CIA-Dokument:Anleitung zum gezielten Töten

CIA-Hauptquartier

Das CIA-Dokument trägt den schlichten Titel "Beste Praktiken bei der Aufstandsbekämpfung".

(Foto: dpa)
  • Ein geheimes Dokument, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, zeigt, wie rücksichtslos bei der CIA gedacht wird, wenn es ums Morden geht.
  • Das Dokument trägt den schlichten Titel "Beste Praktiken bei der Aufstandsbekämpfung".
  • Es ist ein Dokument des Grauens, das mit aller sprachlichen Gewalt die Benennung von Mord und Totschlag umgeht.
  • Menschen kommen in diesem Papier nicht vor, sondern nur Gegner, und auch die nur in Gestalt von "Zielen" oder "Zielpersonen".

Von John Goetz und Willi Winkler

"Sein Plan war ein streng geheimes Memo, vom Stellvertretenden Direktor der Pla-nungsabteilung an ausgewählte Mitglieder des Senior Study Effort, datiert vom Mai 1961. Es betraf die Ermordung fremder Staatsoberhäupter aus philosophischer Sicht. (. . .) Terminate with extreme prejudice." Don DeLillo, "Sieben Sekunden" (1988)

Ohne Befehl von oben darf auch der tapferste Soldat nicht ins Feld. Captain Ben Willard, kriegsmüde und gleichzeitig tatendurstig, erhält zu Beginn des Kriegsfilms "Apocalypse Now" einen Geheimbefehl. Ganz tief im Dschungel treibt ein amerikanischer Oberst sein Unwesen, er gehorcht nicht mehr, hört auf keinen Befehl, führt sein eigenes kleines Königreich. Willard soll ihn aufspüren und sein Kommando "beenden". Willard fragt nach, will wissen, wie dieses "beenden" - terminate - zu verstehen sei. Und ein Mann in Zivil, ohne Zweifel ein Herr von der CIA, sagt es ihm so sachlich, als ginge es tatsächlich nur um eine Vertragsauflösung: "Beenden, und zwar absolut rücksichtslos."

"Apocalypse Now" ist natürlich nur ein Film, ein Film über den längst verlorenen Vietnamkrieg, vielfach ausgezeichnet zwar, aber letztlich ein Spektakel von vorgestern. Doch ein geheimes Dokument, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt und nun von Wikileaks veröffentlicht wird, zeigt, wie rücksichtslos bei der CIA gedacht wird. Terminiert wird beim amerikanischen Geheimdienst bis heute.

Titelobtik Feuilleton vom 19.12.2014

"Bewährte Verfahren der Aufstandsbekämpfung" - hinter dem bürokratischen Jargon der Studie verstecken sich Abgründe. Denn die USA haben historisch lange Erfahrungen mit der "Neutralisierung" mächtiger Feinde gemacht.

(Foto: SZ)

"High-Value Targeting"-Praxis bei der CIA

Das Dokument trägt den schlichten Titel "Beste Praktiken bei der Aufstandsbekämpfung", kommt aber schon in der Unterzeile zur Sache: "Wie man Operationen mit hochwertiger Zielauswahl zu einem effektiven Mittel der Aufstandsbekämpfung macht". Entstanden ist das Papier über das "High-Value Targeting" im Office of Transnational Issues (OTI), das sich auf der Website der CIA damit rühmt, es habe "einzigartige funktionale Sachkompetenz anzubieten, um bestehende und entstehende Bedrohungen für die Sicherheit der USA einschätzen zu können".

Adressaten dieser Sachkompetenz, heißt es wie im Werbeprospekt einer mittelprächtigen Consulting-Firma, seien höchstrangige Politiker, militärische Planer und die Strafverfolgungsbehörden. Aber nirgends in dem Geheimpapier steht, worum es in Wahrheit geht und was diese ganzen großartigen Wörter verschweigen: "Targeting" steht hier für nichts anderes als den geplanten Abschuss von führenden Aufständischen, von Revolutionären und Terrorchefs.

