Geiselnehmer von Sydney:Australiens Premierminister spricht von psychisch labilem Extremisten

  • In der Nacht zum Dienstag stürmen Einsatzkräfte ein Café in Sydney. Schüsse fallen. Drei Menschen sterben, darunter der Geiselnehmer. Vier Menschen werden verletzt.
  • Der Täter hatte Besucher und Angestellte am Montagmorgen in seine Gewalt gebracht und fast 17 Stunden lang festgehalten. Der Polizei zufolge handelte es sich bei ihm um einen Einzeltäter.
  • Der Geiselnehmer ist polizeibekannt. Vor wenigen Tagen wurde er wegen etlicher sexueller Übergriffe angeklagt.
  • Ein verdächtiges Paket im australischen Außenministerium hat am Dienstag Bombenalarm ausgelöst. Es stellte sich jedoch als harmlos heraus.
  • Premierminister Abbott bezeichnet den Geiselnehmer als kriminellen Extremisten, der "psychisch labil" gewesen sei. Die Einsatzkräfte lobt er für ihre Arbeit.

Geiselnehmer ist unter den Toten

Die Polizei hat das Geiseldrama in Sydney beendet. Bei der Erstürmung des Cafés sind nach Polizeiangaben drei Menschen getötet worden. Vier weitere Menschen wurden verletzt, wie die australische Polizei in der Nacht zum Dienstag Ortszeit mitteilte. Unter den Toten sei auch der Geiselnehmer - der 50-Jährige wurde laut Polizei erschossen. Er sei im Krankenhaus für tot erklärt worden. Außerdem sei im Krankenhaus der Tod eines 34-jährigen Mannes und einer 38-jährigen Frau festgestellt worden. Bei der 38-Jährigen handelt es sich um eine Anwältin. Die Frau war mit zwei Kollegen in dem Café, das in unmittelbarer Nähe von Gerichten liegt. Der getötete Mann war der Manager des Cafés. Medien berichteten, er sei ums Leben gekommen, als er versuchte, dem Geiselnehmer die Waffe zu entreißen. Die Polizei bestätigte das zunächst nicht.

Die Polizei hatte das Café, in dem der Mann zahlreiche Geiseln festgehalten hatte, nach mehr als 16 Stunden gestürmt. Am Nachmittag gelang bereits drei Männern und zwei Frauen die Flucht. Gegen zwei Uhr morgens Ortszeit gelang offenbar weiteren Geiseln die Flucht. Fernsehbilder zeigten Männer und Frauen, die auf die Straße rennen. Danach stürmten bewaffnete Sicherheitskräfte das Café, Schüsse fielen. Sanitäter eilten in das Gebäude.

Premierminister Abbott: Täter war "vernarrt" in Extremismus

Australiens Premierminister Tony Abbott beschrieb den Geiselnehmer am Dienstag als einen den Behörden bekannten kriminellen Extremisten, der "psychisch labil" gewesen sei. Der 50-jährige Geiselnehmer habe eine "lange Vergangenheit" gewalttätiger krimineller Taten und sei zudem "vernarrt" in Extremismus gewesen, sagte Abbott. Als sich die Geiselnahme vom Montag allmählich entwickelt habe, habe er dann versucht, seine Taten mit der "Symbolik des Todeskults" der Dschihadistengruppe Islamischer Staat (IS) zu untermauern, sagte der Premier.

Abbott lobte die Polizei für ihren Einsatz. Die Australier könnten angesichts der Reaktion der Einsatzkräfte beruhigt sein, sagte er. Natürlich müssten aus der Geiselnahme "Lehren gezogen werden". Zuvor werde aber detailliert geprüft, was sich am Martin Place abgespielt habe und warum, sagte Abbott. Das allerdings könne einige Zeit dauern.

Bombenalarm in australischem Außenministerium

Nur wenige Stunden nach dem Ende der Geiselnahme hat ein verdächtiges Paket im australischen Außenministerium am Dienstag Alarm ausgelöst. Die Polizei räumte das Gebäude in Canberra, doch erwies sich das Paket schnell als harmlos, wie die Polizei mitteilte. Mehrere Straßen waren in der Umgebung vorsorglich gesperrt worden. Das Paket sei in der Kantine des Gebäudes entdeckt worden, teilte die Polizei mit.

