüber soll der Stadtrat im Januar oder Februar entscheiden, verspricht Dieter Reiter. Bis dahin werde jeder einzelne noch viel nachzudenken haben. Der Heidelberger Historiker Edgar Wolfrum hatte zu Beginn des Hearings am Freitag betont, dass die Erfahrungen der Opfer, die Erkenntnisse der Wissenschaft und die öffentliche Erinnerungskultur immer in einer Wechselbeziehung stünden. "Heute sind wir hier, um zuzuhören", erklärt SPD-Stadtrat Christian Vorländer am Ende im Namen seiner Kollegen. "Die politische Debatte beginnt nach dieser Anhörung."

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