Vorbehalte im deutschen Mittelstand:Gestatten, die Wolke

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  • Cloud-Technologie ist ein zentrales Element der fortschreitenden Digitalisierung der Wirtschaft. Nicht nur IT-Unternehmen, auch Autobauer oder Einzelhändler greifen zunehmend auf die Angebote zurück.
  • Mit Hilfe von ausgelagerten Datenträgern lässt sich schneller und kostengünstiger arbeiten - Bedenken bestehen allerdings beim Datenschutz.
  • Auch in Deutschland sind die Investitionen in Cloud-Dienste 2014 um 46 Prozent auf 6,4 Milliarden Euro gewachsen. Gerade im Mittelstand sind jedoch viele Unternehmer skeptisch.

Von Helmut Martin-Jung

Sie hätten noch jahrelang so weitermachen können. Also Software entwickeln wie das Bildbearbeitungsprogramm Photoshop, auf das kaum ein Profi verzichten kann. Es hübsch verpacken in eine bunte Pappschachtel und diese teuer verkaufen, so zwischen 600 und 2500 Dollar pro Stück. Aber Adobe, ein Unternehmen mit drei Milliarden Dollar Umsatz, entschloss sich 2011 zu einem Schnitt. Einem sehr radikalen Schnitt. Datenträger in bunten Schachteln, das würde es künftig nicht mehr geben. Die Kunden würden die Programme vielmehr herunterladen und dafür ein Abonnement abschließen müssen. Anders gesagt: Adobe verlagerte sein Geschäft in die Cloud.

Die Cloud - lange war das ein Begriff, so nebulös und wenig greifbar wie die Wolken, von denen der Name sich ableitet. Dass man mit Diensten, die man aus Rechenzentren bezieht, zum Speichern von Daten, zum Berechnen, zum Analysieren großer Datenmengen, dass man damit Zeit und Geld sparen kann, das wissen heute die meisten. Doch Cloud, das ist in der Post-Snowden-Ära für viele zu einem Wort geworden, mit dem sich große Befürchtungen verbinden, gerade in Deutschland. Gierige, kaum zu kontrollierende Geheimdienste, Hackerangriffe - und solchen Risiken sollen Firmen ihre Daten aussetzen?

"Man konkurriert nicht mit den alten Wettbewerbern, sondern um Geschwindigkeit."

Christian Illek, der Chef von Microsoft Deutschland, kennt diese Ängste. Doch er fürchtet, dass Unternehmen in Europa und besonders in Deutschland vor lauter Bedenken übersehen, was da auf sie zurollt, wenn schon in den nächsten Jahren Milliarden von Geräten, von Bauteilen und Alltagsgegenständen miteinander vernetzt werden: "Das Internet der Dinge ist ein globaler Trend, der wird auch ohne uns stattfinden." Andere Länder würden versuchen, ihre Defizite aufzuholen, indem sie in Digitalisierung investieren. Die Diskussion, fordert Illek, der auch Mitglied im Vorstand des Branchenverbandes Bitkom ist, "muss chancenbezogen sein, nicht risikobezogen".

Seine Firma führt gerade einen Prozess gegen die US-Regierung. Die Geheimdienste sollen nicht einfach mit einem Durchsuchungsbefehl wedeln und an Daten auf Servern im Ausland herankommen können - auch wenn die von einer amerikanischen Firma betrieben werden. Um die Bedenken ihrer europäischen Kunden zu zerstreuen, sichern viele Cloud-Dienstleister bereits zu, dass die Daten nur in Europa oder auch nur in Deutschland gespeichert werden. Das nennt sich dann zum Beispiel "German Businesscloud".

Cloud-Speicher im Vergleich
:Datenspeicher in der Wolke

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Die Investitionen wachsen auch in Deutschland um satte 46 Prozent

Im Cloudgeschäft geht es nicht um Wolken - und eigentlich nicht einmal um Rechenzentren. Sondern um Vernetzung und Geschwindigkeit. (Foto: Mischa Keijser/plainpicture)

Und die Cloud-Anbieter führen potenzielle Kunden auch mal gerne durch ihre Rechenzentren. Das bleibt nicht ohne Wirkung: "Viele IT-Chefs von Dax-Unternehmen wollten erst lieber nichts in die Cloud auslagern", erzählt Robert Gögele, der die Geschäfte des IT-Beratungsunternehmens Avanade in den deutschsprachigen Ländern leitet. Aber nach einem Besuch müssten sie oft zugeben, dass sie ähnliche hohe Sicherheitsstandards in der eigenen Firma gar nicht erfüllen könnten.

