Feministisches Burn-out:#Aufschrei bis zur Erschöpfung

Suffrage Signs

Sufragetten, die frühen Vorkämpferinnen für Frauenrechte, demonstrieren in Wien im Jahr 1911

(Foto: Getty Images)

Der Feminismus ist müde, ist derzeit oft zu lesen, seine Aktivistinnen vom Burn-out bedroht - weil es an aktuellen Themen und Visionen mangelt. Es ist aber auch die ewige Debatte um das Image der Bewegung, an der sich ihre Anhänger abarbeiten.

Von Violetta Simon

Hätte man es wissen müssen? Gab es Anzeichen für diese Tragödie? Den Feminismus hat es erwischt: klassischer Fall von Burn-out. Seine Anhängerinnen fühlen sich ausgelaugt und unendlich müde. Allen voran die Meinungsführerinnen.

Wenn man Katrin Gottschalk, Chefredakteurin des feministischen Magazins Missy, glauben darf, ist es jedoch weniger ihr beharrlicher Einsatz als vielmehr das permanente Reflektieren über den Feminismus selbst, das seine Aktivistinnen in diesen Erschöpfungszustand versetzt. Weil sie in den Debatten um sich selbst kreisen und das eigentliche Ziel aus den Augen verlieren.

Nun ist es ja nicht so, dass sich die Feministinnen zurücklehnen in dem Glauben, man könne sich die Mühe sparen, weil sie ohnehin vergeblich sei. Oder weil wir bereits in völliger Gleichberechtigung der Geschlechter lebten. Vielmehr ackern die Aktivistinnen ohne Unterlass - nur leider nicht auf inhaltlicher Ebene. Denn nach wie vor sind sie gezwungen, sich vorwiegend mit ihrem Selbstverständnis und ihrer Außenwirkung auseinanderzusetzen.

Im Missy-Magazin beklagt Gottschalk, dass Autoren und Medien sich am Image des Feminismus abarbeiten würden, statt sich mit der Sache zu beschäftigen. Und verweist dabei unter anderen auf die Autorin Meredith Haaf, die eine "publizistische Feminismusverbesserungs-Industrie" für die große Lähmung verantwortlich macht: Die Frage, wie die Gesellschaft gerechter werden kann, sei längst verdrängt worden von der Frage, was an dieser Bewegung "unangenehm, abschreckend oder kompliziert" sei.

Aktuelles Beispiel: Auf die Frage, warum sich ihrer Meinung nach so wenige Menschen für den Feminismus engagieren, antwortete Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz: Das liege wahrscheinlich daran, dass die Leute dabei noch immer an "Frauen in lila Klamotten und irgendwelchen komischen Schuhen denken".

Zwischen Euphorie und Verdammung

Etwas läuft also schief in der Feminismusdebatte. Das findet auch Meredith Haaf. Ihr zufolge bewegt sich der Geschlechterdiskurs häufig zwischen Euphorie und Verdammung. Die Autorin belegt ihre Kritik unter anderem anhand des feminismuskritischen Buchs "Tussikratie" von Theresa Bäuerlein und Friederike Knüpling. Die Autorinnen geißeln den Feminismus darin für vermeintlich abschreckende Achselhaar-Assoziationen und üben sich in männerverstehender Feminismuskritik. In der Einleitung versichern sie, "weder frauenfeindlich noch antifeministisch" zu sein. Nur um dann, so urteilt Haaf, alles, was sie schlecht finden, in einer Horrorfrau zu versinnbildlichen, die es gar nicht gibt.

Von ihrer Kritik nimmt sich Haaf auch selbst nicht aus, sondern bezichtigt sich vielmehr, als Co-Autorin des 2008 erschienenen Buches "Wir Alphamädchen" einen erheblichen Anteil an der unerfreulichen Entwicklung zu haben. Inzwischen sei ihr klar, dass sie nicht "schon Teil der Lösung - sondern noch Teil des Problems war, um das es hier geht".

Teresa Bücker, Redaktionsleiterin des Internet-Portals editionf.com, beschreibt das Phänomen in der Online-Ausgabe der Wochenzeitung Der Freitag unter dem vielsagenden Titel "#müde": Das "feministische Burn-out" sei mehr als eine vorübergehende Lustlosigkeit. "Es ist die Depression der Aktivistin - eine Enttäuschung und Erschöpfung, die so manchem Betroffenen den Aktivismus schon verleidet hat."

