Sie sitzen am Frühstückstisch. Sie nimmt ein Messer und köpft mit einem gezielten Schlag ihr Ei. Er legt seinen Löffel weg und schaut ungläubig zu.
Sie: Was guckst du denn so?
Er: Ich fühle mich immer wieder aufs Neue irritiert von diesem Anblick. Von dem, was du mit deinem Frühstücksei anstellst.
Sie: Du meinst, weil ich es mit dem Messer öffne? Aber das mache ich schon immer so, es geht auch viel schneller.
Er: Aber du machst es so resolut. Schon vom Zuschauen wird mir ganz anders.
Sie: Du willst mir aber jetzt nicht sagen, dass du eine Art Kastrationsangst verspürst, weil ich mein Frühstücksei köpfe, oder?
Er: Das nicht gerade. Trotzdem. Es bereitet mir Unbehagen, wenn du so wild entschlossen auf dein Ei losgehst.
Sie: Das muss so sein. Der perfekte Seitenhieb ist ja gerade die Herausforderung an der Sache. Zack! Und ab ist der Kopf.
Er: Du klingst wie ein Henker, der von seinem Beruf schwärmt.
Sie: Sag mal, wo liegt dein Problem?
Er: Es wirkt so ... rabiat. Und passt überhaupt nicht zu einem gemütlichen Frühstück.
Sie: Ich bitte dich, ist es vielleicht gemütlich, von allen Seiten auf sein Ei einzuhauen und anschließend die Kalkkrümel herunterzupopeln?
Er: Ich haue nicht und ich popele auch nicht. Ich entblättere.
Sie: Oh! Du meinst, du entkleidest das Ei, wie eine Frau?
Er: Ich finde, ein Ei hat es verdient, dass man es mit Bedacht schält. Ich lasse mir eben Zeit und genieße die Vorfreude.
Sie: Hm, vielleicht sollten wir eine Gedenkminute für das Ei einlegen, was meinst du?
Er: Deinen Spott kannst du dir sparen. Ich bleibe dabei: Es ist brutal. Und unkultiviert obendrein. Schon allein wie da das Eigelb herunterläuft. Das ist doch nicht schön.
Sie: Das, mein Lieber, passiert nur, weil das Ei zu weich ist.
Er: Das Ei ist nicht zu weich. Es ist nur deiner rabiaten Technik nicht gewachsen.
Sie: Wenn ich das Ei koche, läuft da aber nix. Du darfst es eben nicht zu früh herausnehmen.
Er: Ich finde es perfekt so. Dann darfst du es eben nicht köpfen.
Sie: Wieso sollte ich zum Klopfer werden, nur weil du die Eier zu weich kochst?
Er: Wieso sollte ich die Eier hart kochen, nur weil du sie sonst pulverisierst?
Sie: Vergiss es. Klopfen ist was für Unentschlossene. Köpfen ist was für Macher. Deshalb schreckt es dich ab.
Er: Ich soll unentschlossen sein, nur weil ich nicht mit dem Säbel auf mein Ei losgehe?
Sie: Genau. Würdest du köpfen, hätten wir bestimmt längst einen funktionierenden Toaster. Oder den Sommerurlaub gebucht. Und die Jalousien erneuert. Aber du kannst dich ja nie entscheiden.
Er: Oh doch, und ob ich kann. Das nächste, was ich anschaffe, ist so ein Dingsda, so ein ... na, wie heißt das noch mal ( zieht eine unsichtbare Kugel an einem Metallstab hoch und lässt sie auf ein imaginäres Ei fallen)?
Sie: Du meinst doch wohl nicht diesen ...
Er: Einen Eierschalensollbruchstellenverursacher, genau.
Sie: So weit kommt's noch! Lieber esse ich nur noch Spiegelei.
Er: Gute Idee. Ab morgen gibt es bei uns Ei aus der Pfanne. Ohne Krümel, ohne Blutvergießen. Ich besorge noch heute eine spezielle Pfanne.
Sie: Na, dann kann ich mich ja wieder entspannen. Bis du dich für eine entschieden hast, dürften hier noch viele Eierköpfe rollen.