Bombardierung von Dresden:"Der Mythos entstand noch in den rauchenden Trümmern"

Zerstörung Dresdens am 13./14. Februar 1945

Vor den Trümmern der Stadt - heute ist Dresden ein Symbol der Versöhnung.

(Foto: dpa)

Eine Stadt in Flammen: Am 13. Februar 1945 bombardierten die Alliierten Dresden. Seitdem wird das Datum instrumentalisiert - erst von den Nazis, später von der DDR. Bis heute streitet die Stadt um die Erinnerung. Hilfe kommt aus Oldenburg.

Von Antonie Rietzschel

In den Bombennächten von Dresden sterben 25 000 Menschen. Bis heute wirft der 13. Februar 1945 einen langen Schatten über die Stadt. Deren Bewohner streiten bis heute über den richtigen Umgang mit dem Datum. Malte Thießen begleitet die Diskussionen. Der Juniorprofessor forscht am Institut für Geschichte der Universät Oldenburg unter anderem zur Erinnerung an den Nationalsozialismus. Als Nicht-Dresdner wirft der 40-Jährige bei Diskussionsveranstaltungen einen kritischen Blick auf die Einnerungskultur der Stadt.

SZ.de: Dresden, die sächsische Barockstadt als einzigartiges Opfer im Zweiten Weltkrieg - dieser Mythos hat bis heute Bestand. Wie ist er entstanden?

Malte Thießen: Bereits zwei Tage nach dem Angriff gibt das Reichspropagandaministerium eine Meldung an das "Deutsche Nachrichtenbüro", in der von einer planmäßigen Vernichtung der Bevölkerung die Rede ist. Diese Nachricht findet in die internationale Presse, so beispielsweise in das Svenska Morgenbladet, das von hunderttausend Toten unter den Millionen Flüchtlingen und Einwohnern Dresdens schreibt. Diese scheinbar "neutrale" Meldung aus dem "Ausland" wird wiederum in der deutschen Presse begeistert aufgegriffen, die die Nachricht vom hunderttausendfachen Opfertod im ganzen Reich verbreitet, um die Deutschen für den Endkampf vorzubereiten. Der Mythos entstand noch in den rauchenden Trümmern.

Worum ging es den Alliierten aus Ihrer Sicht bei der Bombardierung? Die Stadt war ein militärisches Ziel, es ging darum den Nachschub zur Front zu stören. Natürlich war klar, dass es auch zivilie Opfer geben wird. Aber die Bombardierung war kein blinder Vergeltungsschlag, bei dem sinnlos eine Kulturstadt ausgelöscht werden sollte.

Dieses Motiv wurde auch von der DDR-Führung aufgegriffen.

Die Zerstörung Dresdens wird als Terrorwerk des Westens propagiert. In den fünfziger und sechziger Jahren kommen anlässlich des 13. Februars die Spitzen der DDR zusammen. Es gibt große Aufmärsche, Demonstrationen und Ausstellungen. Gleichzeitig geht es auch darum zu zeigen, wie aus den Trümmern eine neue Gesellschaftsordnung entsteht. In den achtziger Jahren wird nur noch zum 40. Jahrestag der Bombardierung ein großer Gedenkakt inszeniert. Das hängt eng mit dem atomaren Wettrüsten zusammen. Allerdings sind es zu der Zeit vor allem kirchliche Akteure, die das Erinnern an den 13. Februar aufgreifen und es zum Friedensapell formulieren.

Ein zentraler Punkt des Mythos Dresden sind die Opferzahlen - als 2008 eine Historikerkommission zu dem Ergebnis kommt, dass durch die Bombardierung 25 000 Menschen getötet wurden, gibt es unter den Dresdnern einen Aufschrei. Warum?

Die hohe Opferzahl war lange der Beweis der Einzigartigkeit dieses Angriffs und somit der Beweis für die Einzigartigkeit dieses Orts. In keiner anderen Stadt gab und gibt es einen solchen Wettlauf um die höchsten Opferzahlen. 25 000 Tote sind viel. Aber bei der Bombardierung von Hamburg starben 34 000 Menschen, das spielt dort nicht so eine starke Rolle. In Dresden dagegen läuft man durch die Stadt und plötzlich ist die Zahl an die Wand gesprüht und jeder Dresdner weiß, was damit gemeint ist.

