Bayern-Gegner Schachtjor Donezk:Unglücklich fern der Heimat

Crisis in Ukraine

Vor der Arena in Donezk: Prorussische Separatisten bringen einen alten, ausrangierten Sowjet-Panzer in Stellung.

(Foto: Photomig/dpa)

Die Arena beschädigt, die Trophäen versteckt - und die Heimspiele ein Pfeifkonzert. Der Krieg im Osten der Ukraine hat Schachtjor Donezk vertrieben. Die Bayern reisen zu einem Klub, der sich fremd geworden ist.

Von Frank Nienhuysen, Lwiw

Er hat es jetzt nicht mehr so weit bis zu seinem Sohn, aber das macht die Sache für ihn nur schlimmer. "Haben Sie Kinder?", fragt Anatolij Schewtschuk. Aber er antwortet gern selber: "Eltern geht es immer dann gut, wenn es den Kindern gut geht." Also: Anatolij Schewtschuk geht es nicht gut. Obwohl sein Sohn in der Nähe ist. "Da unten, der mit der Nummer 13", sagt er, "da läuft er."

Die Halbzeitpause ist gerade zu Ende gegangen, Anatolij Schewtschuk, dick eingemummt, jeden Atemzug ein Wölkchen ausstoßend, hat sich was zu trinken geholt und steht nun auf der Haupttribüne. Er zeigt auf einen verschwitzten Kerl im schwarz-roten Trikot, den der Krieg in der Ukraine quer durch das Land getrieben hat. 50, 60 Meter weiter unten trabt er auf dem Rasen. Wjatscheslaw Schewtschuk, 35, dunkelblond, 184 cm groß, Linksverteidiger bei Schachtjor Donezk. Er spielt jetzt gegen Dnjepropetrowsk. Ukrainische Liga, ein Spitzenspiel zweier ostukrainischer Mannschaften in der Lwiw-Arena. Ein seltsamer Ort ist das für diese Begegnung. Und da muss jetzt bald auch der FC Bayern hin.

Champions League, Achtelfinale, der Gegner: Donezk. Bis nach Donezk, in den Osten der Ukraine, werden die Bayern allerdings gar nicht kommen. Auch dieses Spiel findet in Lwiw statt, in Lemberg, ganz im Westen des Landes. Nur thematisch werden die Bayern also den Konflikt im Osten des Landes touchieren - und das, was dieser mit dem Fußballklub Schachtjor Donezk gemacht hat.

Die Lwiw-Arena ist ein neues Stadion, es wurde vor ein paar Jahren für die Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine gebaut. Danach sollte eigentlich der Verein Karpaty Lwiw darin spielen. Von Schachtjor Donezk war nie die Rede gewesen. Warum auch? Es hatte ja selber ein neues Stadion. Aber es hat auch niemand an Krieg gedacht. Der Krieg hat alles verändert. Auch den Fußball. Auch für die Schewtschuks.

Sohn Wjatscheslaw musste wie der ganze Verein raus aus dem umkämpften Donezk, wo er vor vielen Jahren hingezogen war wegen Schachtjor. Jetzt lebt er in Kiew, im Zentrum der Ukraine. Da trainiert auch der Verein. Zu den Heimspielen aber muss er mit der Mannschaft noch weiter in den Westen. Nach Lwiw. Logistisch ist das für seinen Vater natürlich großartig. Anatolij Schewtschuk braucht nur etwa zwei Stunden, um von seiner Heimatstadt Luzk aus bis nach Lwiw zu fahren. Zwei Stunden durch den ukrainischen Westen. Ohne Krieg und ohne Panzerrohre, ohne Checkpoints, an denen waffenstarrende Männer in Camouflage-Uniform kontrollieren. Schewtschuk kann einfach einsteigen in sein Auto, losfahren, ankommen und Fußball gucken. Seinen Sohn spielen sehen. Aber lieber würde er dafür nach Donezk fahren. In ein friedliches Donezk, und alles wäre wie immer.

Für Schachtjor und die Schewtschuks ist das Spiel gegen Dnjepropetrowsk offiziell ein Heimspiel, aber es ist ein Heimspiel, bei dem einem die Ohren sausen vor lauter Pfiffen. Vor dem Anstoß läuft das Musikband mit Schachtjors Vereinshymne ab, und am Mittelkreis wird das große aufgespannte Emblem eingerollt. Die Menschen pfeifen. Sie pfeifen auch, wenn Schachtjor einen Freistoß kurz vor der Strafraumgrenze erhält. Sie pfeifen, wenn Schachtjor einen Konter startet. Nicht einmal über ein Tor - es fällt ohnehin keins - würden sie sich freuen. Jedenfalls nicht über eines von Schachtjor. Die Anhänger von Dnjepropetrowsk und von Karpaty Lwiw pflegen eine Fanfreundschaft, da hat Schachtjor wenig gegenzusetzen - 1200 Kilometer von Donezk entfernt hat es kaum eigene Fans. Für den Verein und für die Schewtschuks ist das bitter.

