Die Attentäter von Charlie Hebdo:Verlorene Brüder

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Die Brüder Kouachi. (Foto: privat)
  • Rund eine Woche nach den Anschlägen in Paris zeichnen SZ-Reporter nach, wie sich die drei Attentäter dem Dschihad verschreiben.
  • Sie sprechen mit früheren Trainern, Lehrern und Weggefährten und werten umfängliches Material aus über Chérif und Saïd Kouachi sowie Amédy Coulibaly.
  • Dabei wird deutlich: Das Leben der Drei hätte nicht zwangsläufig im Desaster enden müssen.

Gut eine Woche nach den Anschlägen von Paris lässt sich aus einer Fülle neuer Details die Biografie der drei Attentäter - Chérif und Saïd Kouachi sowie Amédy Coulibaly - rekonstruieren. Im Gespräch mit SZ-Reportern beschreiben Zeitzeugen Lebenswege der verpassten Chancen: zerstobene Hoffnungen auf eine Fußballerkarriere, abgebrochene Ausbildungen, Gelegenheitsjobs, Abgleiten in die Kriminalität und die schnelle Radikalisierung im größten Gefängnis Europas südlich von Paris.

So berichtet der damalige Fußballtrainer, Pascal Fargetas, über Chérif Kouachi: Der seinerzeit 16-Jährige sei 1998 noch überglücklich gewesen, als Frankreich durch einen 3:0-Sieg über Brasilien die Fußball-WM gewann. "Chérif", so erzählt Fargetas, "fühlte sich ganz und gar als Franzose". Für Algeriens Team hingegen, das Land, aus dem seine Eltern kamen, habe Chérif nichts übrig gehabt. "Er nannte sie Nullen".

Die ehemalige Biologielehrerin Françoise Ronfet erinnert sich an die schlechten Noten des älteren Bruders Saïd Kouachi und daran, wie froh sie war, ihn auf der Hotelfachschule unterzubringen. Saïd sei damals schon gläubig, verschlossen und ernst gewesen. Ganz anders Chérif, den die Lehrerin als "liebenswert, goldig, und immer sehr höflich" schildert. Dieser wird Klassensprecher, träumt von einer Fußballerkarriere. Ronfet erinnert sich aber auch, wie der verwaiste Junge Halt suchte: "Er war leicht manipulierbar". Sein Fußballtrainer Fargetas ergänzt: "Chérif hat Autorität regelrecht gesucht und sich ihr dann unterworfen." Später, als die Brüder nach Paris gingen, auf der Straße lebten und Gelegenheitsjobs machten, fanden sie diese Autorität bei Islamisten, die Hass predigen.

Im "Buch Zwei" der Süddeutschen Zeitung zeichnet das Reporterteam nach, wie aus den Jugendlichen Islamisten werden, die Frankreich mit dem größten Anschlag seiner jüngeren Geschichte erschüttern.

Chérif Kouachi, damals im Gefängnis wegen Mitgliedschaft in einer radikalen Gruppe, lernte dort Amédy Coulibaly kennen. Der Sohn afrikanischer Migranten, aufgewachsen in einer Neubausiedlung südlich von Paris, saß immer wieder ein wegen Diebstahl, Drogen, Hehlerei. Seine Familie ist nicht islamisch geprägt, seine Schwester gilt als Erfinderin des "Arsch-Tanzes", wie ihn die Zeitungen nennen. Noch 2007 posierte seine Freundin Hayat Boumeddienne auf Urlaubsfotos im Bikini.

Doch im Kontakt mit Islamisten in Fleury-Mérogis, Europas größtem Gefängnis, radikalisiert sich auch Coulibaly. 2010 steckt die Justiz ihn und Chérif Kouachi in Haft. Coulibaly, der unauffällig im Appartement 166 eines Wohnhauses im Vorort Fontenay-aux-Roses lebte, wird die Anschläge von Paris später zur gemeinsamen Kommandosache erklären.

(Foto: SZ)
© SZ vom 17.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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