Schwierigkeiten der Stasi-Überwachung:Es gab zu wenige Telefone

Tag der offenen Tür in Stasi-Gedenkstätte

Blick auf den Tisch eines Verhörzimmers der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt der Stasi-Außenstelle in Dresden.

(Foto: dpa)

Die Stasi-Leute, die die Gespräche ihrer Landsleute abhörten, waren viel weniger erfolgreich als ihre Pendants in Westdeutschland. Eine neue Publikation dokumentiert nun, wie sogar das DDR-Recht die Datensammelwut das Stasi beschränkte.

Von Josef Foschepoth

Die NSA-Affäre hat es wieder einmal gezeigt. Geheimdienste gieren nach immer neuen Überwachungstechnologien. Anders glauben sie die Sicherheit eines Staates nicht gewährleisten zu können. Dazu brauchen sie Geld, sehr viel Geld. Das war in der DDR nicht anders.

Ein Land von der Einwohnerzahl Nordrhein-Westfalens musste viel investieren, um die eigene Bevölkerung und dazu noch den "Klassenfeind" in der Bundesrepublik zu überwachen. Die Verschriftlichung und Auswertung der abgehörten Gespräche war aufwendig. Vieles, was im Westen längst automatisiert erfolgte, musste in der DDR durch erhöhten Personaleinsatz erledigt werden. Keine Frage, auch auf dem Gebiet der Kommunikations- und Überwachungstechnologie hat die DDR den Wettlauf mit dem Westen verloren.

Telefonieren in der DDR kam einer Zeitreise in die Vergangenheit gleich. Seit dem Ende der 60er-Jahre hatte sich am technischen Zustand kaum etwas geändert. Drei Viertel der Vermittlungstechnik war im Jahr des Mauerfalls älter als 30 Jahre. Ein Fünftel davon stammte aus der Zeit der Weimarer Republik. 1988 hatten etwa 50 Prozent der Haushalte in Ostberlin einen Telefonanschluss. Im Rest der Republik waren es gerade einmal 13,6 Prozent.

Katastrophaler Zustand der telefonischen Infrastruktur

1989 hatte die Zahl der Anträge auf einen Telefonanschluss mehr als eine Million erreicht. In der langen Einleitung zu dem voluminösen Band "Fasse Dich kurz!" werden die Verhältnisse beschrieben: "häufig überlastete Netze, schlechte Akustik mit typischem Knistern, Pfeifen, Knacken, Unterbrechungen, nicht selten Totalausfall der Netze oder auch stundenlanges Warten auf handvermittelte Auslandsgespräche nach West-Berlin oder in die Bundesrepublik".

Mit einem Wort: Telefonieren in der DDR "war immer katastrophal". Der katastrophale Zustand der DDR-Wirtschaft spiegelte sich auch im katastrophalen Zustand der telefonischen Infrastruktur wider.

Wo es keine Telefonanschlüsse gab, konnten auch keine Telefongespräche überwacht werden. Die Telefonüberwachung der Stasi betraf bis zum Ende der DDR "nur einen Teil der Gesellschaft und auch nur einen Bruchteil der vorhandenen Telefonleitungen". Letzteres lag auch daran, dass die Stasi sich auf das Abhören westdeutscher Telefonanschlüsse konzentrierte. In der Ostberliner Abhörzentrale waren 3000 Mitarbeiter mit dem Abhören von Telefonaten in der Bundesrepublik, nur ein Drittel davon mit der Binnenüberwachung der DDR beschäftigt.

Darüber hinaus gab es, wie der ausführlichen Einleitung zu entnehmen ist, sogar rechtliche Gründe, die der Stasi das Abhören erschwerten. Laut Strafrechtsänderungsgesetz von 1979 waren im "Unrechtsstaat" DDR Erkenntnisse aus einem "operativen Vorgang" nur dann für die Einleitung eines Strafverfahrens verwertbar, wenn die Überwachung vorher richterlich angeordnet worden war. Bemerkenswert ist auch die vorgeschriebene 30-tägige Begrenzung von Telefonüberwachungsmaßnahmen.

Von der Stasi gefürchtet war das, wie wir heute sagen würden, "Whistleblowing" von Postbeamten, die "Aufschaltungen" durch Mitarbeiter der Stasi immer wieder bekannt machten. Eine jahrelange Telefonüberwachung, von Einzelnen wie Robert Havemann, Wolfgang Harich oder Wolf Biermann abgesehen, hat es in der DDR nicht gegeben. Abhörmaßnahmen zu operativen Zwecken, etwa zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Mitglieder der Bürgerrechtsbewegung, blieben "überwiegend erfolglos".

Mit Kreativität gegen die Überwachung

Ein wichtiger Grund für die Erfolglosigkeit der Telefonüberwachung war die allgemeine Kenntnis von der Allgegenwart der Stasi: Die Bürger bedienten sich kreativer Methoden, machten beim Telefonieren irreführende Angaben, benutzten fremde oder öffentliche Telefone oder wichen auf andere Kommunikationswege aus. Allgemeine, flächendeckende Überwachungen oder Fangschaltungen wie in der Bundesre-publik gab es in der DDR nicht: Abhörmaßnahmen waren Teil einer generellen Überwachung einer bestimmten Person und daher stets "vorgangsgebunden".