Anatolij Schewtschuk hat sich einen orangefarbenen Schal um den Hals gewickelt. Mehr an sichtbarer Zuneigung für den Klub leistet sich keiner der Zuschauer. Die Lwiw-Arena in Lwiw, Westukraine - die Donbass-Arena in Donezk, Ostukraine. Das waren immer die zwei Pole im Fußball-Land Ukraine. Aber die Heimat von Schachtjor liegt jetzt im Herrschaftsgebiet der prorussischen Separatisten. Deshalb kann es da nicht mehr Fußball spielen. Ein Fußballverein, der beste, der erfolgreichste im Land, vertrieben vom Krieg in der Ostukraine. "Es ist jetzt sehr schwierig für meinen Sohn", sagt Anatolij Schewtschuk. 22 419 Zuschauer sind offiziell im Stadion, und sie sind fast alle gegen Schachtjor. "In Donezk wären jetzt mindestens 40 000 Zuschauer im Stadion. Sie würden die Mannschaft nach vorn treiben. Aber so? Wie ein Auswärtsspiel." Vielleicht reicht es auch deswegen gerade nur für Platz zwei.

Es war der 23. August, als der Klub in den Konflikt hineingezogen wurde. Zwei Sprengsätze explodierten bei den Gefechten und trafen die Donbass-Arena. Die Detonation hat Teile des Dachs um 30 Zentimeter nach oben gehoben. Mühsam muss die Arena nun repariert werden. Aber was wird dann? Das Stadion ist gerade mal fünf Jahre alt, es hat geschätzte 400 Millionen Dollar gekostet, und niemand weiß, wann der Verein dorthin zurückkehren kann. Ob er es überhaupt jemals kann.

Und so ist das Duell Schachtjor gegen Dnjepropetrowsk ein merkwürdiges Duell. Die Politik, der Patriotismus, spielen irgendwie auch mit. Die Angst, das Land könnte zerfallen, der Osten sich abspalten. Eine Gruppe von Fans stimmt die ukrainische Nationalhymne an, und alle Zuschauer stehen auf und singen die Hymne. Es schallt und schmettert auf den Rängen, und man versucht sich vorzustellen, wie das wohl wäre, wenn mitten in einem Bayern-Spiel gegen Hoffenheim oder Werder Bremen auf den Rängen die deutsche Nationalhymne gesungen würde.

Klub-Präsident Achmetow ist geflüchtet

Auf dem Platz passiert nicht sonderlich viel, das sind die Momente, in denen die Menge sich selber unterhält. Auf einer Tribünenseite ruft sie "Slawa Ukraini", Ruhm der Ukraine, von der anderen donnert das Echo: "Slawa." So geht das minutenlang hin und her, rechts "Slawa Ukraini" - links "Slawa". Einmal ruft es aus dem Zuschauerblock "Donezk ist Ukraine". Natürlich. Aber gemeint ist es wohl so: Donezk ist nicht Russland. Nicht Neurussland.

Was für eine Ironie ist das nur, dass ausgerechnet im Westen der Verein um Punkte kämpft. Rinat Achmetow, der Milliardär und Oligarch, der reichste Mensch in der Ukraine - er ist auch der Präsident des Klubs. Früher war Dynamo Kiew der dominierende ukrainische Verein, und man kannte in Europa vor allem Oleg Blochin, diesen pfeilschnellen Stürmer. Aber Achmetow, der sein Industrie-Imperium im Donbass hat, wollte den Osten zum Zentrum des nationalen Fußballs machen. Viel Geld steckte er in den Verein. Er holte große Namen aus dem Ausland, Nevio Scala kam, der Italiener, auch Bernd Schuster, der "blonde Engel", war einmal Trainer. Jetzt ist der Klub Serienmeister, dauerpräsent in der Champions League. Rund ein Dutzend Brasilianer spielt für den Verein, Luiz Adriano führt die Torschützenliste der Champions League an, vor Lionel Messi. Schachtjor ist seit Jahren schon die beste Adresse in der Ukraine. Donezk ist es nicht mehr.

Klub-Präsident Achmetow ist wegen der Separatisten nach Kiew geflüchtet. Im Sommer hatten sie eine seiner Fabriken besetzt. Der Verein selber logiert nun vorübergehend in einem vornehmen Hotel in Kiew. Auch die Spieler mussten mit den Familien ihre Wohnungen im Osten verlassen, sie leben nun in der Hauptstadt. Das Klubmuseum, vor zwei Jahren als das größte der Ukraine eröffnet und mit einem "European Museum of the Year 2012 Award" ausgezeichnet, ist geschlossen. Die Exponate mussten in Sicherheit gebracht werden, unter ihnen fünf Meistertrophäen aus den vergangenen fünf Jahren, der Uefa-Pokal von 2009, der in der Mitte eines Ausstellungsraums auf einem Sockel thronte. All das lagert nun an einem geheimen Ort. "Wo, das kann ich Ihnen nicht verraten", sagt der Museumsdirektor Andrej Babeschko. "Aber es ist unsere ganze Geschichte."

