Michel Houellebecq in Köln:Lob der verantwortungslosen Kunst

2022 regiert ein Muslim Frankreich. 2015 erklärt Michel Houellebecq die Fiktion seines Buches "Unterwerfung" als nicht islamfeindlich. Bei seinem einzigen Auftritt in Deutschland bezieht er Stellung für die Toten von "Charlie Hebdo".

Von Jannis Brühl, Köln

Michel Houellebecq hat es fast eineinhalb Stunden ohne Zigarette ausgehalten. Und dann soll er eine der wichtigsten Fragen der europäischen Politik beantworten: Warum ist die französische Rechte in Form des Front National für viele so attraktiv? "Ich würde gerne eine Zigarette rauchen, um darüber nachzudenken", sagt der Schriftsteller und steckt sich auf der Bühne entspannt eine an. Diese Nonchalance amüsiert den 58-Jährigen und die 600 Zuschauer im ausverkauften Kölner Schauspiel. Wenn es um Politik geht, wird Houellebecq gern aufreizend lässig. Da sieht er sich nämlich nicht zuständig, auch wenn er einen Roman geschrieben hat, den viele für politischen Sprengstoff halten. Ein Buch mit erschreckendem Bezug zu aktuellen Ereignissen.

Am Erscheinungstag von "Unterwerfung" in Frankreich ermordeten dschihadistische Attentäter in Paris einen Teil der Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo, darunter einen Freund Houellebecqs. Eine Karikatur des Schriftstellers selbst war Titelbild der Ausgabe vor den Morden. Nach der Tat zog er sich erst zurück, nun stellt er sein Buch doch noch vor, nur an diesem Abend in Köln auf Einladung des Literaturfestivals Lit.Cologne. Er sitzt mit Moderator, Dolmetscherin und einem Schauspieler, der aus dem Buch liest, vor dem schwarzen Vorhang und sagt: "Jetzt muss ich zwei Dinge in einer Endlosschleife erklären: Erstens, dass mein Buch nicht islamophob ist, und zweitens, dass man das Recht dazu hat, ein islamophobes Buch zu schreiben."

Man dürfe sich von keiner Seite - Islamisten oder Rechte - vereinnahmen lassen, sagt Houellebecq, der im Gegensatz zu anderen französischen Intellektuellen seit Jahren auf sein Äußeres zu pfeifen scheint. Er trägt ein unförmiges Jeanshemd, Hochwasserhosen und eine schlammfarbene Jacke, dazu eine Frisur, die hinten absteht, deren Scheitel dafür vorne fast kunstvoll an seiner Stirn klebt. Und wie immer bei Houellebecq ist die Frage, ob das sein Ernst ist.

Er ist sich der Erwartungen der Öffentlichkeit bewusst, verliest zu Beginn eine Erklärung: Meinungsfreiheit könne nicht durch die Forderung nach "verantwortlichem Handeln" - sprich: Rücksicht auf religiöse Gefühle - eingeschränkt werden. Er wirbt für verantwortungslose Kunst, auch Charlie Hebdo sei schließlich mit der Unterzeile "verantwortungslose Zeitschrift" erschienen. Und zur Gewalt der Humorlosen sagt er: "Man kann verlangen, dass der Staat uns schützt."

Plausibles Schreckensszenario?

In seinem Buch "Unterwerfung" gewinnt der Kandidat einer fiktiven muslimischen Partei im Jahr 2022 mit den Stimmen von Konservativen und Sozialisten die französische Präsidentenwahl. Nur so können die Parteien den Sieg des Front National verhindern. Zwischen den Wahlgängen führen rechtsradikale "Identitäre" einen kurzen Bürgerkrieg mit arabischstämmigen Franzosen. Nach seinem Wahlsieg schafft der neue, muslimische Präsident das säkulare Frankreich faktisch ab. Frauen verlieren ihre Freiheit und verhüllen sich. Männer wie die Hauptfigur François, ein Literaturdozent, konvertieren aus Opportunismus zum Islam und werden im neuen Patriarchat mit mehreren Frauen glücklich.

Die Erfolge der Rechten, der Vertrauensverlust in die etablierten Institutionen, der Islam als attraktives Gegenmodell zum vermeintlich dekadenten Westen: "Unterwerfung" berührt Kernthemen aktueller Debatten - und läuft in Zeiten der Pegida-Demos Gefahr, von Islamfeinden als plausibles Schreckensszenario vereinnahmt zu werden. 100 000 Exemplare sind in Deutschland gedruckt, 50 000 folgen.

Wegen der Angst, Extremisten könnten das Buch als Beleidigung des Islam auffassen, haben die Kölner Veranstalter bei der Lesung Sicherheitsvorkehrungen getroffen. 15 Wachmänner haben sie angeheuert, dazu kommt Houellebecqs Personenschutz. Schließlich spielt der Autor die Furcht der Islamophobiker, Muslime würden den Westen übernehmen, im Roman konsequent durch. Die Polizei teilte dem Veranstalter allerdings nach dessen Angaben mit, es gebe "keine Gefahrenlage".

Viele Kritiker loben das Buch und sehen in ihm weniger einen Angriff auf eine Religion, sondern eher auf die ideen- und rückgratlose Kaste französischer Politiker der Jetztzeit. Demokratie als Spektakel, das Desinteresse der Menschen am Establishment sind Houellebecqs eigentliche Themen. In Köln sagt er: "Die Menschen sind so politisch wie ein Handtuch." Sein Gegenmittel: direkte Demokratie.

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