Bayerische Grenzgebiete:Der Vignette entkommen

Maut-Vignetten auf einer Windschutzscheibe

Pickerl: Österreich hat die Ausnahmen in der Grenzregion vor einem Jahr gestrichen.

(Foto: Tobias Hase/dpa)

Seit einem Jahr kassiert Österreich auch auf den ersten Kilometern der Inntalautobahn Maut. Die Folgen davon spüren vor allem die Grenzorte in Bayern - auf den Landstraßen. Die Mautpläne der deutschen Bundesregierung sehen sie deshalb skeptisch.

Von Heiner Effern, Kiefersfelden

Sie protestierten, sie sammelten Unterschriften, sie blockierten sogar die Autobahn, doch genutzt hat es nichts: Österreich begann vor einem Jahr, auch für die ersten Kilometer auf der Inntalautobahn in Tirol Maut zu kassieren. Die Menschen in den bayerischen Grenzorten tragen nun die Folgen: An den Wintersonntagen im Jahr 2014 nahm der Verkehr durch Kiefersfelden im Schnitt um zwei Drittel zu. An Wochentagen stieg die Belastung um 40 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die das Bauamt Rosenheim, die Tiroler Landesregierung und der österreichische Autobahnbetreiber Asfinag in Auftrag gegeben haben. "Da es an den Sonntagen keinen Staufluchtverkehr gibt, dürfte es sich hierbei praktisch ausschließlich um Vignettenfluchtverkehr handeln", heißt es darin.

Österreich überwachte die etwa sechs Kilometer der Inntalautobahn bis zur Ausfahrt Kufstein Süd bis Dezember 2013 nicht. Von dort aus fahren zahlreiche Urlauber und Tagesausflügler in Tiroler Skigebiete, etwa zum Wilden Kaiser oder nach Kitzbühel. Diese Ausnahmeregel strich die Asfinag, die zu 100 Prozent dem Staat gehört, zum 1. Dezember 2013. Die Menschen im Inntal probten staatsübergreifend den Aufstand gegen Wien. Sie fürchteten, dass sich viele Gäste die 8,50 Euro Maut für wenige Kilometer Autobahn sparen und stattdessen durch die Dörfer tingeln würden.

Etwa 1000 Demonstranten blockierten sogar erstmals in der Geschichte Bayerns eine Autobahn. In Kufstein waren es sogar 2000. "Ein solcher nationalstaatlicher Egoismus verdient Verachtung", rief damals die CSU-Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig ins Mikrofon. Die damalige österreichische Verkehrsministerin Doris Bures (SPÖ) zeigte sich unbeeindruckt.

Nicht nur Urlauber weichen aus, auch die Einheimischen

Die Folgen spüren der Studie zufolge hauptsächlich die Bayern, in Kufstein und den österreichischen Grenzorten sind die Ergebnisse nicht so eindeutig. Doch nicht nur Urlauber weichen der Maut aus, auch die Einheimischen. Bei einer Befragung von Mautflüchtlingen in Kiefersfelden stellte sich heraus, dass an Werktagen weit mehr als die Hälfte zum Einkaufen, zur Arbeit oder in der Freizeit unterwegs war. Doch der Knackpunkt sind die Wochenenden, an denen Skibetrieb herrscht. Die Samstage lassen nach Aussage der Gutachter wegen der verschiedenen Ferientermine, vielen Staus auf der Autobahn und dem Lkw-Verkehr kaum Schlüsse zu. Die Sonntage hingegen schon, da hauptsächlich Tagesausflügler unterwegs sind. In Kiefersfelden wurden bis zu 2900 Mautflüchtlinge gezählt.

Die Menschen hier fürchten aber, dass die Zahlen aus dem ersten Jahr nur ein Vorgeschmack sind. Denn der Winter 2013/2104 war für Skifahrer ein miserabler. "Wir müssen Angst haben, wenn Skiwochenenden kommen, an denen die Schneelage richtig gut ist", sagt Bürgermeister Hajo Gruber (Unabhängige Wähler). Tatsächlich sei der Zusammenbruch des Verkehrs bisher weder in Kiefersfelden noch in Kufstein eingetreten.

Doch Schaden habe sein Ort auch so schon genug. Gruber ärgert nicht nur, dass seine Bürger an schlechten Tagen kaum mehr über ihre Hauptstraße kommen. Er sieht auch eine massive Beeinträchtigung für den Tourismus. "Urlauber haben ein völlig falsches Bild von unserem Ort. Unsere Hauptattraktionen und auch der alte Dorfkern liegen abseits der Durchgangsstraße", sagt er. Kiefersfelden ist eine große Flächengemeinde mit Wanderwegen, Schluchten und Bergen abseits des Verkehrs. Doch das bekämen viele gar nicht mit, sagt Gruber. Weil sie entweder im Stau stünden oder davon hörten, dass die Gemeinde von Mautflüchtlingen in Mitleidenschaft gezogen werde.

"Gewisse Verlagerung"

Doch nicht nur sein Ort, die ganze Region erlebte im vergangenen Jahr, dass die Einführung einer Maut nicht spurlos vorübergeht. "Bei einem Teil der Menschen ändert sich nach Einführung einer Maut das Fahrverhalten", sagt auch Klaus Fink, der bei der Asfinag für die Alpenstraßen verantwortlich ist. Eine "gewisse Verlagerung" sei schon festzustellen, wenn sie auch weitaus nicht so schlimm sei, wie manche vorhergesagt hätten. Auch aus dieser Erfahrung heraus fürchten bayerische Grenzgebiete, dass die in Deutschland geplante Maut für Autobahnen und Bundesstraßen sie hart treffen könnte.

Lange sah das Konzept von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) keine Ausnahmen für ihre Regionen vor. Erst auf massives Drängen der Bewohner will er dort nun für Bundesstraßen keine Vignette verlangen. Der Kiefersfeldener Bürgermeister Gruber findet es gut, dass Nachbarn aus dem Ausland "keine Eintrittskarte" nach Deutschland bezahlen müssen. Sie seien ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor. Bei den Erhebungen in Kiefersfelden fiel auf, dass fast jeder dritte Autofahrer aus Österreich keine Vignette besitzt.

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