Kämpfe in der Ukraine:Debalzewe, Schicksalsort für Frieden oder Krieg

  • Bis zum 15. Februar, dem vereinbarten Beginn der Waffenruhe, gelang es den prorussischen Separatisten nicht, Debalzewe einzunehmen. Jetzt tragen sie die Verantwortung für die anhaltenden Gefechte.
  • Sie hoffen, dass der Druck auf den ukrainischen Präsidenten Poroschenko wächst und er von sich aus die Waffenruhe aufkündigt.
  • Berlin fürchtet sich genau davor. Ein Scheitern des zweiten Minsker Abkommens würde weitere Sanktionen und amerikanische Waffenlieferungen an die Ukraine wahrscheinlicher machen.

Von Stefan Braun und Julian Hans, Berlin/Moskau

Von Anfang an haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident François Hollande befürchtet, dass der Konflikt um die Stadt Debalzewe alle Bemühungen um eine Entschärfung der Lage in der Ostukraine zerstören könnte. Aus diesem Grund haben Berlin und Paris vieles getan, um trotz der Verstöße gegen die in Minsk vereinbarte Waffenruhe zur Beruhigung der Lage beizutragen. Sie mahnten immer wieder die Einhaltung der Waffenruhe an.

Doch wählten sie ihre Worte so, dass der Bruch der Waffenruhe an dem Verkehrsknotenpunkt nicht gleich als Scheitern aller Friedensbemühungen erscheinen sollte. Allen Mahnungen zum Trotz rückten die Separatisten immer weiter in Debalzewe ein. Am späten Dienstagabend stand die Stadt weitgehend unter ihrer Kontrolle.

Poroschenko lehnte Abzug aus Debalzewe ab

Debalzewe war gegen Ende der Verhandlungen in Minsk Teil der wichtigsten Frage gewesen - nämlich der, wann die Waffenruhe beginnen sollte. Während der ukrainische Präsident Petro Poroschenko auf einer sofortigen Waffenruhe beharrte, verlangten die Separatisten, gestützt von Moskau, diese sollte erst nach zwei Wochen wirksam werden. Spätestens an dieser Stelle, so berichten Teilnehmer, sei allen im Saal klar gewesen, dass Moskau und die Separatisten Zeit forderten, um die Kämpfe um Debalzewe fortsetzen zu können. Immer wieder hatten sie zuvor verlangt, die Ukrainer sollten sich aus dem Ort zurückziehen - was Poroschenko strikt ablehnte.

Schließlich einigte man sich, auch unter einem wachsenden Zeitdruck durch Berlin und Paris, auf 60 Stunden Übergangszeit. Nach Teilnehmerberichten war es für Poroschenko schwierig, selbst diese 60 Stunden zu schlucken. Er wollte aber auf alle Fälle eine Waffenruhe mit nach Hause nehmen. Hätte es diese Einigung nicht gegeben, wären die Verhandlungen gescheitert. Entsprechend war allen klar, dass es in den folgenden Tagen schwere Kämpfe um Debalzewe geben würde.

Der Bruch der Waffenruhe geht entsprechend zum größten Teil auf das Konto der Separatisten. Sie haben ihr Ziel noch nicht erreicht, wollen aber nicht klein beigeben - und hoffen wohl, dass jetzt der Druck auf Poroschenko immer stärker wird, seinerseits die Waffenruhe aufzukündigen. Berlin fürchtet das nicht nur, weil dann die von Merkel mühsam errungenen Vereinbarungen Makulatur wären. Größer noch ist die Sorge, dass weitere Sanktionen gegen Russland kaum mehr auszuschließen wären und amerikanische Waffenlieferungen an Kiew immer wahrscheinlicher würden.

Debalzewe ist eine Stadt mit 25 000 Einwohnern. Dort kreuzen sich wichtige Straßen und Eisenbahnlinien. Sie liegt etwa in der Mitte zwischen Luhansk und Donezk, den beiden Zentren der von den Separatisten ausgerufenen "Volksrepubliken". Richtung Norden führt eine Hauptstraße zum 260 Kilometer entfernten Charkiw, das unter der Kontrolle der Regierung in Kiew steht. In südöstlicher Richtung kommt nach 140 Kilometern der russische Grenzübergang Nowoschachtinsk. Über diesen Grenzabschnitt, den die Separatisten beherrschen, läuft der Nachschub mit Waffen, Munition und Kämpfern aus Russland.

Wieder sieht es so aus, als habe Kiew seine Soldaten in Gefahr gebracht

Der Kessel von Debalzewe weckt bittere Erinnerungen. Schon einmal haben die ukrainischen Streitkräfte in diesem Krieg eine schmerzhafte Niederlage erlitten, nachdem sie von den aus Russland verstärkten Verbänden der Separatisten eingeschlossen worden waren. In drei Kesseln - bei Ilowajsk, Lutugino und Stepanowka - saßen Ende August mehrere Tausend Soldaten fest, viele davon Angehörige der Freiwilligen-Bataillone Dnjepr, Donbass und Schachjorsk. Die Schlinge zog sich in dem Augenblick zu, als sich Petro Poroschenko und Wladimir Putin zum ersten Mal in Minsk trafen, um über eine Waffenruhe zu sprechen. Als die Ukrainer Ilowajsk später über einen "humanitären Korridor" verlassen wollten, den ihnen die Separatisten zugesichert hatten, wurden sie beschossen.

In Kiew entlud sich damals der Zorn der Angehörigen. In tagelangen Demonstrationen warfen sie der Armeeführung vor, die Lage beschönigt und nicht rechtzeitig Verstärkung geschickt zu haben. Statt der angekündigten 800 Soldaten sollen damals weniger als die Hälfte zur Unterstützung angerückt sein. Die Angaben über die in den Kesseln getöteten ukrainischen Soldaten sind sehr unterschiedlich. Es könnten mehr als 1000 sein.

Ukrainische Medien warnen seit Wochen davor, dass sich der Fehler in Debalzewe wiederholen könnte. Und wieder sieht es so aus, als habe die Regierung die Lage beschönigt und damit das Leben der Soldaten in Gefahr gebracht. Jeder Schuss, den die Separatisten seit Donnerstag auf die Eingeschlossenen abgeben, trifft daher auch Poroschenko.

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