Hervé Falciani:Der Mann hinter den Swiss-Leaks-Dokumenten

Mit den Daten, die Hervé Falciani der HSBC geklaut hat, erschüttert er die Welt vieler Reicher und Steuerhinterzieher. Wer ist der Mann?

Von Nils Casjens, Frederik Obermaier und Bastian Obermayer

Ein Treffen in Paris, vor einigen Wochen. Hervé Falciani, 42, erscheint bester Laune und braun gebrannt in der Redaktion von Le Monde, schickes Hemd und Jackett. Dass vier Fernsehkameras das Interview mitschneiden werden? Kein Problem. Der französische Computerspezialist Falciani ist Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit gewohnt, er hat mittlerweile ungezählte Interviews gegeben.

Vor einem Jahr trat er sogar bei den Wahlen zum Europäischen Parlament an, als Spitzenkandidat der spanischen Partei Partido X. Seine Wahlkampfthemen waren: Korruption und Steuern. Gewählt wurde er allerdings nicht.

Wenn sich in diesen Tagen des Swiss-Leaks die HSBC für ihre Machenschaften und dubiosen Kunden rechtfertigen muss, und die Öffentlichkeit von den geheimen Schweizer Konten von Königen und Oligarchen erfährt, von Despoten und Ministern, von Waffenhändlern, Drogenschmugglern und potenziellen Finanziers der al-Qaida - dann steht im Mittelpunkt jeder einzelnen Geschichte dieser Mann: Hervé Falciani. Der Whistleblower. Für viele ist er ein Held. Die New York Times nennt ihn den "Edward Snowden der Banken".

Geduldig wartet Falciani, bis die Kameras aufgebaut sind, das Licht stimmt und die Reporter von Le Monde, die das Interview führen werden, bereit sind.

Die Geschichte dieses unerhörten Datendiebstahls beginnt im März 2006, als Falciani von der HSBC in Monaco zur HSBC-Schwester in Genf wechselt. Bevor Falciani die Welt der Banken betrat, war er, der leidenschaftliche Pokerspieler, acht Jahre lang Croupier in einem Casino in Monte-Carlo gewesen.

Der Wechsel zur HSBC ist lohnend, die HSBC ist ein Bankenriese. Falciani verdient dort mehr als 100 000 Euro im Jahr. Seine Aufgabe: ein neues Computersystem mit den bestehenden Kundendaten zu bestücken. Schon nach kurzer Zeit, sagen Ex-Kollegen, sei Falciani unzufrieden gewesen in der HSBC, er habe eine andere Stelle gewollt, und ein anderes Datenbanksystem.

Möglicherweise, so werden es jedenfalls die Schweizer Ermittler rekonstruieren, vergehen nur wenige Monate vom Tag seines Dienstantritts bis zu dem Tag, an dem er offenbar beginnt, vertrauliche Kundendaten abfließen zu lassen. Von Oktober 2006 an importierte Falciani die komplette Datenbank der HSBC-Kunden in das neue System. Während dieses Vorgangs, das ergaben interne Ermittlungen der HSBC, waren die eigentlich verschlüsselten Daten immer wieder unverschlüsselt. War das der Moment, in dem der unzufriedene Mitarbeiter Falciani seine Chance auf eine goldene Zukunft sah?

Im Gespräch in Paris liefert er eine andere Version. Eine, von der er zuvor noch nie gesprochen hatte: Er behauptet, er habe Komplizen gehabt. Diese hätten - um die Lügen der HSBC aufzudecken - die sensiblen Kundendaten, auf die er selbst nie Zugriff gehabt habe, in eine Cloud geladen. Er habe das Material nur zusammengestellt.

Er wäre also nicht der Dieb gewesen, gestohlen hätten andere. Warum erzählt er davon erst jetzt? Soll man ihm glauben?

Falciani hat in den vergangenen Jahren viel erzählt, und viel davon war offenbar falsch. Immer wieder verheddert er sich in Widersprüche, erfindet Dinge, bringt neue Versionen seiner Geschichte in Umlauf. Auch in diesem Interview.