Große Erfolge hat die Stasi mit ihren operativen Telefonüberwachungen denn auch nicht erzielt. Ilko-Sascha Kowalczuk, der Verfasser der Einleitung, kommt für die 80er-Jahre zu dem bemerkenswerten Schluss, dass eine dauerhafte Telefonüberwachung "bei Oppositionellen und kirchlichen Amtsträgern zu einer Ausnahmeerscheinung in der generellen MfS-Arbeit zählte". Eine solche Ausnahmeerscheinung stelle die in dem Buch dokumentierte Telefonüberwachung durch das Ministerium für Staatssicherheit dar.

Nicht die allgemeine Geschichte der Post- und Fernmeldeüberwachung in der DDR ist Gegenstand dieses Buches, sondern die Auswertung und Dokumentation eines umfangreichen Aktenbestandes zu Einzelüberwachungen von prominenten Bürgerrechtlern Ende der Achtzigerjahre.

Warum? Weil, so der Autor, die vorgelegte Sammlung von Stasi-Dokumenten zur Telefonüberwachung eine Quelle sei, die "aufgrund einer besonderen Authentizität einen großen Wert" besitze.

Was mit Authentizität gemeint ist und woran sie gemessen wird, bleibt offen. Ob sie überhaupt ein Auswahlkriterium, gar eine historische Kategorie zur Analyse und Beschreibung geheimdienstlicher Aktivitäten sein kann, wird nicht problematisiert.

Letztlich ist es der Bekanntheitsgrad der DDR-Oppositionellen, der den Ausschlag für die Aufnahme auch banaler Telefonmitschriften gegeben haben dürfte. Wie stark die Aktivisten von damals die Auswahl der Dokumente mitbestimmt haben, machen die Herausgeber am Beispiel des Journalisten Roland Jahn sehr schön deutlich.

2006 hatte Jahn, er war 1983 aus der DDR ausgebürgert worden, zusammen mit Wolfgang Templin das Projekt angeregt. Im März 2011 wurde er neuer Beauftragter der Stasi-Unterlagen-Behörde. Jahn spielte nach seiner Ausbürgerung eine wichtige Rolle für die DDR-Opposition.

Bei der Zusammenstellung der Dokumente bekam er plötzlich eine Hauptrolle, was die Herausgeber nach dem Amtsantritt des neuen Chefs nach eigenem Bekunden in eine prekäre Lage brachte. Um nicht den Eindruck einer "Jahn-Hagiographie" entstehen zu lassen, schnürten sie das bereits fertige "Editionspaket" noch einmal auf und änderten die Zusammenstellung.

Es hapert bisweilen an einer präzisen Begrifflichkeit

Am Ende ist ein opulentes Werk entstanden, das bei einer klaren Fragestellung, systematischen Darstellungsweise und historisch-kritischen Analyse deutlich dünner und lesefreundlicher ausgefallen wäre. Auch an einer präzisen Begrifflichkeit hapert es gelegentlich.

Was ist etwa unter einer "Demokratisierung der Telefonwelt" zu verstehen? Was ist "eine scheinjuristische Fassade"? Ähnliches gilt für die Wörter "systemlogisch" und "herrschaftslogisch". Bildreicher wird es, wenn es heißt, die Diktatur habe es "über viele Jahre verstanden, die Gesellschaft still zu legen." Oder: "ein Teil der oppositionellen Köpfe war außer Landes verfrachtet worden".

Ziemlich verunglückt ist auch der lange Titel des Buches. "Fasse Dich kurz!": dieser Slogan hing von der Weimarer Zeit bis 1989 als ernst gemeinte Aufforderung in öffentlichen Telefonzellen der DDR. Mit dem "grenzüberschreitenden Telefonverkehr der Opposition" sind anscheinend vor allem "die fernmündlichen Kontakte des ehemaligen DDR-Bürgers Roland Jahn" aus der Bundesrepublik mit der Opposition in der DDR gemeint. Das dritte Element des Titels, "Ministerium für Staatssicherheit", spricht für sich.

Allein die Verbindung dieser drei Bausteine zu einem Titel macht deutlich, dass es dem Buch an einer klaren Fragestellung fehlt. Dies gilt auch für den Quellenteil. Wie kann man eine derartige Fülle von Dokumenten lediglich in chronologischer Reihenfolge, ohne jede systematische Gliederung und editorische Regesten nacheinander abdrucken?

Die historische Erforschung der Telefonüberwachung in der DDR ist mit dem neuen Band der Gauck-Birthler-Jahn-Behörde keineswegs abgeschlossen. Im Detail enthält er jedoch für jeden, der sich ihm mit einer eigenen Fragestellung nähert, eine Reihe neuer Hinweise und Erkenntnisse.

Notwendig ist jetzt eine Öffnung des Blicks auf eine vergleichende Betrachtung der teils ähnlichen, teils unterschiedlichen Überwachungsaktivitäten östlicher und westlicher Geheimdienste auf dem Gebiet des Post- und Fernmeldeverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland.

Ilko-Sascha Kowalczuk, Arno Polzin (Hrsg.): Fasse Dich kurz! Der grenzüberschreitende Telefonverkehr der Opposition in den 1980er Jahren und das Ministerium für Staatssicherheit. Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten Bd. 41. Vandenhoeck & Ruprecht, 2014. 1059 S., 69,99 Euro.

Der Historiker Josef Foschepoth lehrt an der Universität Freiburg. 2012 erschien seine Studie "Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: