Sterben:Der beste Tod

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Frauenstatue an einem Grabstein auf dem Ostfriedhof München: Der eigene Tod ist ein Thema, das gerne verdrängt wird.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die moderne Medizin zwingt den Menschen eine schwierige Frage auf: Sie müssen darüber nachdenken, wie sie ihren Tod erleben wollen. Und ist womöglich der Krebstod die am "wenigsten schlechte Alternative"?

Von Hanno Charisius

"An Krebs zu sterben, ist der beste Tod." Das schrieb der ehemalige Chefredakteur des renommierten Fachblatts British Medical Journal Richard Smith zum Jahreswechsel in einem Meinungsbeitrag. Die Empörung war riesig.

Seine Sätze seien eine "Monstrosität", ist noch einer der freundlicheren von mehr als 200 Kommentaren, die sich innerhalb weniger Tage unter Smiths Beitrag ansammelten. "Widerlich und eine Beleidigung für jeden, der bereits einen Menschen durch Krebs verloren hat", schreibt ein anderer Kommentator. "Eine Entschuldigung und dann ein Schweigegelübde wären jetzt angebracht." Und: "Smith hat seinen Verstand verloren. Wenn er es sich wünscht, soll er doch von dieser schrecklichen Krankheit dahingerafft werden." Weltweit berichteten Medien über Smiths Veröffentlichung, auch weil er darin ziemlich polemisch forderte, kein Geld mehr in die Krebsforschung zu stecken, deren Medikamente ja doch nur dazu führen würden, dass man später einen noch qualvolleren Tod stirbt.

Man muss nicht seiner Meinung sein. Man kann Smith für seine Ausführungen verachten. Sein Text rührt dennoch ein Thema an, über das freiwillig kaum jemand nachdenken will: Wie wollen wir sterben?

Für unsere Vorfahren war die Vorbereitung auf den Tod ein fester Bestandteil des Lebens. Die Hochleistungsmedizin verführt heute jedoch dazu, Gedanken an das Ende zu verdrängen. Wenn in Krankenhäusern mit Apparaten und Medikamenten um Tage gerungen wird, entsteht manchmal der Eindruck, als könnte man dem Tod doch entgehen. Das Gesundheitssystem ist gut darin, zu sehr hohen Kosten das Leben noch ein paar Tage oder Wochen zu verlängern. Aber Ärzte wissen oft nicht, wann sie aufhören müssen. Wenn das nicht der Patient selbst bestimmt, wird der Tod ausgeblendet - bis es zu spät ist, sich auf ihn vorzubereiten.

Ein plötzlicher Tod nimmt die Möglichkeit, Dinge ins Reine zu bringen, Abschied zu nehmen

Wenn der Lübecker Medizinhistoriker Dietrich von Engelhardt seine Studenten fragt, welches Lebensende sie sich wünschen, bekommt er ein ziemlich einhelliges Stimmungsbild. Die meisten wünschen sich einen plötzlichen Tod ohne Leiden. Unter denen, die eher einen Abschied im Familienkreis bevorzugen, überwiegen die Frauen.

Engelhardt nennt Augustus als historisches Beispiel für ein solches Ende mit Vorbereitung. Als der römische Kaiser gefragt wurde, wie er sterben wolle, wünschte er sich einen "leichten Tod". Für ihn bedeutete das, zu Hause bewusst von seiner Familie Abschied zu nehmen. Seiner Frau Livia soll er, als es im Jahr 14 soweit war, gesagt haben: "In Erinnerung an unsere Ehe lebe wohl und lebe weiter." Cäsar hingegen wollte seinen Tod nicht kommen sehen; sein Wunsch wurde ihm von seinen Mördern erfüllt.

Was aber sollte für einen Tod durch Krebs sprechen? Richard Smith unterscheidet in seinem Plädoyer fünf Arten zu sterben: den plötzlichen Tod, etwa durch einen Unfall; den langsamen Tod durch Demenz; den Höllenritt des Organversagens bei schwerer Krankheit oder im hohen Alter, den Ärzte durch zu lange Heilversuche unnötig in die Länge ziehen; den Tod durch Krebs, der im günstigen Fall noch Zeit bei halbwegs guter Gesundheit gibt und dann schnell zum Tod führt; und schließlich den Suizid. Für Richard Smith ist der Krebstod dabei die am "wenigsten schlechte Alternative".

Erst seit der Neuzeit wird der Tod verdrängt

Sterben: SZ-Grafik

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Der plötzliche Tod nehme einem die Möglichkeit, Dinge ins Reine zu bringen und Abschied zu nehmen, schreibt Smith. Außerdem sei er für Angehörige besonders schwer zu ertragen. Die Auslöschung der eigenen Persönlichkeit durch eine fortschreitende Demenz ist für ihn die schlimmste Vorstellung, gleich gefolgt vom langen Kampf gegen das Multiorganversagen. Auf den Suizid geht er nicht ein, wohl ahnend, in welch uferlose Gefilde diese Debatte führen würde. Also bleibt der Krebs. "Man kann Lebewohl sagen, und die wichtigsten Beziehungen ins Reine bringen. Man kann über das Leben noch einmal nachdenken, die Lieblingsmusik hören, ein Gedicht lesen, sich vorbereiten auf das Ende und das, was - je nach Glauben - danach kommt."

Die Phase mit dem Wissen, dass der Tod bald kommt, ist Smith dabei wichtig. Er vergisst aber auch nicht klarzumachen, dass er sich da eine sehr romantische Version vom Krebstod ausmalt, die mit "Liebe, Morphium und Whisky" zu meistern sei. Er weiß, dass Krebs oft keineswegs so freundlich ist, dass er oft unvorstellbares Leid verursacht für Patienten, Angehörige und Freunde. "Egal welche Ursache", schreibt Smith in einem zweiten Text, in dem er etwas behutsamer formuliert, seine These aber weiter begründet, "Tod kann eine grauenhafte Erfahrung sein, die nur dadurch schlimmer wird, wenn man sich nie darauf vorbereitet hat."

Erst seit der Neuzeit werde der Tod zunehmend verdrängt, und Jugend, Schönheit und Gesundheit verherrlicht, sagt Dietrich von Engelhardt. "Heute haben die wenigsten Menschen Sterben und Tod unmittelbar miterlebt." Das war noch vor weniger als 100 Jahren vollkommen anders. Als etwa jeder dritte Mensch an bakteriellen Infektionen starb, war der Tod ein ziemlich alltägliches Ereignis. Erst die Entdeckung der Antibiotika und vieler weiterer Arzneistoffe sowie die Entwicklung von Operationsverfahren und medizinischen Apparaten hat den Tod aus dem Alltag heute praktisch vollkommen entfernt. Wenn sie nicht gerade eine Patientenverfügung aufgesetzt haben, selbst in einer lebensbedrohlichen Situation waren oder eigens zu dem Thema befragt wurden, haben viele Menschen wohl noch nie über ihren eigenen Tod nachgedacht.

Im Mittelalter herrschte hingegen die Ansicht vor, ein gelungenes Leben sollte mit einem vorbereiteten (das Erbe verteilen, auf die Begegnung mit dem Schöpfer und das Jenseits einstellen) und durch die Familie begleiteten Tod enden. Jäh aus dem Leben gerissen zu werden, galt als "schlechter Tod". Heute scheint das umgekehrt zu sein. Zumindest gibt die Mehrheit der Deutschen in Umfragen meist an, zu Hause, aber unvorbereitet sterben zu wollen. Sie antworten wie einst Cäsar.

Viele Todkranke wollen gar nicht zuhause sterben

Heiner Melching, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, traut solchen Erhebungen allerdings nicht. "Die Leute werden in der Regel in einer Situation befragt, in der der Tod noch gar nicht wirklich ist. Solche Zahlen muss man vorsichtig beurteilen, denn die Antworten hängen von den Lebensumständen ab." Aus diesem Grund können Patientenverfügungen auch "jederzeit formlos widerrufen werden", wie es im Gesetzestext heißt.

