Gedenken an Holocaust:Das Leid der Opfer ist noch nah

  • Heute wird weltweit daran erinnert, dass vor 70 Jahren das Konzentrationslager Auschwitz befreit wurde.
  • Die Verharmlosung des Holocausts muss weiterhin strafbar bleiben.
  • Die Erinnerung an den Holocaust braucht es immer und immer wieder - gerade in Deutschland.

Kommentar von Heribert Prantl

Als Theodor Heuss, der erste Bundespräsident, vor sechzig Jahren ein Denkmal im ehemaligen KZ Bergen-Belsen eröffnete, sprach er von der Grausamkeit der Verbrechen: "Wer sie beschönigen oder bagatellisieren wollte, der würde nur frech sein." Diese Frechheit hat leider die Geschichte der Bundesrepublik begleitet. Diese Frechheit ist nicht gestorben mit denen, die persönlich Schuld hatten an den Verbrechen; es sind immer wieder neue Interessenten nachgewachsen, die davon sprachen, dass die deutsche Geschichte "entkriminalisiert" werden müsse: Sie leugnen den Völkermord an sechs Millionen Juden und ihr Eifer dabei ist so groß wie ihre Frechheit. Heute marschiert diese Frechheit auch bei diversen Gida-Demonstrationen mit.

Neonazis haben den infamen Begriff "Auschwitz-Lüge" erfunden: Sie leugnen auch die Zahlen, die Juristen und Historiker akribisch ermittelt haben; allein in Auschwitz wurde eine Million Menschen ermordet. Neonazis leugnen, dass dabei das Giftgas Zyklon B zum Einsatz gekommen ist. Sie behaupten, dass es gar nicht so viele Juden gab, wie ermordet wurden. Sie nutzen dummenfängerische Argumente. Aber die Auflagenzahl einschlägiger Pamphlete zeigt, dass es den Trieb des Verleugnens und Verharmlosens gibt. Es hat sich vieles geändert in den Jahrzehnten deutscher Nachkriegsgeschichte. Dieses nicht.

Heute läuft die Frechheit der Neonazis bei ...gida-Demos mit

Indes: Muss diese Frechheit wirklich bestraft werden? Eigentlich ist das Strafrecht ja nicht dafür da, die Wahrheit als solche zu schützen. Wer Wahrheit nicht zur Kenntnis nehmen will, wer sie verdreht und leugnet, ist gewiss dumm. Aber auch Dummheit ist nicht strafbar. Der Schutz der Meinungsfreiheit erstreckt sich auch auf Irr- und Aberwitz. Müssen die Paragrafen, welche die Billigung, Leugnung oder Verharmlosung der NS-Untaten bestrafen, also wirklich sein? Sollte man die Neonazis nicht ihrem braunen Sumpf und ihrem Irrwitz überlassen? Es gibt nicht wenige Strafrechtler, die das fordern und daher die Bestrafung der Verharmlosung des Holocausts beenden wollen.

Die Befreiung des KZ Auschwitz durch die sowjetische Armee ist siebzig Jahre her. Das Leid der Opfer ist noch nah. Es gibt die anhaltende Pflicht, diese Opfer zu achten. Auf dem Weg zum Grundgesetz liegen die Ermordeten von Auschwitz, Sobibor, Treblinka, Majdanek und Dachau. Wer sie beleidigt, verwüstet den Grund des Seins der Grundrechte: Die Grundrechte der Meinungs- und der Demonstrationsfreiheit verkörpern auch die Erinnerung an das NS-Menschheitsverbrechen. Die Grundrechte dürfen also nicht missbraucht werden dürfen, um diese Erinnerung zu verhöhnen.

Ja, irgendwann muss wirklich Schluss sein: mit den immer neuen Versuchen, NS-Verbrechen zu verdrängen. Man muss das "nicht" aus einem fatalen Satz streichen, den Franz Josef Strauß in der Zeit des deutschen Wirtschaftswunders gesagt hat: "Ein Volk, das diese Aufbauleistung vollbracht hat, hat es nicht nötig, sich an Auschwitz erinnern zu lassen." Diese Erinnerung braucht es - immer und immer wieder.

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