Es ist ein Dokument des Grauens, aber nicht, weil ständig die Rede von Mord und Gemetzel wäre, sondern weil das Thema mit aller sprachlichen Gewalt vermieden wird. Die erschreckenden Details, die der Folterbericht des amerikanischen Senats in der vergangenen Woche in aller Deutlichkeit vorgestellt hat, lassen einen vergessen, dass Waterboarding und Schlafentzug keineswegs die einzigen Methoden sind, die dem amerikanischen Geheimdienst zur Verfügung stehen. Bei aller Liebe, die die wechselnden amerikanischen Regierungen für militärische Juntas und Diktatoren zeigten, zögerten sie doch nie, sich jener Machthaber zu entledigen, die nicht mehr nützlich oder antikommunistisch genug schienen.

Lateinamerika - der "Hinterhof" der USA

So musste 1961 Rafael Trujillo in der Dominikanischen Republik dran glauben, oder zwei Jahre später der südvietnamesische Staatspräsident Ngo Dinh Diem. Die vielen vergeblichen Versuche, den verhassten kubanischen Máximo Líder Fidel Castro mit explodierenden Zigarren oder vergifteten Füllfederhaltern umzubringen, sind so legendär, wie sie erfolglos waren. Lateinamerika galt den USA schon immer als ihr "Hinterhof".

Die Aufsichtsbehörde in Washington mochte es denn auch nicht dulden, dass Chile 1970 den Sozialisten Salvador Allende zum Staatspräsidenten wählte. Drei Jahre später, am 11. September 1973, putschte ihn das von nordamerikanischen Beratern unterstützte Militär aus dem Amt. Allende beging Selbstmord, während der Präsidentenpalast bombardiert wurde. Ziel erreicht.

Die CIA war dabei immer gern behilflich. Politischer Mord, Folter, Vertreibung schufen eine verheerende Unkultur des Todes, oder wie Tim Weiner es in "Legacy of Ashes", seiner Geschichte der CIA, beiläufig formuliert: "Die CIA war ein Totenschädel mit einem Budget von einer Milliarde Dollar." Das stimmt natürlich heute nicht mehr, denn der Etat hat sich seit den Sechzigern vervielfacht, und die politisch sanktionierte Mordlust hat kaum abgenommen.

Keine Angestellten des Staates sollen sich am Morden beteiligen

Am 4. Dezember 1981 weitete US-Präsident Ronald Reagan mit der executive order Nr. 12333 die Befugnisse der amerikanischen Geheimdienste aus, untersagte aber gleichzeitig in feierlichstem Ton weitere Mordanschläge: "Niemand, der bei der Regierung der Vereinigten Staaten angestellt ist oder in ihrem Auftrag arbeitet, soll sich an Attentaten oder deren Vorbereitung beteiligen." Wie wenig die USA bereit waren, sich an diese Vorschrift zu halten, bewiesen sie, als unter demselben Präsidenten die Häfen von Nicaragua vermint wurden.

1984 wurde ein fünfzehnseitiges "Handbuch für Freiheitskämpfer" bekannt, mit dem die CIA den Contras bei ihrem Aufstand gegen die Regierung der Sandinisten helfen wollte. Es sei möglich, heißt es da, "sorgfältig ausgewählte und bedachte Ziele wie Richter, Polizisten und Staatsschutzbeamte etc. zu neutralisieren". Als Nicaragua die USA beim Internationalen Gerichtshof in den Haag verklagte und sogar Entschädigung zugesprochen bekam, erklärten die USA, keine Urteile aus Den Haag mehr anerkennen zu wollen.

Reagan tat das freiheitstrunkene Papier mit einem Shakespeare-Titel ab: "Viel Lärm um Nichts". Um dieses angebliche Nichts - wie gesagt, es geht ums Töten - sollen möglichst wenige und möglichst harmlose Worte gemacht werden. Wie das terminate ist auch das "Neutralisieren" ein scheinwissenschaftlicher, aber umso brutalerer Euphemismus für das sonst übel beleumdete Geschäft des Tötens.