Die Investitionen in die Cloud wachsen auch in Deutschland, 2014 um satte 46 Prozent auf 6,4 Milliarden Euro. Auf Dauer, glaubt Gögele, würden sich immer weniger Firmen den Kostenvorteilen der Cloud entziehen können. Denn die seien enorm: "Da reden wir vom Faktor fünf."

Vielen Unternehmen, die zumindest einen Teil ihres Geschäfts in die Cloud bringen, gehe es aber nicht einmal in erster Linie darum, Kosten zu sparen. "Sie wollen agiler werden", sagt Werner Vogels, der oberste IT-Verantwortliche bei Amazon. Will heißen: schneller sein in der Kommunikation mit dem Kunden, aber auch neue Projekte in kürzerer Zeit umzusetzen. "In der Entwicklung macht Schnelligkeit viel aus", sagt Vogels.

Lynn Vojvodich, die Marketingchefin des aggressiv wachsenden Cloud-Anbieters Salesforce geht sogar noch einen Schritt weiter: "Man konkurriert heute nicht mehr mit den Wettbewerbern von früher", sagte sie, "sondern um Geschwindigkeit".

Cloud-Anbieter können Geschwindigkeit liefern

Und die Cloud-Anbieter können sie liefern. In wenigen Minuten ist nicht bloß ein Zugang zu den Amazon Web Services, zu 1&1 oder Microsofts Cloud angelegt. Auch die gewünschten Server warten dann schon, ihre Arbeit zu beginnen. Wollte eine Firma das selber leisten, müsste sie erst einmal Rechenzentren aufbauen oder bestehende erweitern. Das aber kostet Zeit und vor allem viel Geld. Und es braucht dazu auch spezialisierte Mitarbeiter, die man nicht so leicht findet und die teuer sind.

Das meiste davon fällt weg, wenn man in die Cloud geht. Das amerikanische Start-up Airbnb etwa, das im Durchschnitt täglich um die 40 000 Wohnungen von Privatanbietern vermittelt, beschäftigt in seiner IT-Abteilung nur fünf Mitarbeiter. Die Airbnb-Webseite, die Abrechnung, der Zahlungsverkehr, die Kommunikation mit den zahlreichen Kunden - alles das läuft über die Web Services von Amazon.

Oder die großen Autokonzerne: Alleine VW will so viele Daten sammeln, dass der Konzern dafür zwei neue Rechenzentren aufbauen müsste. Daimler-Benz plant, die Daten von vernetzten Bauteilen zu erfassen. Das Ziel ist es, Fragen zu beantworten wie diese: Wie oft wird ein Seitenfenster wirklich heruntergelassen? Muss der Antrieb wirklich Zehntausende Male durchhalten, oder kann man ihn auch leichter, weniger robust und damit billiger produzieren?

Adobe baute die Firma um - und zwar gründlich

Billiger produzieren, das ließ sich beim Softwarehersteller Adobe kaum realisieren, Softwareentwicklung braucht eben Zeit und qualifizierte Mitarbeiter. Aber der Kundenstamm wuchs kaum, alle paar Jahre kauften die Nutzer eine neue Version von Photoshop oder Lightroom. "Wenn man genau hinsah, bemerkte man: Das einzige Wachstum rührte daher, dass die Preise angehoben wurden", sagt David Wadhwani. Er war durch die Übernahme seiner Firma zu Adobe gekommen, und bald fragte er sich: "Wie kann es sein, dass unser Geschäft nicht wächst, obwohl doch alle Welt mit dem iPhone digital fotografiert und filmt, obwohl immer mehr Webseiten erstellt werden?"

Wadhwani wurde klar, dass nur ein radikaler Umbau das Unternehmen vor einem Schicksal als Dinosaurier retten würde. "Wir waren nicht gut bei disruptiver Innovation", sagt Wadhwani, bei Neuerungen also, die einen Industriezweig, ein Geschäftsmodell völlig verändern. Also baute Adobe unter Wadhwanis Führung die Firma um. Und zwar gründlich. Photoshop gibt es nun auch für Handys und Tablets, das Programm für große Computer aber nur noch zur Miete. Und heute? Zählt Adobe bereits 5,9 Millionen Abonnenten.

