Straßenbau in Deutschland:Verfall programmiert

Baustelle in Dachau, Münchner Straße

Für die Instandhaltung des deutschen Straßennetzes fehlen etwa 4,7 Milliarden Euro im Jahr.

(Foto: Niels P. Jørgensen)
  • Ein Großteil der deutschen Straßen ist in schlechtem Zustand. Sie auf konventionelle Weise zu reparieren, würde jährlich 4,7 Milliarden Euro kosten.
  • Doch Wissenschaftler forschen an neuen Verfahren, die eine billigere Instandhaltung ermöglichen sollen.
  • Dank neuer Technologien soll es auch möglich sein, Straßenschäden im Vorfeld zu erkennen.

Von Steve Przybilla

Die schlechte Nachricht zuerst: Es bröckelt gewaltig. Gerade jetzt im Winter genügen eine lädierte Fahrbahn und ein wenig Frost, um die nächste Schlagloch-Epidemie auszulösen. So wie jedes Jahr. Mehr als ein Drittel aller deutschen Landstraßen befinden sich laut Bundesverkehrsministerium in schlechtem (15,1 Prozent) oder sehr schlechtem (19,6) Zustand; nur vier Prozent aller Brücken erhalten inzwischen noch die Note "sehr gut". Lediglich den Autobahnen geht es etwas besser. Der größte Teil (70,5 Prozent) befindet sich in sehr gutem Zustand; nur acht Prozent werden als "sehr schlecht" beurteilt. Wobei selbst das in absoluten Zahlen ein gigantischer Wert ist: Von 13 000 Kilometern Autobahn sind demnach mehr als tausend Kilometer baufällig.

Um die angeschlagene Infrastruktur zu retten, hilft nur Geld - darin waren sich bisher die meisten Experten einig. Die von Bund und Ländern eingesetzte Daehre-Kommission stellte im Jahre 2012 fest, dass dem Straßennetz jährlich 4,7 Milliarden Euro fehlen (und dem Schienennetz noch einmal zwei Milliarden). Angesichts solcher Summen fällt auch die viel diskutierte Pkw-Maut kaum ins Gewicht. Selbst die wohlwollend gerechneten Schätzungen von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) taxieren die Mehreinnahmen auf maximal 700 Millionen Euro pro Jahr, ein Tropfen auf den heißen Stein.

Jetzt die gute Nachricht: Noch ist nichts verloren. Wenn schon kein zusätzliches Geld zu holen ist, so lässt sich der Verfall womöglich auf anderen Wegen stoppen. Europaweit arbeiten Wissenschaftler und Baufirmen an neuen Technologien, mit denen Risse geflickt, Fahrbahnen repariert und Brücken saniert werden können, ohne dass die Bauwerke komplett abgerissen werden müssen. Das allein spart Millionen. Und damit nicht genug. Sogar Schlagloch-Prognosen rücken in greifbare Nähe. Man stelle sich vor: Sanierungstrupps rücken aus, bevor ein Schlagloch überhaupt existiert - und verlängern die Lebensdauer einer Straße damit erheblich.

Der Wunder-Asphalt ist mit Stahlwolle gefüllt und hält doppelt so lange wie normaler Belag

Oder gleich eine Straße bauen, die fast ohne Reparaturen auskommt? Erik Schlangen, Professor an der TU Delft in den Niederlanden, arbeitet an genau dieser Vision. Seit neun Jahren forscht der Fahrbahnexperte an Straßen, die sich selbst reparieren. "Im Labor funktioniert's perfekt", sagt Schlagen.

"Wunder-Asphalt" nennt eine niederländische Zeitung die Erfindung, weil der schwarze, grobporige Klumpen mit Stahlwolle gefüllt ist und dadurch fast doppelt so lange hält wie normaler Flüster-Asphalt. Auch Jahre, nachdem der Wunder-Asphalt verlegt wurde, kann ein Spezialfahrzeug darüber fahren und ihn per Induktion erhitzen, so wie eine Herdplatte. "Dadurch wird der Bitumen flüssig und verschließt winzige Risse", sagt Schlangen.

Dass das auch außerhalb der Universität funktioniert, zeigt eine Teststrecke, die im Jahre 2010 auf der A 58 bei Vlissingen (Südwest-Niederlande) gebaut wurde. "Wir haben die Induktionsmaschine eingesetzt", so Schlangen, "und die Fahrbahn ist noch immer in perfektem Zustand. Normalerweise hätten wir nach dieser Zeit schon mit Schlaglöchern zu kämpfen."

Bakterien im Schlummerzustand

Noch ambitioniertere Ziele hat er sich für Betonbauwerke gesetzt. Mithilfe von Mikroorganismen sollen diese in Zukunft bis zu hundert Jahre halten. "Die Bakterien schlummern in einem inaktiven Zustand", erklärt der Wissenschaftler. "Erst wenn sie mit Wasser in Berührung kommen, das durch einen Riss im Material eindringt, wachen sie auf. Dann produzieren sie Kalk, der die Risse verschließt." In einer Tiefgarage, sagt Schlangen, habe sich das Verfahren schon bewährt. Der einzige Nachteil: Das Material ist am Ende rund 15 Prozent teurer als konventioneller Beton. "Auf lange Sicht lassen sich damit allerdings riesige Beträge einsparen", glaubt Schlangen.