Dass Morden eine Kunst sei, hätte in früheren Jahrhunderten der dafür bestallte Henker ohne Weiteres bestätigt. Dass es sich dabei um eine politische Wissenschaft handelt, beweist dieses neue Geheimpapier, in dem sie mit kissingerscher Coolness vorgetragen wird. Es ist ja auch eine Referentenvorlage für den tatsächlichen Gebrauch in der Exekutive. Für Insider ist eine E-Mail-Adresse und sogar eine Telefonnummer angegeben, denn Diskussionsbeiträge und Verbesserungsvorschläge sind in Bürokratien wie dem Geheimdienst immer willkommen. Für den schnellen Gebrauch in einer Power-Point-Präsentation in Langley oder in Fort Bragg sind die entscheidenden Argumente in Spiegel-Punkte sortiert:

"- Erwünschtes Ergebnis benennen

- Entscheidungen fällen aufgrund Kenntnis der internen Strukturen bei den Aufständischen

- HVT-Operationen mit anderen Elementen der Aufstandsbekämpfung verknüpfen usw."

Camouflierte Vorhaben

Überraschend oder gar neu daran ist nicht, dass die CIA darüber nachdenken lässt, wie nützlich es ist, ohne Rechtsgrundlage Menschen umzubringen. Sondern die Art, wie das Vorhaben camoufliert wird. Es könnte ja auch sein, wird da überlegt, dass man auf das Eliminieren der erwähnten Ziele verzichten wolle. Die CIA-Strategen sind da offen für alles, sie machen ja nur wissenschaftlich fundierte Vorschläge. Menschen kommen in diesem Papier naturgemäß nicht vor, nur Gegner, und auch die nur in Gestalt von "Zielen" oder "Zielpersonen". Immerhin wird den Opfern die Ehre zuteil, dass ihnen ein high value zugestanden wird, dass es sich also um hochwertige Ziele handelt, aber damit ist nur gemeint, dass den höchstrangigen Politikern und militärischen Planern, die das CIA-Papier lesen sollen, ebenso hochrangige Zielpersonen vor die Flinte geschoben werden.

Es irritiert der wissenschaftliche Jargon, zu dem auch gehört, dass (fast) alle Behauptungen durch Fußnoten und Literaturhinweise abgesichert werden. Das Papier offenbart seine besondere Brutalität in seinem um äußerste Sachlichkeit bemühten Stil. Die CIA verfügt offensichtlich über genügend historisch gebildete, wissenschaftlich geschulte Mitarbeiter, die um keinen Vergleich mit den algerischen Aufständischen des FLN oder dem von der IRA Jahrzehnte lang geführten irischen Bürgerkrieg verlegen sind.

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Sie haben genug Zeit, sich eingehend mit früheren Konflikten auseinanderzusetzen, um Ratschläge für aktuelle und künftige Auseinandersetzungen zu liefern. Gestützt sowohl auf interne Papiere wie auf Forschungsliteratur wird durchdekliniert, wie erfolgreich die Aufstandsbekämpfung zum Beispiel gegen die IRA, gegen die Hamas oder al Qaida verlaufen ist, vor allem wenn sie sich des High-Value Targeting (HVT) bedienen konnte, sich also um "Operationen gegen bestimmte Einzelpersonen oder Netzwerke" handelte.

Akademiker, die sich nicht der Sprache der Folterknechte bedienen

Die sprachliche Brutalität steht in der Tradition des Behaviorismus, des Milgram-Experiments, der Auslöschungsstatistiken des Kybernetikers Herman Kahn, ein Dr. Seltsam, der im Namen strengster Sachlichkeit mit seiner Inhumanität auffiel.

Die Akademiker, denen diese Handreichung für Politik, Militär zu verdanken ist, bedienen sich niemals der Sprache der Folterknechte von Abu Ghraib oder Guantanamo, es ist nicht einmal die betonharte Argumentation des unverbesserlichen Dick Cheney, sondern Technokratie in schönster Blüte, die Möglichkeit, alles denken, alles auch sagen zu können.

Da von Töten, Ermorden, Auslöschen, Umbringen oder ähnlich schlimmen Dingen nicht gesprochen werden kann, kommen euphemistische Begriffe ins Spiel. Das Töten wird klinisch sauber, eine bloße strategische Überlegung. Dass dieser quasi chirurgische Eingriff nicht immer funktioniert, führen die Autoren selber am Beispiel des algerischen Bürgerkriegs vor, wo es den Franzosen gelang, die Häuptlinge des FLN im Flugzeug zu entführen, dafür aber radikalere Kämpfer den Bürgerkrieg gegen Frankreich fortsetzten und endlich die Unabhängigkeit Algeriens erzwangen. Die Ergreifung Abimael Guzmáns vom Sendero Luminoso wird als bestes Regierungshandeln bezeichnet, aber es wird kein Beleg dafür erbracht.

