Wölfe in Deutschland:"Neugierig, was dieser Zweibeinige da macht"

NABU - Tötung von Wölfen streng ahnden

Lange galt der Wolf in Deutschland als ausgestorben. Etwa seit dem Jahr 2000 sind die Tiere in hiesigen Wäldern wieder heimisch, vor allem in der Lausitz.

(Foto: dpa)
  • Wölfe waren in Deutschland ausgestorben, sind seit einigen Jahren jedoch in hiesigen Wäldern wieder heimisch.
  • Von der Lausitz in Sachsen aus haben sie sich in nordwestlicher Richtung ausgebreitet. In Niedersachsen hat ein junger Förster jetzt sogar ein ganzes Rudel fotografiert.
  • Inzwischen gibt es etwa 30 Rudel in mehreren Bundesländern, außerdem einige einzelne Tiere.

Von Oliver Klasen

In der Lüneburger Heide, zwischen den Ortschaften Oerrel und Lintzel, passiert normalerweise nicht so viel. In der Nähe befindet sich ein Truppenübungsplatz der Bundeswehr, ansonsten plätschert die Kleine Örtze durch den Wald. An einem Vormittag Anfang Januar allerdings machte ein junger Forstanwärter hier eine spektakuläre Beobachtung. Ein Rudel aus acht Wölfen querte die Bundesstraße. Nicht eilig und scheu, sondern in aller Ruhe, als hätten sie auf eine Lücke im Verkehr gewartet, liefen die Tiere über die Fahrbahn und in einen Waldweg hinein. Dem angehenden Förster gelang es sogar noch, seine Kamera aus dem Auto zu holen und die Tiere zu fotografieren.

Zunächst berichtete nur ein Nachrichtenportal für Jäger über den Fall, dann wurde die Geschichte vom NDR aufgegrifffen und inwzsichen interessieren sich Medien im ganzen Land für das Wolfsrudel. Die Bild-Zeitung titelt "Deutschland wieder Wolfs Revier". Das Blatt schreibt von einem Wolf "vor den Toren Hamburgs", auch wenn das ein bisschen großzügig ausgelegt ist, denn bis dorthin sind es von Oerrel mit dem Auto immerhin 80 Kilometer nordwärts.

Sind die Aufnahmen in der Lüneburger Heide tatsächlich so ungewöhnlich? Und müssen sich die Menschen in Deutschland jetzt darauf einstellen, dem Wolf wieder häufiger zu begegnen?

"Dass sich in Niedersachsen Wölfe aufhalten, ist nichts Neues. Allerdings ist es schon selten, dass man sie tagsüber an einer Bundesstraße sichtet", sagt Ilka Reinhardt. Sie leitet gemeinsam mit einer Kollegin das im sächsischen Spreewitz ansässige Lupus Institut für Wolfsmonitoring und -forschung in Deutschland, eine Forschungsstelle, die die Lebensweise und die Verbreitung der Wölfe untersucht.

Von der Lausitz aus zog es den Wolf nach Nordwesten

In der Lausitz, einer eher dünn besiedelten Region, die das südliche Brandenburg und das nordöstliche Sachsen umfasst, gibt es besonders viele Wölfe. 15 der etwa 30 in Deutschland bekannten und nachgewiesenen Wolfsrudel leben hier. Bis vor wenigen Jahren gab es in Deutschlands Wäldern überhaupt keine Wölfe mehr. Im 19. Jahrhundert wurden die Tiere derart intensiv gejagt, dass sie ausstarben. Erst 1998 sichteten Förster in der Lausitz wieder ein erstes Paar. Im Jahr 2000 wurde der erste Nachwuchs dokumentiert.

