Aufwertung des Franken:Schulden der Kommunen explodieren

  • Die Entscheidung der Schweizerischen Nationalbank, den Wechselkurs für den Franken freizugeben, hat auch Folgen für deutsche Kommunen.
  • Vor allem im Ruhrgebiet hatten die Kommunen Verbindlichkeiten in die Schweiz ausgelagert. Diese sind nun enorm gestiegen.

Von Bernd Dörries

Bei Ruhrgebiet denken viele in Deutschland an sterbende Zechen, Trinkhallen und den sogenannten Strukturwandel, der für manche nichts anders bedeutet, als dass die oben genannte Struktur für immer so bleibt. In kaum einer anderen Stadt des Reviers merkt man so deutlich wie in Essen, dass diese Klischees nur bedingt die Wahrheit widerspiegeln. Man kann dort um den Baldeneysee spazieren und sich die Boote in der Marina anschauen oder in Bredeney raten, welchem Milliardär diese Villa gehört: den Aldi-Brüdern oder den Erben der WAZ?

Wenige Kilometer weiter müssen Schwimmbäder aus Kostengründen die Temperatur runterfahren und Schulen schließen. Es sind zwei sehr verschiedene Welten in einer Stadt, getrennt durch die A 40, die in vielen Ruhrgebietsstädten den reichen Süden vom armen Norden trennt - weshalb man die Autobahn dort Sozialäquator nennt. Was die beiden Welten in Essen verbindet: Sie haben ganz gerne in Schweizer Franken gemacht. Die Milliardäre haben ihr Vermögen investiert, die Stadt ihre Schulden exportiert. Dort waren die Zinsen viel niedriger als im Inland, es schien eine gute Idee zu sein. Der Franken war stabil, die Kredite günstig, das Modell zum Wohle der Bürger.

"Es ist eine Katastrophe"

Nun ist alles anders. Was gestern noch wie eine gute Idee klang, ist heute eine Tölpelei, und noch mehr: "Es ist eine Katastrophe", sagt Lars Martin Klieve (CDU), der Kämmerer von Essen. Seit die Schweizer Nationalbank in der vergangenen Woche aufgehört hat, den Kurs zum Euro zu stützen, hat allein Essen 70 Millionen Euro mehr Schulden. Für alle deutschen Städte steigen die Verbindlichkeiten nach ersten Schätzungen um etwa zwei Milliarden Euro.

In den Neunzigerjahren hatten viele deutsche Kommunen damit begonnen, ihre Verbindlichkeiten in die Schweiz zu verlagern, weil man dort weniger berappen musste. Essen hat in der Schweiz Kredite in Höhe von 450 Millionen Franken offen. Ende des Jahres lag der Kurs bei 1,20 Franken je Euro, die Stadt hätte also für etwa 374,3 Millionen Euro ihre Schulden ablösen können. Mit dem aktuellen Wechselkurs von einem Franken für den Euro muss Essen fast 450 Millionen Euro zahlen, so hat es die Verwaltung errechnet.

Neue Seuche der Kommunalfinanzen

Als der Kredit aufgenommen wurde, war er gar nur 290 Millionen Euro wert. Ein ziemlicher Wahnsinn. Zwar haben auch grenznahe Gemeinden zur Schweiz sich dort verschuldet, aber nirgendwo war die Liebe zum Franken so groß wie im Ruhrgebiet. Bochum hat 220 Millionen Euro Schulden. Auch Bottrop, Gladbeck, Recklinghausen, Herne, Siegen und Lünen stehen bei den Eidgenossen in der Kreide.

All diese Städte haben in ihren Kämmereien Abteilungen, die man sonst eher bei Investmentbanken vermutet, jeden Morgen wird dort in aller Welt nach den günstigsten Krediten für Tagesgeschäfte gesucht. Die ausländischen Verschuldungen sind die neue Seuche der Kommunalfinanzen, nach dem es in den Neunzigerjahren große Mode war, Abwasserkanäle in die USA zu verkaufen und zurückzuleasen. Auch das verursachte Milliardenschäden. Die Kämmerer der klammen Städte sind nicht frei von Selbstkritik. Aber sie fragen eben auch: Was sollen wir machen - mit immer neuen Aufgaben und immer weniger Geld?

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