Die Studie ist historisch einigermaßen fundiert und erkennt sehr wohl, dass die gezielte Tötung von Anführern auch das Gegenteil des erwünschten Effekts haben kann, dass nämlich die Unterstützung für die Aufständischen durch gezieltes Töten eher größer wird als abzunehmen. Es finden sich auch ganz vernünftige Überlegungen wie die, dass man auf die inneren Spannungen einer aufständischen Gruppe bauen könne und sich mit den gemäßigten und eher politisch Orientierten zusammentut, um gemeinsam die Radikalen zu bekämpfen.

Auf das nächstliegende, zudem das erfolgreichste Beispiel für "strategisches Enthaupten" haben die anonymen Autoren verzichtet. Kein Wunder, denn es würde zeigen, wie drastisch und jenseits von Recht und Gesetz die USA im Zweifel vorgehen. Im Frühjahr 1967 war es der bolivianischen Regierung gelungen, den Verbleib des ehemaligen kubanischen Industrieministers zu klären.

Che Guevara die Hände abgehackt

Ernesto Guevara hielt sich mit einem zerlumpten Haufen in den Bergen auf und versuchte wenig erfolgreich, die Campesinos zu agitieren. Der Große Bruder im Norden wurde alsbald informiert und zu Hilfe gerufen. Unterstützt von exilkubanischen Beratern verfolgten bolivianische Soldaten den ausgezehrten Guerillero. Nach einer Verwundung war er leicht gefangen zu nehmen und wurde dann auf Weisung aus der Hauptstadt erschossen. Ganz sicher, ob man den Richtigen erwischt hatte, war man sich in Washington nicht und bat um Fingerabdrücke. Der Einfachheit halber wurden Che Guevara gleich die Hände abgehackt.

Die Mordstrategen von der CIA führen einen Inneren Dialog mit sich: Sollen wir "zielen" und "enthaupten"? Und wenn wir uns entschlossen haben (denn natürlich können wir es): Was bringt uns das Umbringen? Als Mittel der Wahl, das zeigt nicht nur dieses Papier, sondern der selbstverständliche Einsatz von Drohnen, ist der politische Mord Tagesgeschäft.

Moralische Skrupel sind den Autoren fremd, davon haben sie zuletzt vielleicht in Yale, Harvard oder Stanford gehört, als im Literaturkurs Raskolnikow durchgenommen wurde. Selbst so neumodische Überlegungen wie das Völkerrecht oder sei's ganz allgemein die Einhaltung der Menschenrechte haben in dieser Machbarkeitsstudie keinen Platz. Es geht allein um das "strategische Enthaupten". Was man zählen kann, muss man zählen, hat Robert McNamara zu Zeiten des Vietnamkriegs verkündet. Hier heißt das Motto: Wenn es den Vereinigten Staaten nützt, sollte man töten, wen man töten kann.

Umdeutung der Worte hat historische Tradition

1946, nach Stalins "Säuberungen", nach Hitlers "Endlösung", nach der ganzen Umwertung aller Worte, war sich George Orwell sicher, dass auch diese unter den politischen Verhältnissen der Diktatur gelitten habe, denn "die Sprache der Politik legt es darauf an, Lügen als Wahrheit und Mord als ehrenwert erscheinen zu lassen". Aber gut, was wusste Orwell schon von den Sprachkünstlern der CIA?

Francis Ford Coppola, der Regisseur von "Apocalypse Now", hatte übrigens 1975 das amerikanische Verteidigungsministerium aufgesucht und sich nach der Möglichkeit erkundigt, Unterstützung für seinen Film zu bekommen: Flugzeuge, Hubschrauber, Waffen. Er plane ja keinen Anti-Kriegsfilm, versicherte er, seiner sei zutiefst "pro-menschlich und deshalb pro-amerikanisch".

Als er das Drehbuch vorlegte, wurde ihm unter anderem vom damaligen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld beschieden, dass er keinerlei Unterstützung erwarten könne, solange er sein Drehbuch nicht umschreibe. Der Befehl an Willard könne allenfalls lauten "untersuchen und dann die entsprechenden Maßnahmen ergreifen". So etwas wie "terminate", nein, so etwas gebe es nicht.

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