Touristen und ihre Selfie-Sticks:Reisen am Stock

Früher war der Arm zu kurz, um auch den sehenswerten Hintergrund aufs Bild zu bringen. Dank des Selfie-Sticks fällt kein Tourist mehr aus dem Rahmen. Zwölf Regeln für die korrekte Anwendung am Urlaubsort.

Von Katja Schnitzler

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(Foto: Ed Jones/AFP)

Früher gab es Reiseaccessoires, mit denen wollte sich niemand sehen lassen, der älter als zwölf Jahre war und ein Mindestmaß an Stilempfinden hatte: zum Beispiel Gürteltaschen oder Brustbeutel. Unzweifelhaft nützliche Dinge, zweifelsfrei aber auch das Gegenteil von cool. Heute schleppen Reisende ebenso uncoole Dinge mit sich herum - um lässig zu wirken. Freiwillig. Es geht um einen Stock, genauer um eine ausfahrbare Stange mit Auslöser, sozusagen der verlängerte Arm des Selbstverliebten: den Selfie-Stick. Die Ego-Porträtisten machen am Urlaubsziel zwar einen durchaus lächerlichen Eindruck, doch es geht auch vielmehr darum, vor seinen Lieben und Freunden und allen anderen (Hallo, Welt!) gut dazustehen - einfach vor jedem, der Zugriff auf Instagram, Facebook oder Twitter hat. Wer sich auf diesen Seiten höchstens am eigenen Geburtstag blicken lässt, dem werden Liveporträts aus dem Urlaub über Whatsapp aufgedrängt, zur Not auch per SMS. Im Bild: vor der Skyline von Seoul, Südkorea

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(Foto: REUTERS)

Einst schickten Touristen eine um Wochen verspätete Postkarte mit dem Motiv "Ziel im Großformat", "Ziel in vielen Kleinformaten" oder "Ziel bei Nacht". Oder sie präsentierten nach der Reise einem ausgewählten, nicht rechtzeitig geflohenen Kreis ihre dreihundertfünfundzwanzig schönsten Urlaubserinnerungen. Darauf war entweder der eine oder der andere zu sehen, selten das Reisepaar gemeinsam. Außer es hatte seine Angst überwunden, vielleicht ausgerechnet einem Gauner die teure Kamera zu überlassen. So konnte wenigstens einmal dokumentiert werden: Hier stehen wir Arm in Arm vor etwas Sehenswertem, ein Abbild der Urlaubs-Harmonie. Ach, schön war es. Ansonsten verschwand der Fotograf hinter der Kamera, sein Fokus und die ganze Aufmerksamkeit galt dem Motiv. Das ist vorbei. Schuld sind die Smartphones. Kein durchschnittlicher Nutzer würde sie einem Wildfremden auf der Straße überreichen, nur um ein Foto von sich machen zu lassen. Ein Smartphone ist eben mehr als eine Kamera - auch wenn manche bei der Frequenz, mit der sie damit ihr Leben in Bildern festhalten, das vielleicht vergessen haben. Im Bild: auf der Westminster Brücke in London

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(Foto: AP)

Aber wer gibt schon sein handliches Tor zum privaten Adressbuch, zu Mails, Kalender, Online-Banking und den Live-Fitnessdaten ("Du hast dich noch nicht ausreichend bewegt, nimm die Treppe auf den Eiffelturm!") aus der Hand? Freiwillig? Einem Fremden? Höchstens Gürteltaschen- und Brustbeutelträger, falls diese überhaupt ein Smartphone besitzen. Mit Verbreitung der Bildschirm-Telefone nahm ein wenig sehenswertes Motiv in der Urlaubsberichterstattung überhand: Zwei perspektivisch unschön verzerrte Köpfe, dicht zusammengepresst, füllen den Vordergrund. In diesen ragt der ausgestreckte Arm, der nie lang genug ist, damit auch der Eiffelturm im Hintergrund erkennbar ist. Das stellte die reisende Generation Selfie vor ein Image-Problem: Zwar stand sie nun im Zentrum ihrer eigenen Aufmerksamkeit, aber das Drumherum stimmte nicht. Wie sollten sie mit ihren Urlauben protzen, wenn ihre Fotos aus allen Ecken der Welt immer das gleiche zeigten: großer Kopf und nichts dahinter? Im Bild: am Trocadero Platz mit dem Eiffelturm im Hintergrund.