Doch das ist noch nicht alles. "Vor Jahren war der Boom der mobilen Geräte eine Bedrohung für uns", sagt Wadhwani, "jetzt ist er eine Chance." Denn seine Firma bietet nicht bloß seine Programme über die Cloud an. Adobe will auch ein Ort sein, an dem Kreative sich treffen, sich austauschen, Kunden für ihre Arbeit ansprechen können. Entwickler können mithilfe von Adobe-Software auch eigene Fotobearbeitungsapps bauen, einzige Bedingung: Sie müssen sie mit Adobes Cloud verbinden: "Die wahre Macht", das hat David Wadhwani gelernt, "liegt in der Plattform und im Netzwerk". Darüber kann sich jetzt auch eine kleine Start-up-Firma die früher unbezahlbaren Adobe-Produkte leisten, es gibt sie ab gut zehn Euro pro Monat zur Miete.

Die Welt der realen Industriegüter müsse man "digital anreichern"

Adobe hat sogar aus seinen eigenen Erfahrungen beim Umbau zur Cloud-Firma ein Geschäft gemacht. Die dabei entwickelten Software-Werkzeuge zum Marketing sowie Know-how, das man durch Zukäufe erworben hat, bietet die Firma nun auch anderen Unternehmen an - auch dieses Geschäft entwickelt sich blendend.

Solche Beispiele erfolgreicher Transformation meint Microsofts Deutschland-Chef Illek, wenn er über die Chancen von Digitalisierung und Cloud spricht, auch von denen, die Deutschland womöglich verpasst: "Bis 2020 werden bei uns zwei bis vier Millionen Fachkräfte fehlen", sagt er, "aber die Deutschen wollen noch immer nicht einsehen, dass sie mit Digitalisierung die Produktivität steigern müssen." In der Welt der realen Industriegüter, da sei Deutschland zu Hause, aber die müsse man nun "digital anreichern".

Doch es gibt jede Menge Baustellen: Beim Breitbandausbau liegt Europas stärkste Wirtschaftsnation im Mittelfeld, die EU-Datenschutzgrundverordnung lässt auf sich warten. Ja, es fehlt selbst ein Forum, in dem Politik und IT-Wirtschaft konkrete Maßnahmen diskutieren könnten. Und aus dem Mittelstand, klagt Illek, höre man sehr oft noch Sätze wie "Ach, lasst mich doch mit dem Gedöns zufrieden."

Doch das Gedöns, also Cloud-Technik zu nutzen und agil reagieren zu können, werde schon bald darüber entscheiden, wie gut sich ein Unternehmen gegen die globale Konkurrenz behaupten könne. "Der Verlust von Wettbewerbsfähigkeit kommt schleichend", warnt Christian Illek, "aber irgendwann ist sie weg."

Aus dem Mittelstand heißt es: "Ach, lasst mich doch mit dem Gedöns zufrieden."

Die großen Firmen haben das inzwischen verstanden und treiben den Umbau mit Macht voran. Besonders betroffen ist zum Beispiel die Software-Firma SAP, denen Cloud-Konkurrenten wie Salesforce oder auch Workday, eine Firma für Personalverwaltungssoftware, Kunden abjagen wollen. SAP investiert daher viel Geld, um die eigene Software als Cloud-Lösung anbieten zu können. Und nimmt dafür auch in Kauf, dass Umsatz und Gewinn wohl erst einmal zurückgehen werden. Auch dem Handel ist endlich aufgegangen, dass er sich dem digitalen Wandel anpassen muss und dass er mit seinen Ladengeschäften etwas hat, was die reinen Internetanbieter nicht haben.

Nur muss man es dann auch richtig machen mit der Vernetzung. Da ist beispielsweise jenes Wintersportgeschäft, das sich eine formidabel gemachte Webseite zulegte. Doch als Robert Gögele, der Chef der IT-Beratungsfirma, etwas bestellte, hörte er erst einmal eine Woche lange nichts mehr von dem Versender. Und dann kam plötzlich per E-Mail die Nachricht, die bestellten Skier seien nicht im Lager.

© SZ vom 31.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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