Nach Wahlskandal in Geiselhöring:Schlammschlacht im Spargelland

Rund um Geiselhöring liegen Spargelfelder. Dort arbeiten Hunderte Erntehelfer aus Rumänien und Polen, die auch bei der Kommunalwahl gewählt haben.

Rund um Geiselhöring liegen Spargelfelder. Dort arbeiten Hunderte Erntehelfer aus Rumänien und Polen, die auch bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr gewählt haben.

(Foto: Wolfgang Wittl)
  • Nach dem Wahlskandal im niederbayerischen Geiselhöring, findet am Sonntag eine Neuwahl statt.
  • Polnische Erntehelfer hatten bei der Kommunalwahl für ihre Chefin, eine Spargelbäuerin und CSU-Politikerin, gestimmt. Ihr wird vorgeworfen, die Stimmzettel zu ihren Gunsten gefälscht zu haben.
  • Die CSU rechnet nach dem Debakel mit Verlusten.

Von Wolfgang Wittl, Geiselhöring

Was die kleinen Aufmerksamkeiten angeht, hat die CSU einen deutlichen Vorsprung: Auf den Tischen liegen schwarze Bandnudeln und Stifte, daneben Notizblöcke und Werbekarten mit Schokoladenherzen - Geschenke für die lieben Wähler. Nur die interessieren sich im Moment leider gar nicht dafür. Mehr als drei Stunden wirbt Herbert Lichtinger bereits für sich und seine Ziele, erklärt, warum er zum Bürgermeister von Geiselhöring gewählt werden will. Von den Zuhörern aber kommt nur Kritik: Die CSU, die sei doch nicht wählbar, schimpft einer. Es folgt der größte Applaus an diesem Abend.

Haindling, ein Ortsteil von Geiselhöring: Etwa 100 Menschen leben hier. Der bekannteste, der Musiker Hans-Jürgen Buchner, wohnt nur wenige Meter entfernt von der Alten Schule, wo die CSU so mühsam um die Gunst der Bevölkerung wirbt. Haindling ist eine Hochburg der Freien Wähler. Deren Kandidat Bernhard Krempl war erst vor zwei Tagen da, bei der vergangenen Wahl erzielte er hier sein bestes Ergebnis. Er sei traurig, dass alles so gekommen sei, sagt Krempl. Aber schuld sei nicht er, sondern die Verursacher von "Deutschlands größtem Wahlskandal".

Die Wahlfälschung bedurfte erheblicher krimineller Energie

Vor gut zehn Monaten geriet die Kleinstadt zwischen Regensburg und Straubing bundesweit in die Schlagzeilen. Von 482 rumänischen und polnischen Erntehelfern hatten 465 ihr Stimme abgegeben. Alle gingen an die CSU: An die Chefin eines Spargelbetriebs, bei der die Arbeiter beschäftigt waren, an ihre Freunde, Verwandte und an Herbert Lichtinger, der mit 303 Stimmen Vorsprung den Amtsinhaber Krempl als Bürgermeister ablöste. Diesen Sonntag finden die Nachwahlen statt, in Geiselhöring wie auch für den Kreistag von Straubing-Bogen. Die Kosten inklusive Wahlwerbung gehen in die Hunderttausende. Der politische Schaden ist nicht zu beziffern.

Fest steht, die Wahlfälschung bedurfte erheblicher krimineller Energie: Gutachter des LKA ermittelten, dass die Kreuzchen und Unterschriften maximal von einer Handvoll Personen stammten. Die Kriminalpolizei stellte fest, dass Wahlunterlagen bis nach Rumänien gefahren und erst in Deutschland ausgefüllt wurden. Auch die Überprüfung der Geiselhöringer Adressen machte staunen: Allein 23 Erntehelfer sollen in einem Haus von 123 Quadratmetern gewohnt haben, anderswo waren 45 unter nur einer Anschrift gemeldet - einem offenbar leer stehenden Haus. Im Oktober erklärten die Regierung von Niederbayern und das Landratsamt die Wahlen für ungültig. Der Kreistag wurde aufgelöst, die Geschäfte im Geiselhöringer Rathaus führt der Beamte Josef Rothammer.

Der Verdacht richtet sich gegen die Spargelbäuerin

Eine Frage, die auf Wahlversammlungen immer wieder auftaucht: Wie man eine Nachwahl ansetzen könne, ohne dass die Beschuldigten ermittelt sind? Wo deren Namen doch in aller Munde seien. Der Verdacht richtet sich gegen besagte Spargelbäuerin Rosemarie Baumann und Mitarbeiter von ihr. Baumann bestreitet die Vorwürfe. Die Staatsanwaltschaft Regensburg teilt mit, dass die Ermittlungen gegen fünf Beschuldigte noch etwas andauern. Besonders aufwendig sei die EDV-Auswertung nach einer Hausdurchsuchung bei den Baumanns. Auch gegen die Erntehelfer wurde ein Verfahren wegen Wahlfälschung und falscher eidesstattlicher Versicherungen eingeleitet. Dabei seien die doch die ärmsten Kerle, sagt man in Geiselhöring. Es treffe Menschen, die abhängig seien von ihrem Arbeitgeber und gar nicht wüssten, was sie getan hätten.