Warum ist den Dresdnern diese Einzigartigkeit so wichtig?

Sie ist Teil der Identität der Stadt. Erinnerung hat wenig mit Geschichte zu tun, sondern mit der Verwandlung der Vergangenheit in eine gute Geschichte.

Wie sieht die im Fall Dresdens aus?

Die einzigartige Barockstadt wird im Zweiten Weltkrieg zum einzigartigen Opfer, um schließlich wie Phönix aus der Asche wieder aufzuerstehen. Besonders gut kann man das auf dem Neumarkt sehen, wo die Frauenkirche steht. Eigentlich war deren Wiederaufbau als Fingerzeig in die Vergangenheit gedacht. Doch in den neunziger Jahren wurde sie vor allem zum Symbol der Versöhnung, dafür, dass Narben heilen können. Mittlerweile ist sie vor allem ein Schmuckkästchen. Das einzigartige Schöne rückt wieder in den Mittelpunkt.

Die Bombardierung von Dresden wurde über Jahrzehnte hinweg instrumentalisiert. Rechtsextreme nutzten sie zuletzt, um riesige Aufmärsche zu organisieren. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gibt es erst seit ein paar Jahren. Sie werden mittlerweile regelmäßig zu Diskussionsveranstaltungen eingeladen. Wen treffen Sie dort?

In den vergangenen fünf Jahren haben sich sehr verschiedene Gruppen zusammengefunden: Das geht von der Antifa bis zur regierenden CDU-Oberbürgermeisterin Helma Orosz.

Wird es dabei auch emotional?

Linke, die eine kritische Auseinandersetzung forderten, wurden in der Vergangenheit schon mal als Störenfriede wahrgenommen, weil sie angeblich die Wiederaufbaugeschichte kaputt machen. Im vergangenen Jahr kam eine Frau auf mich zu, die die Bombardierung Dresdens miterlebt hat. Unter Tränen erklärte sie mir, wie schwierig es sei, an die toten Freunde zu erinnern, aber gleichzeitig auch an die Verbrechen der Deutschen. Das zeigt, wie vielschichtig die Erinnerung ist.

Was heißt das für das Gedenken an den 13. Februar?

Man kann an Opfer erinnern, darf aber nicht die Gesamtgeschichte des Nationalsozialismus vergessen und Dresdens Rolle. Hier gab es die erste Bücherverbrennung. Dresdner Juden wurden in Konzentrationslager deportiert - bis Mitte Februar 1945. Wer von Nazis verfolgt wurde, empfand die Bombardierung Dresdens vielleicht sogar als Befreiung. Auch Zeitzeugen weisen mittlerweile auf die Komplexität der Geschichte hin.

Woher kam der Impuls, über die Erinnerung der Stadt kritisch nachzudenken?

Der 13. Februar ist immer weniger Familiengeschichte. Die kritische Auseinandersetzung wird vor allem von Nachgeborenen angetrieben. Aber auch die Aufmärsche Rechtsextremer haben zusätzlich für Druck gesorgt. Dresden lebt sehr stark vom Tourismus und damit von der Außenwirkung. Die Instrumentalisierung durch Neonazis sorgt nicht gerade für gute Presse.

Hätte die Stadt das nicht von vornherein verhindern können, wenn sie früher mit einer kritischen Auseinandersetzung begonnen hätte?

Ja. Andererseits ist es bemerkenswert, dass sich in einer Stadt überhaupt so unterschiedliche Strömungen zusammenraufen und über Erinnerungskultur diskutieren. In der Größenordnung gibt es das nirgendwo sonst. Und so langsam schaffen sie es, den Opfermythos aufzubrechen.

Bei der zentralen Gedenkfeier in der Frauenkirche wird auch Bundespräsident Joachim Gauck sprechen. Was denken Sie, welche Botschaft wird er der Stadt mitgeben?

Der Gedanke der Versöhnung wird in diesem Jahr wahrscheinlich wieder sehr stark im Vordergrund stehen. Das würde nur dem allgemeinen Trend beim Gedenken an den Zweiten Weltkrieg entsprechen. Es scheint, als habe Europa seinen Frieden mit der Geschichte gemacht - die Schuld der Deutschen rückt immer weiter in den Hintergrund. Dabei darf die nie vergessen werden.

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