Argumente für Netzneutralität:Alle Daten sind gleich

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Ohne Netzneutralität ändert sich im Internet alles. Das Netz droht weniger frei, weniger offen, weniger innovativ zu werden. (Foto: dpa)

Noch ist eine E-Mail von Barack Obama an Angela Merkel genauso schnell wie die Spam-Nachricht eines Verbrechers. Das muss auch so bleiben. Denn das Internet lebt von seinem egalitären Charakter - und das von Anfang an.

Kommentar von Pascal Paukner

Auf Cocktailpartys kann man das Thema vergessen. Netzneutralität - das klingt verdächtig nach Bürokratie, nach Technokraten-Klein-Klein. Darüber will doch niemand reden. Keinesfalls klingt Netzneutralität so, als hinge die Zukunft des Internets davon ab. Das ist ein Problem. Denn natürlich muss man keiner apokalyptischen Vereinigung angehören, um zu prophezeien: Ohne Netzneutralität ändert sich im Internet alles. Das Netz droht weniger frei, weniger offen, weniger innovativ zu werden.

Bislang galt im Internet der Grundsatz: Alle Daten sind gleich. Eine E-Mail von Barack Obama an Angela Merkel rauscht genauso schnell durch das Netz, wie die Spam-Nachricht eines Kriminellen. Man kann das weltweite Datennetz mit der Wasserversorgung vergleichen. Da macht es auch keinen Unterschied, ob man das Wasser zum Trinken, Blumengießen oder Autowaschen verwendet. Aus ökologischer Sicht mag man das bedauern. Wem an einer freien Gesellschaft gelegen ist, der kann das nur begrüßen.

Deutschland liegt beim Breitbandausbau weit zurück

Setzt sich die Bundesregierung in Brüssel mit ihrer Forderung nach Abschaffung der Netzneutralität durch, wäre die Lage im Netz eine andere. Die Anbieter von Telekommunikation dürften dann Überholspuren errichten. Manche Daten könnten fortan das herkömmliche Internet umgehen und deutlich schneller bei den Nutzern ankommen als andere. Die Regierung begründet dieses Vorhaben damit, dass es besonders brisante Dienste wie etwa die Telemedizin oder selbstfahrende Autos gebe, die von einer reibungslosen Datenübertragung abhängig seien. Das klingt vernünftig, könnte man meinen, weil niemand glaubhaft bestreiten kann, dass ein funktionierendes Internet für solche Angebote notwendig ist.

Tatsächlich aber wird nur der Blick auf das viel größere Problem verstellt: Deutschland liegt beim Breitbandausbau gegenüber anderen Industriestaaten weit zurück. Wer nicht gerade in einer Metropolregion lebt, hat sich längst an ruckelnde Videos gewöhnen müssen. Es gibt allerdings auch niemanden, der die horrenden Investitionen tragen will, die für den zeitgemäßen Ausbau notwendig wären: Für die Provider ist der Ausbau abseits der Ballungsgebiete wenig attraktiv. Die Bundesregierung hat die Verantwortung für die Netze an die Wirtschaft abgegeben. Es gibt also einen großen Unwillen, in die digitale Zukunft zu investieren, weil das letztendlich zu unpopulären Gebühren- oder Steuererhöhungen führen würde. Die Internetanbieter weisen deshalb seit Jahren darauf hin, es sei doch nur fair, wenn jene Unternehmen sich an den Kosten der Netzinfrastruktur beteiligten, die auch am meisten von ihr profitieren.

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Es geht um die großen, zumeist amerikanischen Internetkonzerne: Google, Facebook, Amazon, Apple. Ihre Dienste werden überproportional häufig genutzt, also verursachen sie auch ein überproportionales Datenaufkommen. Wenn ihre Dienste in Zeiten knapper Netzkapazitäten noch in guter Qualität beim Kunden ankommen sollen, dann sollen sie eine Art Wegzoll bezahlen. Nicht für das "normale" Internet, wo es schon mal wegen Überfüllung zu Staus kommt. Sondern für die Überholspur, die immerzu kostenpflichtig ist und auf der es flott vorangeht.

Einstieg in ein Zwei-Klassen-Netz

Das mag sich klug anhören. Praktisch wäre es das Gegenteil. Es wäre der Einstieg in ein Zwei-Klassen-Netz. Die etablierten Konzerne könnten sich Luxusleitungen leisten, ihre Angebote noch attraktiver für die Kunden machen. Start-ups, kleine und mittelgroße Unternehmen sowie gemeinnützige Anbieter hätten es hingegen erheblich schwerer als bislang. Selbst wenn sie innovative Ideen hätten, wären sie ständig im stockenden Verkehr unterwegs und somit benachteiligt. Das Ansinnen ist auch schon grundsätzlich falsch. Das Internet ist viel zu wichtig, als dass man es kurzfristigen ökonomischen Interessen unterwerfen dürfte. Es muss auch in Europa zur Grundversorgung gehören. Sollten Hersteller von Backöfen das Stromnetz finanzieren müssen, nur weil ihre Produkte mehr Strom verbrauchen als beispielsweise Eierkocher? Das würde niemand fordern. Die Bundesregierung aber will dieses Prinzip für das Internet einführen.

Wer die Netzneutralität abschaffen will, zeigt, dass er wenig von einer liberalen Wirtschaftsordnung hält. Die Marktwirtschaft lebt davon, dass der Staat eine Infrastruktur bereitstellt, von der alle Unternehmen profitieren. Eine Parallelinfrastruktur für reiche Konzerne ist das Gegenteil. Es ist eine interventionistische Industriepolitik, die abgesehen von den Telekomfirmen genau jene Konzerne stärken wird, denen die Politiker fast aller Parteien in Sonntagsreden eine zu gewaltige Marktmacht attestieren. Ohne Netzneutralität wäre der egalitäre Charakter des Internets passé, der das Netz seit seinen Anfangszeiten prägt.

© SZ vom 29.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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