Als Opfer sieht sich auch die CSU: Seit 43 Jahren dominiert sie den Straubinger Kreistag, nun läuft sie Gefahr, die absolute Mehrheit zu verlieren. "Wir wurden so beschissen wie andere auch", sagt der Bundestagsabgeordnete an diesem Abend in Haindling. Namen nennt niemand, zumindest offiziell. Der Kreisvorsitzende aber drohte den Schuldigen, sofern sie denn eines Tages feststünden, bereits offen mit einem Ausschlussverfahren. Andere sollen eine Kandidatur verweigert haben, falls gewisse Personen auf der Liste blieben. Vertreter anderer Parteien sagen, sie hätten sich diese Abgrenzung schon früher gewünscht - und nicht erst aus Angst der CSU, in den Abgrund gerissen zu werden.

Die CSU rechnet mit dem Verlust von bis zu vier Sitzen

Rosemarie Baumann und ihr Mann sind inzwischen aus der CSU ausgetreten. Die Distanz sei zu groß geworden, verlautet es aus Parteikreisen. Als Strafverteidiger hätten sich die Baumanns offenbar gerne einen früheren bayerischen Justizminister genommen, doch der habe abgelehnt. Baumann wird weder für den Stadtrat noch als Kreisrätin kandidieren. Lokale CSU-Größen gehen bei der Kreistagswahl dennoch von einem Verlust von bis zu vier Sitzen aus - Skeptiker rechnen mit noch größeren Einbußen. Entscheidend wird sein, wie sich die Anhänger mobilisieren lassen. Bei der Kreistagswahl in Fürth, die ebenfalls wiederholt werden musste, lag die Beteiligung bei 29 Prozent. In Straubing-Bogen hofft man auf mindestens 40 Prozent.

Die beiden Geiselhöringer Bürgermeisterkandidaten unterscheiden sich in ihren Zielen nur marginal. Beide haben Urlaub genommen, um die Wähler an der Haustür von sich zu überzeugen. Beide gehen als ehemalige Bürgermeister ins Rennen, beide sind vorsichtig zuversichtlich. Eine Prognose wagt niemand. Die CSU wirbt damit, dass keiner der Beschuldigten erneut auf der Liste stehe. Kritik, das Amt als Bürgermeister überhaupt angetreten zu haben, weist Lichtinger zurück. Er habe das getan, damit die Stadt handlungsfähig bleibe. Die Freien Wähler behaupten, Lichtinger sei nie ein legitimer Bürgermeister gewesen.

"So eine Schmutzkampagne habe ich nie erlebt"

Beide Kandidaten versichern sich glaubhaft ihres gegenseitigen Respekts, und doch tobt eine "Schlammschlacht", darin besteht fraktionsübergreifende Einigkeit. Er mache zum siebten Mal Wahlkampf, aber "so eine Schmutzkampagne habe ich nie erlebt", sagt Krempl. Immer wieder tauchen anonyme Briefe auf: Einmal wird ihm nachgesagt, Mitarbeiter im Rathaus mit einer Kamera bespitzelt zu haben, dann wird ihm ein Verhältnis mit einer Journalistin angedichtet, die über den Wahlskandal berichtete. Lichtinger erhält Drohbriefe, er solle doch aus Geiselhöring abhauen. Interimsbürgermeister Josef Rothammer hat die wichtigste Aufgabe bereits hinter sich: die Vorbereitung korrekter Wahlen.

Im Gegensatz zum vergangenen März, als alle Wähler mit Hauptwohnsitz Geiselhöring zugelassen wurden, hat die Verwaltung diesmal unterschieden: Die Stadt hat bis zu 500 Personen angeschrieben, bei denen der Lebensmittelpunkt strittig war - etwa 100 Briefe kehrten allein als unzustellbar zurück. Im Vergleich zur zurückliegenden Wahl wird es diesmal etwa 500 Wahlberechtigte weniger geben. Dass trotzdem wieder so viele Briefwahlanträge eingegangen sind wie zuletzt, bereitet Rothammer keine Sorgen. Das Interesse an der Wahl sei einfach enorm. Am 5. Februar soll der neue Bürgermeister sein Amt antreten. Einzige Ausnahme: Bei Stimmengleichheit kommt es zur Stichwahl.

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