Das Tempo hat angezogen

Die (Selbst-)Kritik, dass der Feminismus um sich selbst kreise, dass er sich in akademischen Debatten verheddere und seine Diskurse ohnehin viel zu elitär seien, ist wahrlich nicht neu. Neu aber ist das Tempo. Und das dürfte auch einer der Gründe für die Erschöpfung sein, die auch unter der internationalen Bezeichnung "Activist Burn-out" bekannt ist. Die Geschwindigkeit, in der sich die feministischen Generationen ablösen, ist enorm. Seit Alice Schwarzer hat sich einiges getan, doch in den vergangenen zehn Jahren hat das Tempo noch mal deutlich angezogen: 2006 mischte Thea Dorns "F-Klasse" die Siebziger-Jahre-Frauenbewegung auf, 2008 warben die bloggenden "Alphamädchen" für einen lustbetonten, selbstbewussten Feminismus. Inzwischen wird der Herzschlag der Bewegung bestimmt von der Frequenz der Verlautbarungen in sozialen Netzwerken - der so genannte Twitter-Feminismus, verkörpert unter anderem durch #Aufschrei-Initiatorin Anne Wizorek.

Nicht zuletzt durch seine virale Verbreitung gerät der Feminismus - wie jede andere Form von Aktivismus heutzutage auch - mitunter zu einer kräftezehrenden Angelegenheit. Das Netz sei ein politischer Raum geworden, der intellektuell und seelisch fordernd sein könne, beschreibt Aktivistin Bücker das Umfeld des gegenwärtigen Netz-Feminismus. Funktionieren könne das Engagement nur, wenn die Community, in der sich eine Aktivistin bewege, ihr den nötigen Schutz bietet. Dass leider nicht selten das Gegenteil der Fall ist, zeigte unter anderem der Fall der britischen Feministin Caroline Criado-Perez. Außerdem, schreibt Bücker, müsse die Community wachsen und Strategien entwickeln, um ihre Ziele zu erreichen.

Doch auch das mit der Strategie ist nicht so einfach. Das letzte Mal verfolgte der Feminismus im Jahr 2013 ein gemeinschaftliches Anliegen. #Aufschrei erreichte auch Menschen, die sich noch nie bewusst für die Gleichstellung eingesetzt hatten. Seither jedoch gab es keine Aktionen mehr, die über vergleichbare Symbolkraft verfügt hätten.

Bücker zufolge fehlt es dem Feminismus derzeit an einem aktuellen Aufreger, an konkreten Themen, von denen sich die Medien mitreißen ließen. Darüber hinaus sei derzeit eine profilierte Community, die der Bewegung einen vergleichbaren Schub verleihen könnte, nur schwer auszumachen.

War's das?

Auch Anne Wizorek glaubt, dass es das nicht gewesen sein kann, ihre Erkenntnisse hat sie in dem Buch "Weil ein #Aufschrei nicht reicht - für einen Feminismus von heute" versammelt. Doch der Wunsch nach einer breiteren gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Geschlechterdebatte allein dürfte ebenso wenig reichen. Doch wie den Teufelskreis durchbrechen aus Frustration über mangelnden Ideen und mangelnde Ideen, die zu Frustration führen? Lamentieren? Aufgeben? Kämpfen?

Vor zwei Tagen hat sich die Autorin Hannah Lühmann in der Online-Ausgabe der Zeit eine neue Ästhetik der feministischen Bewegung heraufbeschworen. Ein weiterer verzweifelter Versuch der Selbstbespiegelung, der die Bewegung am Fortkommen hindert? Eine weitere sinnlose Hasstirade auf das humorlose, verbiesterte Image der Feministinnen?

Mitnichten. In ihrem Text schreibt sich Lühmann von der Seele, was am Feminismus nervt, fordert die Aktivistinnen dazu auf, die Sache mit mehr Humor anzugehen. Bezeichnet die #Aufschrei-Bewegung als ungenügend und unproduktiv, wünscht sich mehr Intellektualität im Feminismus-Diskurs. Dafür erntete sie viel harsche Kritik, aber auch viel Lob. In jedem Fall trifft Lühmann damit einen Nerv.

Wer weiß, vielleicht täte es dem Feminismus gut, wenn die Debatten um sein Image verstummen würden, damit er das tun kann, was einer Bewegung zusteht: sich bewegen. Damit diese Selbstbespiegelungsdebatte aber verstummen oder zumindest leiser werden kann, müssten jene, die sie führen, schweigen. Damit jene hörbar werden, die etwas Inhaltliches zu seiner Entwicklung beitragen.

Warum nicht der Devise folgen: Wenn man nichts Konstruktives beizutragen hat - einfach mal die Klappe halten. Einen Versuch wäre es wert. Und es wäre eine Wohltat für all die ebenfalls erschöpften Leser oder Zuhörer solcher "Ihr-seid-doch alle"- und "So-wie-du-es-sagst-sind-wir-nicht"-Beiträge.

All die anderen erschöpften Netz-Feministen und -Feministinnen sollten aufhören, über jedes Stöckchen zu springen, das ihnen die "publizistische Feminismusverbesserungs-Industrie" hinhält.

In der Zwischenzeit dürfen sie das tun, was jeder vernünftige Burn-out-Patient tut: Entspannen. Ausloggen. Abschalten. Sie werden ihre Kräfte noch brauchen.

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