In Deutschland, wo rund ein Viertel der Autobahnen aus Beton besteht, arbeitet die TU München an einem ähnlichen Verfahren. "Wir forschen an drei verschiedenen Heilungstechniken", sagt Christian Große, der den Lehrstuhl für Zerstörungsfreie Prüfung leitet. Er experimentiert mit sogenannten Hydro-Gelen, die Wasser im Beton aufsaugen und sich dabei ausdehnen. "Das Prinzip ist das gleiche wie bei Windeln", sagt Große. Der einzige Unterschied: "Der Klebstoff erhöht zusätzlich die Festigkeit des Werkstoffs. Damit können wir Beton fast komplett heilen." Aber, räumt der Wissenschaftler ein, ganz ausgereift ist das Verfahren noch nicht. "Wir müssen verhindern, dass der Beton schon beim Zusammenmischen verklebt."

In drei bis vier Jahren marktreif

Trotzdem geht Große davon aus, dass die Mischung in drei bis vier Jahren marktreif ist und dann auch genutzt wird. Immerhin ist seine Forschung ein Teil des EU-Projekts "Healcon", das über ein Budget von 5,3 Millionen Euro verfügt und Hochschulen mit Baufirmen in ganz Europa zusammenbringt.

Selbst für rostende Stahlbrücken besteht Hoffnung. In den Labors der Hochschule Wismar entstehen Kohlenstoff-Lamellen, die in die hohlen Längsträger unter der Fahrbahn eingeführt werden können. "Das läuft per Inliner-Fahren, wie bei der Kanalreinigung", sagt Kersten Latz. Der Brückenspezialist schätzt, dass die Sanierungskosten nur ein Fünftel dessen betragen, was ein Neubau kosten würde. Die weiteren Vorteile: Erstens können Brücken bei laufendem Betrieb repariert werden. Zweitens steigern die Kohlenstoff-Lamellen die Tragfähigkeit um bis zu 25 Prozent. "Das ist besonders wichtig, weil der Schwerlastverkehr weiter zunimmt", sagt Latz. Vermutlich noch in 2015 soll das Verfahren in der Praxis getestet werden.

Ein Teppich für die Fahrbahn

Was aber tun, wenn eine verschlissene Fahrbahn nicht mehr zu retten ist? Hier setzt Bernhard Steinauer an, emeritierter Professor an der RWTH Aachen und leidenschaftlicher Verfechter einer Teppich-Variante. Nach den Vorstellungen des Bauingenieurs soll künftig nur noch die oberste Schicht einer Straße abgetragen und durch eine abrollbare neue Schicht ersetzt werden. "Abends noch fahren Sie über eine alte Straße, am nächsten Morgen ist alles neu", sagt Steinauer. "Damit gehören kilometerlange Dauerbaustellen endlich der Vergangenheit an."

Je nach Beschaffenheit der Deckschicht könne die Straße sogar Strom produzieren, sagt Steinauer. Zudem soll sie nicht nur haltbarer, sondern auch leiser und mindestens genauso rutschfest sein wie konventioneller Asphalt oder Beton. Doch genau da liegt das Problem: "Wir suchen weiterhin das passende Material", räumt der Experte ein. Seine Prognose: Fünf bis zehn Jahre dauere es noch bis zum Durchbruch.

Schlaglöcher melden per Smartphone-App

Ob und wann die neuen Technologien in Deutschland tatsächlich zum Einsatz kommen - und wie viel Geld damit gespart werden könnte -, ist derzeit noch unklar. Das Bundesverkehrsministerium ließ mehrere Anfragen bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Geduld ist also gefragt, bevor die smarte Sanierung alltagstauglich wird. Bis dahin können Verkehrsteilnehmer auf eine Technik zurückgreifen, die sie ohnehin mit sich herumtragen. Per Smartphone lassen sich Schlaglöcher neuerdings direkt an die zuständigen Behörden melden - so wie in Gelsenkirchen, wo die Stadt vor zwei Jahren eine entsprechende App eingekauft hat.

Noch schöner wäre nur, wenn Schlaglöcher erst gar nicht entstünden. Schon heute wird der Zustand der Autobahnen regelmäßig durch Messfahrzeuge überprüft, die Kameras und Sensoren an Bord haben. Mujib Rahman, ein Wissenschaftler der Brunel University in London, will sich diese Daten zunutze machen. Er schreibt einen Algorithmus, der Schlaglöcher erkennen soll, bevor sie überhaupt auftreten. Ob's funktioniert, wird sich schon bald zeigen, denn Wissenschaftler Rahman will noch in diesem Jahr einen ersten Feldversuch starten.

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