Die größten Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit entstehen aus den Aussagen einer Frau, die in den Jahren 2006 bis 2008 viel Zeit mit ihm verbracht hat: Georgina Mikhael, seine damalige Geliebte. Die vier Jahre jüngere Franco-Libanesin und der verheiratete Hervé Falciani lernen sich Mitte 2006 bei der HSBC kennen. Erst sind sie nur Kollegen, dann beginnen sie eine Affäre, schließlich werden sie offenbar zu Komplizen. Georgina Mikhael behauptet sogar, Falciani sei überhaupt nur aus einem Grund zur HSBC Genf gegangen: weil er Daten stehlen und damit Geld verdienen wollte - was er bestreitet. Mikhael beschreibt ihn als manipulativ und gierig, er sei wahrlich "kein Robin Hood", sagte sie im August 2013 der New York Times.

Wohl im Dezember 2006 weihte Falciani seine Geliebte in einen Teil seines Geheimnisses ein, vermuten die Ermittler. Ein Projekt entsteht - das offenbar darum kreist, die gestohlenen Daten weiterzugeben. Zu verkaufen? Das ist die Frage.

Fünf DVDs für die Ermittler

Offenbar hat Georgina Mikhael das Projekt so verstanden. Sie schreibt im Juni 2007 eine Mail an einen saudischen Geschäftsmann und bietet ihm Kundendaten an, tausend Dollar pro Stück. Der Polizei wird sie später sagen, es habe sich um eine Art Markttest gehandelt, die Summe habe sie mit Falciani nicht besprochen. Er behauptet, er habe davon nichts gewusst.

Schweizer Ermittler verhaften Falciani und seine Geliebte im Dezember 2008 und vernehmen sie in Genf. Am Abend darf er die Wache der Kantonspolizei nur unter der Auflage verlassen, sich am nächsten Tag wieder einzufinden. Die Beamten haben Mitleid mit ihm, weil er sich angeblich um sein behindertes Kind kümmern muss.

Statt sich auf dem Polizeirevier einzufinden, flieht Falciani am Morgen mit seiner Familie und ohne die Geliebte in einem Mietwagen nach Nizza. Dort lädt er von einem Server, der im Ausland steht, die gestohlenen Daten herunter. Er übergibt französischen Ermittlern fünf DVDs.

Die Moralfrage? Für die Ermittler nicht relevant

In der Schweizer Anklage gegen ihn ist einer der zentralen Punkte, er habe mit dem Datendiebstahl "abkassieren" wollen. Das sind die beiden Bilder, die sich die Welt von Falciani macht: der Abkassierer und der Held. Möglicherweise ging Falciani tatsächlich als der eine los und kam als ein anderer an? Keiner weiß das so genau, vielleicht nicht einmal er selbst.

Für die HSBC ist diese Frage am Ende schmerzlich egal. Gleiches gilt für die enttarnten Steuerbetrüger und Geldwäscher. Den Ermittlern wiederum ist die Moralfrage ohnehin gleichgültig. Geheime Bankdaten sind nicht weniger wertvoll, nicht weniger wahr und nicht weniger beweiskräftig, wenn dem Mann, der sie beschafft hat, Charakterschwächen nachgewiesen werden.

Sollte Hervé Falciani vorgehabt haben, mit den Daten vor allem Geld zu verdienen, wofür einiges spricht, dann wäre es die Ironie dieser Geschichte, dass er damit erst gescheitert ist, um dann genau dafür gefeiert zu werden.

Er lebt jetzt das Leben eines Whistleblowers. Man nimmt an, dass Hervé Falciani auch eine Wohnung in Paris hat, bekannt ist, dass er an wechselnden Orten in Frankreich wohnt und dass stets Bodyguards in seiner Nähe sind. Warum? Die Antwort steht in den Daten des Swiss-Leaks: Dort stößt man auf Namen und Details von Personen, die im wahren Leben ihre Interessen mit Schlägertrupps und Schlimmerem durchsetzen. Das weiß auch Falciani.

Die Süddeutsche Zeitung berichtet von der Montagsausgabe an in einer Serie über Swiss-Leaks. Die Seite Drei porträtiert den Informanten Falciani als "Robin not so good". Eine Doppelseite analysiert das Ausmaß des Datenlecks sowie die Rolle der HSBC und lässt den französischen Staatsanwalt zu Wort kommen, der über den entscheidenden Moment in den Ermittlungen spricht.

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Mitarbeit

Thierry Backes, Bastian Brinkmann, Robert Gast, Titus Plattner, Oliver Zihlmann

Interview: Gérard Davet und Fabrice Lhomme

Zeichnungen: Yinfinity

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