Weltwirtschaft:Gefährlicher Teufelskreis

Inside OAO Lukoil's Nizhegorodnefteorgsintez Oil Refinery

Gefährlicher Schmierstoff für die Weltwirtschaft: Öl-Proben in einer Lukoil-Raffinerie

(Foto: Bloomberg)
  • Seit Juni ist der Ölpreis um fast 50 Prozent gefallen.
  • Ökonomen halten das für ein Konjunkturprogramm in den Industrieländern.
  • Doch billiges Öl kann eine Gefahr sein.
  • Die Börsen signalisieren bereits, dass der Preisverfall auch für große Risiken steht.
  • Vor allem die von Öl-Exporten abhängige russische Wirtschaft ist ein Risiko.

Von Karl-Heinz Büschemann, Markus Balser, Berlin, Björn Finke, London, und Kathrin Werner, New York

Offenbar hat der US-Autokonzern General Motors die Produktion seines Monstergeländewagens Hummer zu früh eingestellt. Gerade erlebt das Auto, das ein Symbol für die sprichwörtliche amerikanische Spritverschwendung stand, ein Comeback. Laut Gebrauchtwagen-Seite Autotrader.com ist bei keinem Auto die Nachfrage zuletzt so stark gestiegen wie bei dem kantigen Gefährt, das optisch einem Armeefahrzeug ähnelt und auf 100 Kilometer 24 Liter Benzin verschlingt. Der billige Sprit macht es möglich. "Die Leute kaufen vor allem große Autos und Trucks, Kleinwagen und Elektroautos haben es schwer", sagt George Magliano vom Analysehaus IHS.

Was lange undenkbar schien, verändert derzeit mehr als nur die Autokonjunktur: Weltweit halten Ökonomen die zurzeit günstigen Rohölpreise für ein Konjunkturprogramm in den Industrieländern. "Fallende Ölpreise und ein sinkender Euro-Kurs bescheren die deutsche Wirtschaft zur Weihnachtszeit", sagte Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn. Auch die Briten jubeln. "Großbritannien wird in diesem Jahr drei Prozent Wachstum erreichen, vielleicht auch etwas mehr", frohlockt eine Londoner Zeitung. Wichtiger Grund: das günstige Öl.

Doch Politiker und Konjunkturforscher reiben sich möglicherweise zu früh die Hände. Die Börsen signalisieren bereits, dass der Preisverfall des Schmierstoffs für die Weltkonjunktur auch für große Risiken steht. Ihr hektisches Auf und Ab der vergangenen Wochen ist ein Zeichen wachsender Unsicherheit. Billiges Öl kann eine Gefahr sein, nicht zuletzt, weil der niedrige Barrelpreis die russische Wirtschaft in schwere Turbulenzen bringt.

Schon melden sich warnende Stimmen. Denn sinkende Ölpreise sind auch die Folge schwacher Konjunktur und zugleich Gift für das Wachstum. So alarmiert der Verfall der Ölpreise die Europäische Zentralbank (EZB). Deren Vizechef Vítor Constâncio warnt vor einem möglichen Abrutschen der Preise. Es drohe "ein gefährlicher Teufelskreis aus sinkenden Preisen, steigenden realen Lohnkosten, sinkenden Gewinnen, schrumpfender Nachfrage und weiter sinkenden Preisen", sagte er der Wirtschaftswoche.

Seit Juni ist der Ölpreis um fast 50 Prozent gefallen. Die Opec erwartet, dass die Nachfrage nach Öl 2015 auf den schwächsten Wert seit 2003 fallen könnte. Das Überangebot können sich sogar noch verschärfen. Gerade den Ölförderländern drohen Turbulenzen. Der Preisverfall erlege den betroffenen Staaten "erhebliche wirtschaftliche Lasten" auf, warnte am Sonntag der Energieminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Suhail al-Masruei.

