"#Zeitgeist" im Kino:Display im Kopf

"#Zeitgeist" im Kino: Analoge Begegnung: Rosemarie DeWitt und Adam Sandler.

Analoge Begegnung: Rosemarie DeWitt und Adam Sandler.

(Foto: Paramount)

Pornos im Kinderzimmer und eine spionierende Mutter: Jason Reitman entwirft in "#Zeitgeist" ein kleines Panoptikum digitaler Krankheitsbilder. Ein Film über die dauernde Erreichbarkeit und Überwachung - und die Zusammenrottung aller Bekloppten.

Von Susan Vahabzadeh

Es gibt ein Bild am Anfang von Jason Reitmans "#Zeitgeist", das fällt gerade deswegen auf, weil es nicht neu ist. Um Menschen herum tauchen schwebende Displays in der Luft auf - inzwischen ein Zukunftsklassiker des Kinos, von Steven Spielbergs "Minority Report" bis zu Terry Gilliams "Zero Theorem". Reitmans Film spielt aber nicht in der Zukunft, er spielt im Jetzt, und er lässt um die Menschen nur die Textnachrichten und Videos herumgeistern, die sie gerade auf ihren Smartphones und Tablets sehen. Die schwebenden Displays sind keine Zukunftsvision mehr, sie sind da, in unseren Köpfen.

Es geht ums Digitale in "#Zeitgeist", um Beziehungen und Einsamkeit im Zeitalter der allgegenwärtigen Kommunikation. Menschen in einer texanischen Kleinstadt: Die Trubys, Don (Adam Sandler) und Helen (Rosemarie DeWitt) sind freundlich auf Distanz zueinander gegangen, und Don reagiert sich seither mit Internet-Pornos ab - wenn der eigene Computer streikt, geht er dafür ins Kinderzimmer. Wo sich sonst sein Sohn Chris mit Pornos vergnügt, die so krass sind, dass er mit Mädchen aus Fleisch und Blut nichts anzufangen weiß.

Donna (Judy Greer) ist eine moderne Eislaufmutter: Ihre Teenie-Tochter Hannah ist sowieso das, was man früher eine Schlampe genannt hätte, also verscherbelt sie freizügige Fotos von ihr auf einer Website, gemeinsam träumen die beiden von einer Karriere wie bei den Kardashians. Und Hannas Klassenkameradin Alison ist magersüchtig und findet im Netz genau das, was sie sucht - eine Gruppe anderer Gestörter, die sie beschwört, das Essen, dass ihr Vater ihr aufs Zimmer gebracht hat, bloß nicht anzurühren.

Es geht also um alles, was gerade schief geht: dauernde Erreichbarkeit und Überwachung; darum, wie das Internet die Zusammenrottung aller Bekloppten ermöglicht; und um Teenies, die sich schwer tun, die virtuelle Welt und die reale nicht zu verwechseln; um Seitensprung-Websites und die Allgegenwart von Sex. Und wie sich die einen ganz winzig fühlen, weil ihnen das Internet die riesige Welt öffnet, in der sie keine Rolle spielen - und wie die anderen glauben, ein paar Klicks auf ihre Website machten sie zu einer wichtigen Persönlichkeit.

Alles nicht ganz falsch, alles ganz schrecklich - Reitmans kleines Panoptikum digitaler Krankheitsbilder wirkt erst einmal ziemlich düster, und die Kommentare, die eine Frauenstimme über die verwobenen Episoden legt, gibt #Zeitgeist" einen belehrenden Unterton, zumal es im Original Emma Thompson ist, die in reinstem Oxford-Englisch den amerikanischen Protagonisten die Leviten liest. Reitman hat vorher "Juno" gemacht und "Up in the Air", und eigentlich ist "#Zeitgeist" eine ganz schöne Studie an fiktiven Charakteren - bloß ein bisschen didaktisch.

Digitales Spielzeug erleichtert Fehlverhalten

Es ist also nicht ganz überraschend, dass dem Film beim Start eine gewisse Internet-Feindlichkeit vorgeworfen worden ist. Dabei erzählt er ja eigentlich nicht vom Internet und von Smartphones, sondern von den Menschen, die sie benutzen. Da ist etwa Jennifer Garners Figur, Patricia, eine verkniffene, bigotte Mutter. Die ist ein echter Kontrollfreak - sie überwacht ihre Teenie-Tochter Brandy auf Schritt und Tritt, will sie von den falschen Freunden fernhalten und alles ganz genau wissen. Sie spürt Brandy also mit einem Handyortungssystem hinterher, liest ihre Textnachrichten, antwortet schließlich sogar einmal in ihrem Namen und richtet damit Unheil an.

Fünfzig Jahre früher hätte sie nicht digital, sondern zu Fuß spionieren müssen, hätte in Tagebüchern geschnüffelt und wäre auch kein besserer Mensch gewesen. Vielleicht ist es ja so, dass digitales Spielzeug Fehlverhalten erleichtert - Charakterschwäche in die Welt gebracht hat es nicht. Manchmal entstehen auch ganz wunderbare Verbindungen via Internet - die beiden Außenseiter, die kontrollierte Brandy und der depressive Tim, sind viel zu schüchtern, um einander zu gestehen, dass sie sich mögen - im Netz, wo sie einander nicht sehen, fällt es ihnen leichter. Und die Trubys arrangieren sich mit ihren Seitensprung-Sehnsüchten. Mal ganz im Ernst: Fremdgegangen wurde auch schon vor der Erfindung des Internets. Nur nicht so diskret.

Men, Women & Children, USA 2014 - Regie: Jason Reitman. Buch: J. Reitman, Erin Cressida Wilson, nach einem Roman von Chad Kultgen. Kamera: Eric Steelberg.Mit: Adam Sandler, Jennifer Garner, Judy Greer, J. K. Simmons. Paramount, 119 Minuten.

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