Sehr langsam konnte sich der Wolf, inzwischen unter Artenschutz gestellt, dann wieder vermehren. Von der Lausitz aus zog es ihn nach Nordwesten und inzwischen sind Wolfsrudel in fünf Bundesländern vertreten (hier eine Karte, die die Verteilung dokumentiert). In den bayerischen Alpen wurden in den vergangenen Jahren außerdem mehrere einzelne Wölfe gesichtet, die von Süden gekommen sein dürften.

Wölfe können sehr lange Strecken zurücklegen. "25 bis 30 Kilometer sind das übliche Tagespensum", sagt Forscherin Reinhardt. Junge Wölfe könnten aber noch viel weiter laufen, bis zu 70 oder 80 Kilometer pro Tag. Meist verlassen die Jungtiere im Alter von etwa zwölf bis 24 Monaten ihr Rudel und gründen eine eigene Familie. "Das ist im Grunde wie beim Menschen", sagt Reinhardt. "Manche lassen sich ganz in der Nähe ihrer Eltern nieder, andere zieht es weiter weg".

Das erklärt, warum es in der Lausitz auf relativ kleinem Gebiet gleich mehr als ein Dutzend Wolfsrudel gibt, während einzelne Wölfe nach Sachsen-Anhalt oder sogar bis nach Niedersachsen gezogen sind, um sich dort einen neuen Lebensraum zu erschließen. Doch warum haben sich die Tiere vor allem nach Nordwesten ausgebreitet? "Dafür haben wir noch keine gesicherte Erklärung", sagt die Wolfsforscherin. Von der Biologie her müssten sich die Rudel, in denen meist bis zu einem Dutzend Tiere leben, gleichmäßig in alle Richtungen ausbreiten.

Wolfskot wird auf Genmaterial untersucht

Das Lupus-Institut betreibt einigen Aufwand, um die Wanderungsbewegungen der Tiere zu analysieren und den Bestand zu dokumentieren. So wird der Kot, der im Wald hinterlassen wird, auf Genmaterial hin untersucht, um die Ausscheidungen einzelnen Tieren zuzuordnen. Daneben haben die Forscher im Wald Kameras installiert, die ähnlich wie Radarfallen im Straßenverkehr funktionieren. Einzelne Wölfe haben die Forscher auch mit Peilsendern ausgestattet.

So haben die Wissenschaftler herausgefunden, dass ein Wolf aus der Lausitz über mehrere Etappen bis nach Weißrussland gekommen ist. Sein Bruder dagegen habe sich nur wenige Kilometer vom elterlichen Rudel entfernt und dort eine eigene Wolfsfamilie gegründet.

Auch wenn die Wolfspopulation in Deutschland stetig wächst: Es ist selten, dass sich Mensch und Wolf in der Natur begegnen. "In der Regel sieht man einen Wolf nur dann, wenn dieser den Menschen nicht bemerkt hat", sagt Reinhardt. Die Tiere seien zwar nicht extrem scheu und es könne gerade bei jungen Wölfen auch vorkommen, dass sie neugierig gucken, "was dieser Zweibeinige da macht".

"Wer sich trotzdem fürchtet, wenn er auf einer Waldlichtung einem Wolf in die Augen sieht, kann einfach laut rufen oder in die Hände klatschen, dann verschwindet der Wolf meist sofort", sagt die Forscherin. Wer mit einem Hund in einem Wolfsgebiet unterwegs ist, solle ihn an die Leine legen, denn ein freilaufendes Tier wird von einem Wolf möglicherweise als Eindringling betrachtet, der ihn sein Revier streitig machen will.

Der Wolf, ohnehin ein sehr anpassungsfähiges Tier, schätzt die Ruhe der Wälder und hält sich vom Menschen fern. Es ist auch so gut wie noch nie vorgekommen, dass ein Wolf gegenüber einem Waldspaziergänger, Jogger oder Pilzesammler aggressiv geworden wäre. In der Nahrungspalette des Wolfes, die die Forscherinnen aus der Lausitz anhand von Kotproben analysiert haben, taucht der Mensch folgerichtig nicht auf.

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