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(Foto: AFP)

Ihre Rettung ist etwa ein halbes Kilo schwer, von dreißig Zentimetern ausfahrbar auf einen Meter: Wie eine analog-digitale Prothese verlängert der Selfie-Stick den Arm und lässt so endlich Raum für ein paar Bildinformationen mehr. Aus zwei Nasen am Times Square werden nun zwei Schädel am Times Square. Die Motive und Posen aber bleiben immer gleich, als hätten sich alle vernetzten Globetrotter auf folgende Grundregeln der Selfie-Stick-Fotografie geeinigt. Im Bild: vor dem Palast Gyeongbokgung in Seoul, Südkorea

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(Foto: dpa)

Regel 1: Je länger der Selfie-Stick, desto mehr kann man vorweisen. Zum Beispiel von der landestypischen Kleidung, die extra viel Eindruck schindet. Im Bild: auf dem Münchner Oktoberfest

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(Foto: AFP)

Regel 2: Wenn man endlich den Ganzkörper-Teint hat, den der Selbstbräuner verheißen hatte, ist es Zeit für Entblößungs-Selfies. Im Bild: am South Beach in Miami, Florida

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(Foto: AP)

Regel 3: Nicht nur der Ort für das Selfie-Stick-Bild ist wichtig, sondern vor allem das Posieren. Es empfiehlt sich, Kussmünder und markant eingezogene Wangen zuvor zu üben. Im Bild: am Times Square in New York

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(Foto: AP)

Regel 4: Beim Posieren sollten sich Selfie-Stick-Könner nicht von Anfängern in der Nähe ablenken lassen. Im Bild: am Times Square in New York

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(Foto: AP)

Regel 5: Kleine Gesten vermitteln Spaß. Im Bild: auf der Seoul Plaza in Seoul, Südkorea

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(Foto: AP)

Regel 6: Große Gesten vermitteln noch mehr Spaß. Im Bild: vor dem Burj Khalifa, Dubai

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(Foto: AP)

Regel 7: Der Selfie-Stick ist nicht genug? Findige Ego-Portätisten wissen die Umgebung für sich zu nutzen. Im Bild: vor dem Louvre, Paris

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(Foto: Reuters)

Regel 8: Kein Accessoires ist zu lächerlich, um die Urlaubs-Selfie-Aussage zu bekräftigen: Wir haben ganz viel Spaß. Wirklich. Im Bild: auf dem Times Square, New York, zum Jahreswechsel

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(Foto: AFP)

Regel 9: Ist kein passendes Accessoires in der Nähe, stehen überall Einheimische parat. Schließlich gilt es, den Hintergrund möglichst landestypisch zu füllen. Im Bild: vor dem Gyeongbokgung Palast in Seoul, Südkorea

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(Foto: dpa)

Regel 10: Vorsicht beim Gruppen-Selfie - dank Stick sind nun auch diejenigen mit im Bild, die garantiert wegblicken. Oder noch schlimmer: grimmig schauen. Im Bild: im Tochal Skiresort nahe Teheran, Iran

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(Foto: Reuters)

Regel 11: Die Selfies werden schöner, wenn der Reisende zuvor wenigstens kurz den Blick vom Smartphone löst und sich vergewissert, dass der perfekte Hintergrund nicht neben statt hinter ihm liegt. Im Bild: auf der Westminster Brücke in London

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(Foto: AP)

Regel 12: Wahre Profis genießen den Moment der Bewunderung nicht nur später virtuell, sondern gleich am Ort des Geschehens. Fehlt nur der rote Teppich. Im Bild: vor der Roten Festung in Delhi, Indien

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