Es gibt noch andere Fragen, die ungeklärt sind. Wie es weitergehen soll mit dem Fußball in der Ostukraine, was passiert, wenn der Krieg zu einem dieser Konflikte wird, die man eingefroren nennt, weil sie einfach ausharren, ungelöst, jederzeit erhitzbar. Und ob Schachtjor Donezk irgendwann die Heimat wiedersieht. Kapitän Darijo Srna hat mal gesagt, "eines Tages wird der Krieg enden, wir werden zurückgehen nach Donezk und seine Straßen küssen". Aber was für ein Minenfeld der politische Konflikt für einen Fußballer sein kann, hat der Verteidiger Jaroslaw Rakizkij erfahren. Bei einem Qualifikationsspiel für die Europameisterschaft verzichtete er darauf, die Hymne der Ukraine zu singen, und ukrainische Medien zogen gegen ihn zu Felde, warfen ihm vor, mit den Separatisten zu sympathisieren, sich am liebsten auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim erholen zu wollen. Rakizkij sagte zu all dem dann nichts. Und auch die Klubführung gibt sich wortkarg. Sie ließ mehrere Anfragen für ein Gespräch ins Leere laufen, lehnte längere Spieler-Interviews ab. Als wäre der Verein auf der Hut in diesen empfindlichen Zeiten.

Es ist ja vieles durcheinandergeraten in den letzten Monaten. Viele Fans von Schachtjor haben wegen der Separatisten die Region verlassen, einige haben sich an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Armee beteiligt. Einmal, als Schachtjor noch in der Donbass-Arena spielte, waren bei einem Spiel gegen Mariupol gerade mal noch 18 000 Zuschauer. Es kam zu Spannungen zwischen Fans und Verein. Nicht nur, aber auch, weil der Präsident und Unternehmer Achmetow eine unklare Rolle im politischen Konflikt spielt. Er ist Opfer der Separatisten-Herrschaft, einerseits. Denn diese haben sich ja breit gemacht in seinem Revier der Bergarbeiter, der "Schachtjori". Aber es gibt auch Kritik, dass er sich nicht deutlich genug gegen sie stellt. In der Lwiw-Arena hat er sich bisher nicht sehen lassen.

Und so begegnen die Menschen im Westen der Ukraine dem Verein zwiespältig. Wissen nicht so recht, wofür der Klub aus dem Osten und sein reicher Präsident eigentlich stehen, außer für Erfolg und großartigen Fußball. Für manche Ukrainer steht Schachtjor stellvertretend für den russisch geprägten Osten, während es die Westukrainer, die Menschen in Lwiw, nach Europa zieht. Aber der Klub ist eben auch Opfer des Konflikts, entwurzelt. Jedenfalls: Die Ukraine im Tempel Champions League - das ist Schachtjor.

Die Separatisten der "Volksrepublik Donezk" rechnen offenbar nicht mehr mit dem Verein. Sie denken nach Berichten ukrainischer Medien schon darüber nach, in ihrem Herrschaftsgebiet einen neuen Klub zu gründen, einen "Volksklub Schachtjor". Umgekehrt gab es zuletzt Gerüchte, Schachtjor spiele schon mit dem Gedanken, sich in Lwiw einzurichten, weil es ein Zurück vorerst ohnehin nicht gibt. Aber Donezk dauerhaft in Lwiw, das wäre genau das, was Wolodymyr nicht will.

Wolodymyr, seinen Nachnamen will er nicht nennen, ist 27, ein schlaksiger junger Mann, der sich die Spiele von Schachtjor nicht entgehen lässt. Nicht in seiner Stadt. Er leitet in Lwiw den Fanklub von Schachtjor Donezk. Ein Fan der Schwarz-Orangen im Westen, das ist eine Rarität. Die wenigen, die im Spiel gegen Dnjepropetrowsk für Schachtjor klatschen, sind aus dem Osten geflüchtet, sind aus Kiew oder der Umgebung angereist oder mit organisierten Bussen aus Donezk. Wolodymyr hat mal zwei Jahre in Donezk gelebt, sein Großonkel war dort Bergmann. Aber er hat andere Gründe für seine Leidenschaft. Ihn hat es gepackt, als Schachtjor mal vor vielen Jahren in einem Champions-League-Spiel den FC Arsenal an den Rand einer Niederlage brachte, 2:0 führte, und dann doch noch verlor.

So ist das in der Ukraine: Wer die Champions-League-Hymne hören will, muss dorthin, wo Schachtjor Donezk spielt. Wolodymyr glaubt, die nächsten Jahre wird das Lwiw sein. "Aber wir Fans wollen, dass das zeitlich befristet ist." Er hofft, dass irgendwann die Separatisten das Feld vielleicht doch noch verlassen. Und Schachtjor wieder dorthin geht, wo es für ihn hingehört. Zurück von West nach Ost.

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