Folgen der digitalen Revolution:Ein neuer Kulturkampf

Datenschutz

Technischer Fortschritt gegen Privatsphäre, das scheint der Tauschhandel der Zukunft zu sein.

(Foto: dpa)

Das Internet verändert die Wirtschaft und das Leben der Menschen. Datenkonzerne erobern eine Welt, in der es keine Gesetze zu geben scheint. Der Staat hat vieles verschlafen.

Von Karl-Heinz Büschemann

Schon am frühen Morgen konnte Paul Schwartz das digitale Dilemma der Deutschen beobachten. Vor zwei Jahren war der Rechtsprofessor und Experte für Datenschutz von der kalifornischen Berkeley Universität nach München gekommen, um auf dem Juristentag über die Gefahren zu diskutieren, die von Internet-Konzernen wie Apple oder Google ausgehen. Er hatte sich gerade von seinem Hotel aufgemacht, um zum Laufen zu gehen, als er vor dem großen Apple-Store in der Münchner City die lange Schlange von Menschen sah, die vor der Ladentür für ein neues iPhone anstanden. "Das ist die Realität", sagt der Professor heute. "Die Juristen diskutieren im Kongresszentrum am Stadtrand über die Paragrafen, und in der Innenstadt haben die Menschen längst ihre Entscheidung getroffen."

Gut beobachtet. Die Sorge, dass die Internet-Konzerne mit den Daten, die ihre Nutzer ihnen freiwillig oder unbewusst liefern, Schindluder treiben, ist in Deutschland, seit den siebziger Jahren ein Stammland des Datenschutzes, besonders ausgeprägt. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) schlägt vor, den mächtigen Datenkonzern Google zu zerschlagen, weil der Nutzerdaten seiner Kunden ohne deren Wissen abgreife und sie für Werbung zu Milliardengewinnen macht.

Eltern warnen ihre Kinder davor, Persönliches über sich selbst auf Facebook oder ähnlichen Sozial-Medien zu verbreiten. Die Abhöraffäre des US-Geheimdienstes NSA, der im Netz offenbar alles abfischt, was er bekommen kann, stürzte den vermeintlichen großen Bruder Amerika bei den Europäern in eine vorher nie gekannte Vertrauenskrise. Und als kürzlich der Versicherer Generali seinen Kunden einen Rabatt auf ihre Versicherungsprämie anbot, wenn sie ihm ihre Gesundheitsdaten überließen, war ein neuer Gipfel der Empörung erreicht. Die Datenschutzbeauftragte des Bundes, Andrea Voßhoff, hält das Sammeln von Gesundheitsdaten durch Krankenkassen für "sehr problematisch".

Technischer Fortschritt gegen Privatsphäre

Daten, die im weltweiten Netz kursieren, sind nicht nur Hilfsmittel, die die Kommunikation verbessern und das Leben erleichtern. Sie sind für viele Menschen eine Bedrohung. Der technische Fortschritt im digitalen Zeitalter hat längst einen Kulturkampf ausgelöst. Technischer Fortschritt gegen Privatsphäre, das scheint der Tauschhandel der Zukunft zu sein. Das innovationsfreudige Amerika überschwemmt die gesamte Welt mit immer neuen Internet- und Daten-Diensten und Europa scheint in die Defensive zu geraten. Schon stoßen die Geschäfte der Datenkonzerne an die Grenzen des europäischen Rechts und die EU-Kommission werkelt fieberhaft an neuen Vorschriften für den Schutz von personenbezogenen Daten. Es geht die Furcht um, Europa werde im weltweiten Wettbewerb der Technologiefirmen abgehängt.

Muss unser Datenschutzrecht geändert werden?

Ja, sagt Ulrich Baumgartner, Anwalt der internationalen Anwaltskanzlei Osborne Clarke in München. "Das heutige Datenschutzrecht geht an der Realität vorbei". Die bisherigen Vorschriften seien so schwammig oder veraltet, dass nur noch erfahrene Anwälte ihren Firmenkunden sagen könnten, welche Geschäftsmethoden von Gerichten oder Behörden akzeptiert würden und welche nicht. Der Anwalt beklagt "Gummiparagrafen". Viele Anforderungen der Behörden oder der Gerichte an Unternehmen zum Schutz der Daten von Bürgern, seien "übertrieben" oder in der Praxis kaum oder gar nicht umsetzbar.

Eine der größten Niederlagen

In Europa, wo Datenschutz ein hochsensibles Recht ist, haben die großen Internetfirmen des amerikanischen Typs inzwischen keinen leichten Stand mehr. In diesem Jahr hat der Mega-Konzern Google einen Rückschlag erlitten, nachdem der Europäische Gerichtshof einem Spanier das Recht eingeräumt hat, aus den großen Computern von Google gestrichen zu werden. Dieses als "Recht auf Vergessen" bekannt gewordene Urteil, gehört zu den größten Niederlagen des Datenkonzerns, das Juristen aufhorchen ließ.

