Gedenken an Luftangriffe:Eine Stadt sucht Ruhe

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Große Teile der Dresdner Altstadt wurden bei den Luftangriffen am 13. Februar 1945 zerstört. (Foto: Getty Images)
  • Am 13. Februar jährt sich das Bombardement Dresdens durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg zum 70. Mal.
  • In den vergangenen Jahren hatten Rechtsextreme versucht, das Andenken an die Luftangriffe durch Aufmärsche zu instrumentalisieren. Dagegen formierte sich Widerstand.
  • Es gibt Anzeichen, dass Dresden etwas zur Ruhe kommt, nachdem die Pegida-Märsche an Zulauf verloren haben.
  • In Dresden breitet sich eine Demo-Müdigkeit aus, dafür ist inzwischen eine neue Debatten-Kultur entstanden.

Von Cornelius Pollmer, Dresden

Es gibt einige Menschen in Sachsen, die in den zurückliegenden Wochen ihren Lebenslauf ergänzen durften, in der Kategorie Ehrenamt und mit folgendem Eintrag: Bürger von Dresden, Vollzeit.

Mit dem Aufkommen von Pegida ist die Stadt eine dauernervöse geworden. Nun, da sich ein Abklingen der Bewegung andeutet, wäre es höchste Zeit für Entspannung. Vielleicht einfach mal ein paar Tage wegfahren? Das wär's, die Verkehrsleittafeln im Zentrum versprechen sogar die meiste Zeit "flüssigen Verkehr Richtung Autobahn".

Nach ein paar Sekunden aber springen die Anzeigen stets um, sie bitten dann höflich darum, sich doch bitte am 13. Februar in die Menschenkette einzureihen, mit welcher still erinnert werden soll, an die Zerstörung der Stadt vor 70 Jahren.

Schlüsseltag im Dresdnerianischen Kalender

Normalerweise verhält es sich so: Der 13. Februar ist der Schlüsseltag im Dresdnerianischen Kalender. Seine jüngere Geschichte ist eine der Vereinnahmung durch die Aufmärsche Rechtsextremer und auch eine der schrittweisen Befreiung davon.

Normalerweise beginnen die stadtöffentlichen Diskussionen und Mutmaßungen über den Ablauf des Tages mit locker einem halben Jahr Vorlauf. Normalerweise ist man an dem Tag selbst dann wieder überrascht, wie viele Menschen sich auf einmal durch eine sonst verhalten belebte Stadt schieben können. So ist das, normalerweise, und so ist es gerade eben nicht.

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"Pegida hat nur einen eisernen Rest gelassen"

Dauernervosität macht müde und für die Vermessung dieser Müdigkeit hilft es, sich mit Silvio Lang zu unterhalten, dem Sprecher von Dresden Nazifrei. Im Oktober 2009 schlossen sich verschiedene Gruppen mit dem Ziel zusammen, den damalig "größten alljährlichen Naziaufmarsch Europas" zum 13. Februar mit Blockaden zu verhindern.

Das Bündnis wartete lange, bis es sich zu Pegida positionierte, "auch weil wir uns gefragt haben: Können wir uns das leisten?", sagt Lang. Und, konnten sie? "Unsere Kraft, unsere Nerven, unser Budget - alles aufgebraucht. Pegida hat uns nur einen eisernen Rest gelassen, um jetzt wenigstens noch unseren Täterspurenrundgang abzuhalten."

Jeder Montag kostete 2000 Euro

In den vergangenen Jahren investierte das Bündnis in die Kampagnen zum 13. Februar je einen Betrag im unteren fünfstelligen Bereich. In den vergangenen Wochen kostete jeder Montag, an dem zum Protest aufgerufen wurde, 2000 Euro. Besonders angespannt sei die Situation vor Weihnachten und im Januar gewesen, sagt Lang. "Da haben wir gemerkt, wie es immer schwieriger wurde, Leute zu mobilisieren und auf die Straße zu bringen."

