Kampf gegen Boko Haram:Machtlos und planlos

Baga in Nigeria

Und die Regierung schaut ohnmächtig zu: Der Gouverneur der Region Borno, Alhaji Kasim Shettima (dritter von links) besucht das zerstörte Dorf Baga im Norden Nigerias.

(Foto: dpa)

Die Terrorsekte zieht mordend durch Nigeria. Der Staat findet kein Mittel gegen sie, Militär und Polizei sind zu schwach und zu korrupt. Wichtig ist vor allem eines: Die muslimische Jugend braucht eine Perspektive jenseits des Dschihad.

Kommentar von Tobias Zick

Jene Männer, die seit einem Dreivierteljahr mehr als 200 entführte Schulmädchen in ihrer Gewalt halten, haben am Wochenende abermals demonstriert, wie fremd ihnen alles Menschliche ist. Eine Bombe ist auf einem Markt im Norden Nigerias explodiert, hat mindestens 20 Menschen in den Tod gerissen. Rein zahlenmäßig ein vergleichsweise kleines Attentat; schließlich hat die Extremistentruppe Boko Haram erst wenige Tage zuvor beim Niederbrennen einer Kleinstadt mehrere hundert Menschen massakriert. Doch die Art des Anschlags macht ihn herausragend makaber: Zeugen berichten, der Sprengsatz sei am Körper eines Mädchens explodiert, vielleicht gerade mal zehn Jahre alt sei sie gewesen.

Auch wenn die genauen Umstände schwer zu ermitteln sind, darf man davon ausgehen, dass nicht das Mädchen selbst sich zu einer solchen Tat entschieden hat, sondern Erwachsene ihr den Sprengstoff auf den Körper gebunden haben. Das Gedankengut hinter solchen Taten hat der Anführer der Miliz, Abubakar Shekau, einmal per Videobotschaft auf den Punkt gebracht: "Kill, kill, kill, kill, kill." Töten, töten, töten.

Die islamistische Terrorsekte kontrolliert inzwischen weite Teile des Nordostens von Nigeria, Afrikas bevölkerungsreichstem Staat und - nach eigener Berechnung - größter Volkswirtschaft. Wer deren Anführer als irre Fanatiker abstempelt, hat recht, kommt damit aber einer Lösung des Problems noch kein Stück näher.

Der nigerianische Staat und seine Sicherheitskräfte haben versagt

Die Gruppe verfolgt ihr Ziel, ein islamisches Kalifat zu errichten, bereits seit 2002, doch ihren Terrorkrieg in der heutigen Brutalität führt sie erst seit 2009, als die Sicherheitskräfte ihren Anführer Mohammed Yusuf in Haft erschossen und so den Weg frei machten für dessen Nachfolger Shekau. Dieser verkündete einmal, er finde "Vergnügen daran, jeden zu töten, den Gott mir zu töten befiehlt - so wie ich Vergnügen daran finde, Hühner und Schafböcke zu töten." Eher hilflos wirken dagegen die ständigen Kampfansagen von Präsident Goodluck Jonathan an die Miliz. Schon im Mai 2013 hat er den Ausnahmezustand über die drei am stärksten betroffenen Bundesstaaten verhängt, seither sind die Anschläge nur noch zahlreicher und grausamer geworden.

Die nigerianische Regierung hat im Kampf gegen Boko Haram erbärmlich versagt. Selbst wann man annähme, dass es mit simplem militärischem Draufhauen getan wäre: Nicht einmal dazu ist der Staat imstande. Immer mehr internationale Verbündete, die USA ebenso wie die Nachbarländer Niger und Tschad, wenden sich vom nigerianischen Militär ab, ziehen ihren Beistand zurück, weil sie erkennen, wie aussichtslos es ist, eine derart schwache, korrupte Armee zu unterstützen. Soldaten desertieren im Protest gegen miserable Ausrüstung und ausbleibenden Sold, Menschenrechtler dokumentieren brutale Übergriffe auf Zivilisten. Zudem gibt es Hinweise, dass Teile der Armee längst von der Terrorsekte unterwandert sind, die unter der Oberfläche ihres vermeintlichen Glaubenskrieges beträchtliche Umsätze mit Waffenschieberei, Menschenhandel und Drogenschmuggel macht.

Eine Erfolg versprechende Strategie gegen Boko Haram kann, neben einem planvollen militärischen Vorgehen, nur darin bestehen, den Menschen im muslimischen Norden, den Scharen von arbeits- und perspektivlosen jungen Männern, eine Alternative zum mafiösen Dschihad als Lebensinhalt und Einkommensquelle zu bieten. Notwendig ist es zugleich, die Übergriffe durch Polizei und Militär auf Zivilisten mit rechtsstaatlichen Mitteln zu verfolgen. Wer Gesetzlosigkeit beenden will, muss mit gutem Beispiel vorangehen: Selbst das ist der nigerianische Staat seinen Bürgern bis heute schuldig geblieben.

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