Konflikt in der Ukraine:Eine Lektion in Realismus für die Welt

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Russlands Präsident Putin im Gespräch mit Bundeskanzlerin Merkel im Kreml. Nicht im Bild ist Frankreichs Präsident Hollande, der ebenfalls an den Gesprächen teilnahm. (Foto: REUTERS)

Mit nackter Gewalt zwingt Putins Russland dem Nachbarn Ukraine seinen Willen auf. Der Konflikt mit Moskau zeigt den Europäern, dass die Friedensordnung auf dem Kontinent beschädigt ist. Dass Merkel nun als Vermittlerin agiert, ist richtig.

Kommentar von Stefan Kornelius

Die Welt erhält gerade eine deftige Lektion in Realpolitik. Der fulminante Vorstoß russisch unterstützter Separatisten im Osten der Ukraine erzwingt einen schnellen Waffenstillstand zu Bedingungen, die der Regierung in Kiew Sorgen bereiten müssen. Wird es am Ende also so sein, dass sich die rohe Gewalt durchsetzt und dem Unterlegenen der schwache Trost bleibt, vielleicht nur der Klügere gewesen zu sein?

In der Ukraine geht es längst nicht mehr um Kategorien von Recht, moralischer oder politischer Überlegenheit. Hier herrschen die Gesetze der blanken Gewalt. Es geht um die kalte Abwägung, welcher Preis am Ende dieses Krieges zu zahlen sein wird - und wer die Summe aufbringt. Für die Konfliktparteien ist die Rechnung reduziert auf das nackte Interesse und die Schmerzen, die man zu ertragen bereit ist. Deswegen ist ein Waffenstillstand wieder einmal möglich, aber bei Weitem nicht sicher.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko und sein schneidiger Premier Arsenij Jazenjuk müssen akzeptieren, dass sich ihre Optionen nicht mehr verbessern werden. Die Separatisten werden ihnen mit massiver russischer Hilfe eine militärische Niederlage bereiten, die in der Ukraine böse Geister wecken und das politische Überleben der Amtsträger gefährden könnte. Der Niedergang der Währung und der Kollaps der Staatsfinanzen wird den ökonomischen Exodus der Ukraine beschleunigen. Für Poroschenko stellt sich nun die Frage, welchen Preis er seiner Bevölkerung zumuten kann, ohne sein politisches Überleben zu riskieren.

Der russische Präsident Wladimir Putin steht auf der anderen Seite der Interessensgleichung. Nach einem Jahr dieses fürchterlichen Krieges sollte man endlich die rhetorischen Spielereien beenden und die Dinge benennen: Putin lässt einen Stellvertreterkrieg im Donbass führen. Die Separatisten sind seine Schöpfung. Die gewaltige Militärmaschine, die seit Jahresbeginn rollt, kommt aus Russland. Sie hat große Erfolge erzielt.

Faktisch stehen die Ukraine und Russland vor einem offenen Staatenkrieg. Weil aber die Kräfteverhältnisse eindeutig sind, hat sich Russland durchgesetzt. Der Donbass wird in weiten Teilen autonom werden, Kiew wird eine schwärende Wunde im ukrainischen Staat zu versorgen haben und auf absehbare Zeit auf die Freiheit verzichten müssen, seine Politik - vor allem die Orientierung in Richtung Westen - souverän bestimmen zu können.

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Das Treffen dauert mehrere Stunden, dann sendet Russlands Präsident positive Signale: Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande suchen mit Putin einen Kompromiss für Frieden in der Ukraine. Die heikle Mission soll am Sonntag weitergehen.

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Aber auch Putin hat den Preis vor Augen, den er bei einer Fortsetzung des Krieges zahlen müsste: In der kommenden Woche beraten die EU-Staats- und Regierungschefs über neue Sanktionen. Russland könnte - das härteste Szenario - aus dem internationalen Zahlungssystem ausgeschlossen werden. Das wäre ein herber Schlag gegen die bereits taumelnde Wirtschaft. Viel realistischer ist es aber, dass eine Fortsetzung des Krieges zu einer militärischen Eskalation führt, weil es trotz aller gegenteiligen Versicherungen aus Washington nicht unwahrscheinlich ist, dass die USA oder die der Ukraine sehr eng verbundenen baltischen Staaten oder Polen schwere Waffen liefern werden. Zum realpolitischen Eingeständnis gehört also auch die Erkenntnis: Ohne die Drohkulisse aus Washington hätte Putin nicht den Verhandlungen zugestimmt. "Speak softly and carry a big stick" - Zuckerbrot und Peitsche, die Erfolgsformel von Theodore Roosevelt für alle Realisten mit idealistischen Träumen gilt auch in der Ukraine.

Das Dilemma im Ukraine-Krieg bleibt, dass die Vermittlungsnationen über diesen dicken Rohrstock nie verfügt haben. Es gab kein Druckmittel, das auf die Konfliktparteien unmittelbar Eindruck gemacht hätte. Es spricht deshalb für die Vermittlungskunst der deutschen Bundeskanzlerin, dass sie sich den Instinkt für den richtigen Augenblick bewahrt hat. Es spricht zweitens für sie, dass sie in diesem Augenblick derart demonstrativ dem französischen Präsidenten an ihrer Seite Raum gibt. Das bewahrt die Europäische Union vor einem möglichen Schisma - Hollande kann glaubwürdiger die zweifelnden Mitglieder aus dem Süden an Bord halten, etwa Griechenland, das eine ganz andere Agenda mit Deutschland hat. Merkel stellt sich außerdem einen Versicherungsschein aus. Geht die Vermittlung schief - das Risiko ist nicht gering -, dann ist die Last auf zwei Schultern verteilt.

Für die Ukraine stellt sich die Frage nach den Konditionen, und vor allem: der politischen Erträglichkeit eines Waffenstillstands. Bei Putin bleibt offen, wie realistisch er seine Lage noch einschätzen kann und will. Für die europäischen Vermittler geht es um zweierlei: Niemand will und kann der Ukraine einen Friedensschluss aufdrängen, besonders eine deutsche Kanzlerin nicht. Poroschenko muss eine Lösung selbst tragen - und darf nicht fremde Mächte für das Ergebnis in Haftung nehmen. Das würde neue Mythen schaffen.

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Außerdem geht es am Ende noch um ein paar wichtige Grundsätze der Zusammenarbeit: Es gibt eine bindende Vereinbarung mit Russland - das Minsker Protokoll. Wenn diese Vereinbarung angesichts der rohen Gewalt hinfällig würde, käme das einer Kapitulation auch der Vermittler gleich. Die Verschiebung der Demarkationslinie mag unumgänglich sein, aber das Papier von Minsk hat dennoch in all seinen Details zu Wahlen, Hoheitsrechten, Gefangenenaustausch oder Abzug der Waffen Bestand.

Für Deutschland, aber auch für den Rest Europas, hält dieser Krieg ein paar bittere Lehren bereit: Die europäische Friedensordnung ist an ihre Grenzen gestoßen. Die friedensstiftende Kraft von Recht und das Prosperitätsversprechen der EU sind offenbar nicht stark genug, um gegen die nackte Gewalt und eine seit Jahrhunderten in Europa verwurzelte Vorstellung vom Gleichgewicht der Mächte bestehen zu können. Die politische Postmoderne, die gerade Deutschland so gerne auf diesem Kontinent sähe und die dem Land ein paar harte Entscheidungen erspart hätte, zerschellt an uralten russischen Ängsten vor Einkreisung und Fremdherrschaft. Diese realpolitischen Lektionen werden die Vorstellungskraft der EU schärfen.

© SZ vom 07.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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