Pegida wuchs und wuchs, für die Gegendemonstranten war das frustrierend. Stundenlanges Stehen in der Kälte, ohne spürbaren Erfolg. Vor der doppelten Wiederkehr von Pegida nach der Spaltung beschloss das Bündnis, nicht zum Gegenprotest aufzurufen. Eine Pause, um vor dem 13. Februar Kräfte zu schonen. Man habe den eigentlichen Zweck von Dresden Nazifrei wegen Pegida nicht weiter vernachlässigen wollen, sagt Lang.

Ruhestand des Polizeipräsidenten verschoben

Den Demo-Kater hat das Bündnis nicht exklusiv. Anfang Januar verschob Sachsens Innenminister Markus Ulbig den Ruhestand des Dresdner Polizeipräsidenten, "gerade in diesem Jahr" brauche man schließlich Kontinuität.

Wenig später soll Dieter Kroll im Innenausschuss vor einem polizeilichen Notstand gewarnt haben, vor ein paar Tagen sagte er, der 13. Februar sei trotz der "ungewöhnlichen Vielzahl an Einsätzen" für die Polizei "alles andere als Routine". So spricht sonst nur ein Fußballtrainer, der auch in der dritten englischen Woche in Folge die Spannung hochhalten will, hochhalten muss.

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Es sieht so aus, als wären die Zeitläufte mit dem erschöpften Dresden gnädig. Von rechts liegen keine nennenswerten Ankündigungen für den 13. Februar vor, die Polizei will den Tag mit zwölf Hundertschaften bestreiten. 28 waren es im Vorjahr.

Es könnte ein ruhiger Jahrestag werden, mit einer hoffentlich gedankenreichen Rede des Bundespräsidenten, und sollte das alles so kommen, dann wäre es auch ein schöner Abschluss für Helma Orosz.

Den 70. Jahrestag wollte Orosz noch begleiten

Als der Zulauf zu Pegida einsetzte, hatte die Dresdner Oberbürgermeisterin ihren Rücktritt schon beschlossen. Die Erinnerungskultur der Stadt war ein zentrales Thema ihrer Amtszeit, den 70. Jahrestag der Zerstörung wollte Orosz unbedingt noch im Amt begleiten. "Ich hätte mich jetzt unwohl gefühlt, wäre ich zum 1. Januar gegangen", sagt sie.

Pegida war da noch nicht eingeplant, es sei parallel zu den Vorbereitungen einfach "auszuhalten und zu adressieren" gewesen: "Das hat mich schon gefordert, aber es ist für mich auch eine bereichernde Herausforderung gewesen, samt der Frage: Wie positioniert man sich da, den einen nicht zu verdammen, den anderen nicht zu verletzen?"

Dresden Nazifrei hat Zulauf durch Pegida

Ist Pegida auch bereichernd für Nicht-Mitlaufende, gibt es für sie eine Art Kollateralnutzen? Helma Orosz sagt, die Politik müsse und werde nachhaltig ihre Vermittlungsarbeit verbessern.

Silvio Lang sagt, es gebe bei aller Müdigkeit nun ein "Debattenklima" in der Stadt - auch durch Pegida, auch für den 13. Februar und das Ringen um Formen der Erinnerung. So habe auch Dresden Nazifrei durch Pegida massiv Zulauf erhalten, zum Beispiel in sozialen Netzwerken und überproportional von jungen Menschen. Die erreiche man nun auch mit Beiträgen zum 13. Februar.

Normalisierung plus Debattenklima, das wäre für viele eine brauchbare Kombination. Ausgenommen vielleicht ein paar Gastronomen in der Innenstadt, die sich von Pegida für die eher schwachen Frühjahrsmonate noch etwas Laufkundschaft erhofft hatten. Einer von ihnen, durchaus links, simste nach der mäßig besuchten Demonstration am Montag: "schade ;)".

© SZ vom 13.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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