Gefahren für die Weltwirtschaft gehen dabei vor allem von Russland aus. Die Kombination von abstürzendem Rubelkurs, fallender Börse und sinkendem Ölpreis erinnert an das Beben in Schwellenländern vom Ende der 90er-Jahre. Auch damals wurde Russland zum Problem. Auch damals wirkten fallende Ölpreise als Brandbeschleuniger einer Krise, die sich über mehrere Jahre erstreckte und ganze Volkswirtschaften in die Depression stieß. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sieht die Wahrscheinlichkeit einer Staatspleite Russlands bereits bei 33 Prozent.

Auch Deutschland, die Euro-Zone und viele Schwellenländer wären davon betroffen. "Zu glauben, dass Russland isoliert bleiben könnte, wird sich wohl als eine Illusion herausstellen", meint Fratzscher. Eine schwere Rezession in Russland würde nach Ansicht des DIW die Konjunktur in Deutschland bremsen. Wenn die russische Wirtschaft 2015 um rund fünf Prozent schrumpfte, würde die Wirtschaft hierzulande weniger stark wachsen als bisher erwartet, erklären DIW-Ökonomen.

Der amerikanischen Volkswirtschaft hat der niedrige Ölpreise bisher noch keinen großen Auftrieb gegeben. Er hat sogar für schlechte Stimmung gesorgt. Aktionäre verkaufen im Moment ihre Aktien, die mit Öl zu tun haben. Der Aktienkurs von Amerikas größtem Öl- und Gaskonzern ExxonMobil ist in den vergangenen sechs Monaten um 9,8 Prozent gesunken. Das hat Milliarden an Marktwert vernichtet. Andere Ölkonzerne hat es noch härter getroffen: Der Chevron-Unternehmenswert ist in den zurückliegenden sechs Monaten um fast 15 Prozent gefallen.

Niedrige Barrelpreise verschlechtern die Aussichten der Ölindustrie, sie machen die Förderung weniger profitabel und bremsen die Erforschung neuer Vorkommen. Vor allem das Fracking, die Fördertechnik, die den neuen Ölboom in den Vereinigten Staaten erst ausgelöst hat, leidet darunter. Es ist teuer, das Öl mit Wasser und Chemikalien aus den einst unzugänglichen Schieferschichten hervorzupressen. Für viele Förderunternehmen lohnt sich das laut Experten nicht mehr, wenn der Ölpreis unter 65 Dollar pro Fass fällt. Am Freitag lag er bei 62 Dollar.

Probleme der Ölkonzerne aber schlagen sofort auf die Finanzmärkte durch: Die Multis haben sich zuletzt viel Geld an den Börsen besorgt, sie haben daher großes Gewicht in wichtigen Börsenindizes. Kursverluste einzelner Konzerne können daher den gesamten Index mitreißen. Auch Banken wie Wells Fargo, die dick mit der Energieindustrie im Geschäft sind, leiden.

Der Chef des britischen Verbands unabhängiger Öl-Explorationsfirmen, Robin Allan, klagt, seine Branche stehe "kurz vor dem Kollaps". Bei derart niedrigen Preisen sei es fast unmöglich, mit Öl aus der Nordsee Geld zu verdienen. Investitionen würden gestoppt, und in diesen Wochen würden bereits die ersten Ölarbeiter entlassen. Auch der Öl- und Gaskonzern BP hat angekündigt, Investitionen zu streichen und Personal zu entlassen. Der Konzern leidet zudem unter dem Fall des russischen Rubels. Den Briten gehören 18,5 Prozent der Aktien am russischen Ölförderer Rosneft, von dem er im vergangenen Jahr umgerechnet 690 Millionen Dollar Dividende kassierte. Für dieses Jahr hingegen könnte die Ausschüttung winzig ausfallen, weil der Rubelkurs gefallen ist und der hochverschuldete Rosneft-Konzern sparen muss. Was aus gesamtwirtschaftlicher Sicht bedrohlich werden könnte, sorgt auf deutschen Straßen derweil für Erleichterung. Nach Angaben des Mineralölwirtschaftsverbands (MVV) sparten hiesige Autofahrer 2014 gegenüber dem Vorjahr beim Tanken fünf Milliarden Euro.

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