Geiselnehmer offenbar als selbsternannter Geistheiler identifiziert

"Es war die Tat eines Einzelnen", sagte der Polizeichef von New South Wales, Commissioner Andrew Scipione, auf einer Pressekonferenz. "Dies sollte niemals unsere Art zu leben verändern oder zerstören." Möglicherweise spielte er dabei darauf an, dass der Geiselnehmer im Laufe des Tages immer wieder seine Sympathien für die islamistische Terroristengruppe IS gezeigt hatte. So verlangte der Geiselnehmer, dass ihm die Flagge der Terrorgruppe "Islamischer Staat" gebracht wird. Verbindungen zu der Terrororganisation soll er jedoch nicht gehabt haben.

Übereinstimmenden Medienberichten zufolge war der Mann polizeibekannt, seit er zwischen 2007 und 2009 etliche Schmähbriefe an die Hinterbliebenen australischer Soldaten schickte, die im Krieg in Afghanistan oder im Irak getötet worden waren.

Der 50-Jährige war aktuell gegen Kaution frei - gegen ihn wurde wegen zwei schwerwiegender Verdachtsfälle ermittelt: Zum einen soll er Komplize im Mord an seiner Exfrau gewesen sein; zum anderen wurde gegen ihn erst am Freitag Anklage wegen diverser Sexualdelikte erhoben. Einem Bericht des Sydney Morning Herald zufolge praktizierte der gebürtige Iraner und selbsternannte Kleriker zwischen 2000 und 2002 als "Geistheiler" in einem Vorort von Sydney; während dieser Zeit soll es zu den 40 Übergriffen gekommen sein.

Eines der Opfer sagte, er habe sich als Experte in Sachen Astrologie, Numerologie, Meditation und Schwarzer Magie ausgegeben. Die Übergriffe sollen unter dem Deckmantel spiritistischer Praktiken erfolgt sein. Wiederholt hat er in Online-Kommentaren Politiker beschimpft und sich mit Wikileaks-Gründer Julian Assange verglichen - auch die gegen ihn erhobenen Vorwürfe seien politisch motiviert.

"Sein Blick für gesunden Menschenverstand und Objektivität ist getrübt"

Der Nachrichtensender ABC sprach mit einem früheren Anwalt des Täters. Manny Conditsis sagte, die Öffentlichkeit könne sicher sein, dass die Geiselnahme nicht das Werk einer organisierten Terrorgruppe gewesen sei. "Seine Ideologie ist so stark und mächtig, dass sie seinen Blick für gesunden Menschenverstand und Objektivität trübt." Es handle sich um "ein zufälliges Individuum", so Conditsis. "Es handelt sich um ein beschädigtes Individuum, das etwas Fürchterliches getan hat."

Größter Polizeieinsatz in der Geschichte des Landes

Die australische Anti-Terror-Polizei war seit Bekanntwerden der Geiselnahme im Großeinsatz. Es war der bisher größte in der Geschichte des Landes. Die Gegend um Martin Place wurde gesperrt, der öffentliche Verkehr in Sydney weiträumig umgeleitet. Über der Stadt kreisten Helikopter. Auch das berühmte Opernhaus wurde gesperrt. Es ist nur gut einen Kilometer vom Martin Place entfernt. Auf Fotos sah das Gelände am Hafen - wie die gesamte Gegend - völlig leer aus. Per Twitter sagte die Sydney Theatre Company alle Vorstellungen ab - auch die im Opernhaus.

Die Medienpräsenz vor Ort war von Beginn an massiv, wie Bilder der Reporter vor Ort zeigen. Doch der Martin Place zog auch Schaulustige an. In den sozialen Netzwerken kursierten Bilder von Gaffern, die Selfies am Schauplatz der Geiselnahme machten.

Australien hat noch nie einen vergleichbaren Vorfall erlebt. Als nationales Trauma gilt der Anschlag von al-Qaida-nahen Terroristen auf Bali im Jahr 2002, bei dem 88 Australier ums Leben kamen.

Lindt zeigt sich schockiert

Der Betreiber des Cafés im Zentrum von Sydney, der Schweizer Schokoladenhersteller Lindt, hat sich bestürzt über den blutigen Ausgang des Dramas gezeigt. "Wir sind am Boden zerstört", erklärte Lindt am Montagabend angesichts mehrerer Toter und Verletzter, die ein derartiges "Trauma" erlebt hätten. Lindt-Geschäftsführer Ernst Tanner zeigte sich "schockiert und zutiefst traurig". Er könne kaum fassen, dass sich eine derartige Gewalttat tatsächlich abgespielt habe, erklärte Tanner und sprach den Betroffenen sein Mitgefühl aus.

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