Offenbar ist doch etwas zu machen, gegen die Macht der Big-Data-Maschinen, die den Globus zu überrollen scheinen, und das Internet offenbar am liebsten zum rechtsfreien Raum erklären würden, in dem nur die Macht des Profits zu zählen scheint. Im Januar wird der Konzern auch seinen Nachrichtendienst Google News in Spanien einstellen, weil er sich weigert, den Verlagen für die darin verbreiteten Inhalte eine Gebühr zu zahlen. Missmutig spricht die amerikafreundliche Financial Times von einem "zunehmend feindlichen rechtlichen und politischen Umfeld" für solche Unternehmen in Europa.

Darüber beklagt sich auch Alexander Dobrindt (CSU), der als Ressortchef für Verkehr und digitale Infrastruktur in der Bundesregierung eine Art Zukunftsminister ist. Die deutsche Auffassung von Datenschutz gehe zu weit, sagt er, sie sei ein "Hemmschuh für neue Geschäftsmodelle". Die Deutschen mögen sich mehr an den Amerikanern orientieren. Für den Politiker aus dem IT-freundlichen Bayern ist das Sammeln von stetig wachsenden Datenmengen samt der intelligenten Auswertung eine Schlüsseltechnologie, die über den Wohlstand eines Landes entscheide. Deutschland drohe mit seinem Datenschutzverständnis eines Tages "auf der Verliererseite zu stehen", so der Minister.

Im Netz wirke manchmal mehr das Recht des Stärkeren und des Schnelleren

Das sehen nicht alle so. Indra Spiecker genannt Döhmann, Rechtsprofessorin und Expertin für Datenschutz an der Frankfurter Universität, ist der Meinung, Gesetze zum Schutz persönlicher Daten hätten etwas Gutes. Es sei vielfach möglich mit den Mitteln des Rechts dem Missbrauch von persönlichen Daten entgegenzuwirken. Allerdings gebe es einen Mangel, und für den sei neben den Nutzern auch der Staat mitverantwortlich. Der sei mit seiner viel zu schwachen personellen Ausstattung kaum noch in der Lage, Verstöße großer Konzerne wie Google, Amazon oder Facebook zu verfolgen. "Es gibt ein starkes Vollzugsdefizit", so das Urteil der Professorin.

So komme es vor, dass im Netz manchmal mehr "das Recht des Stärkeren und des Schnelleren" wirke. Hebeln die Internet-Firmen den Rechtsstaat aus? Die Professorin warnt: "Wenn wir das Vollzugsdefizit nicht beheben, kann das passieren". Viele Internetfirmen schafften im Netz mit neuen Geschäften einfach Fakten an Nutzern und Recht vorbei, sagt Spiecker. Sie warteten so lange, bis sich jemand beschwert und klagt. Für Sache sei das rational: Ein Unternehmen wäge die Kosten eines Geschäftsmodells gegen die Chancen ab. "Die Kosten steigen, wenn man damit rechnen muss, dass Rechtsverstöße geahndet werden." Man müsse Rechtsverstöße im Internet nicht ergeben hinnehmen, das vergleichsweise strenge deutsche oder europäische Datenschutzrecht stehe aber dem Fortschritt in der Industrie auch nicht im Wege.

Datenflüsse in Wirtschaft und Gesellschaft, seien "datenschutzkonform machbar." Google und andere Datenkonzerne werden sich aber wohl weiter über das europäische Verständnis von Datenschutz beklagen, das vielen ihrer Geschäfte entgegensteht und weitergehend ist als in den USA. Es kann aber auch notwendig sein, dass die Politiker in Berlin und Brüssel ihre Vorstellung von Datenschutz überdenken müssen. So sieht es der amerikanische Datenschutzexperte Schwartz aus Berkeley, das in der Nähe des Silicon Valleys liegt, von wo viele der fixten Internetfirmen ihren Siegeszug um die Welt antreten. Schwartz, der bei dem deutschen Datenschutz-Pionier Spiros Simitis in Frankfurt studierte, kommt zu dem Ergebnis, dass technische Entwicklung im Internet "eine Herausforderung für das Recht" bedeutet. Das Gesetz könne nicht ignorieren, was sich auf dem Markt abspiele, sagt der Amerikaner . Das Gesetz müsse sich den gesellschaftlichen Veränderungen anpassen, sagt Schwartz. "Wenn das Recht wirksam sein will, muss es die Realität in Betracht ziehen". Werde die Kluft zwischen Realität und Recht zu groß, sei das Gesetz nur noch Schaufensterrecht: "Das ist gefährlich."

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