Es sei nachvollziehbar, wenn 40-Jährige auf der Straße angeben, ihr ideales Lebensende wäre, "tot umzufallen und Schluss", sagt Melching. "Wenn man dagegen Menschen auf einer Palliativstation befragt, dann sieht die Sache schon ganz anders aus." Von dem in Bevölkerungsumfragen oft genannten Ideal, daheim zu sterben, rücken etwa viele Todkranke ab, weil sie glauben, dass akute Beschwerden wie Schmerzen oder Atemnot in einem Krankenhaus besser gelindert werden können.

Und statt eines schnellen Endes wünschen sich viele noch ein bisschen mehr Zeit, um sich von Freunden und der Familie zu verabschieden oder noch eine Reise zu unternehmen. Wenn der Tod nicht mehr verdrängt werden kann, gewinnen plötzlich kleine Dinge Bedeutung und geben den Patienten Kraft, hat Melching beobachtet. Wissenschaftlich belastbare Daten gebe es dazu zwar nicht, doch viele Palliativärzte berichten davon, dass manche Patienten sich den Zeitpunkt ihres Todes selbst aussuchen, "zumindest in einem schmalen Zeitfenster", wie Melching sagt. Eine Patientin zum Beispiel, die noch drei Wochen lang wartete, bis ein Verwandter ein Visum bekam und sie besuchen konnte. Der Mann, der noch ein letzes Champions-League-Spiel sehen wollte. Oder Kinder, die in den paar Minuten sterben, in denen die Eltern gerade einmal nicht im Zimmer sind.

In Krankenhäusern passiert viel in bester Absicht, das Menschen am friedlichen Sterben hindert

Der Professor für Palliativmedizin der Universität Lausanne, Gian Domenico Borasio, hat bei Tausenden Todkranken am Bett gesessen. In seinem Buch "Über das Sterben" schreibt er, dass in deutschen Krankenhäusern und Pflegeheimen vieles in bester Absicht getan werde, "was die Menschen ungewollt, aber aktiv am friedlichen Sterben hindert". Er meint unter anderem experimentelle Krebstherapien mit schweren Nebenwirkungen und extrem geringen Erfolgschancen. Oder die vielen Tausend Magensonden, die in deutschen Pflegeheimen jedes Jahr Patienten mit fortschreitender Demenz gelegt werden. Auch in anderen Fällen wünscht er sich eine "Kultur des liebevollen Unterlassens", was von dem Arzt manchmal mehr Mut erfordere, als etwas zu tun.

Ein Problem sieht er in den ökonomischen Zwängen des Gesundheitssystems, die zu "Übertherapien" führen könnten. Ein anderes sei, dass viele Ärzte es erst wieder akzeptieren müssten, den natürlichen Tod zuzulassen. Im Studium lernen sie nur, den Organismus am Leben zu halten.

Es scheint so, als wäre es besser, vorbereitet zu sein, wenn der Tod sich ankündigt. Auch damit man seine Ärzte bremsen kann, wenn sie es zu gut meinen. Die richtige Antwort auf die Frage, wie man sterben will, findet man leider oft erst, wenn sich das Ende abzeichnet. Alle vorherigen Überlegungen werden dann graue Theorie.

Dabei kann das Nachdenken über den Tod durchaus auch eine belebende Wirkung haben. Nicht weil es Angst auslöst, sondern weil einem die Endlichkeit bewusst wird. So erging es auch dem berühmten Neurologen und Buchautoren Oliver Sacks von der New York University School of Medicine als er vor einigen Wochen erfuhr, dass er Metastasen in der Leber hat. Er schrieb am vergangenen Donnerstag in der New York Times: "Ich sehe dem Tod ins Gesicht. Das bedeutet nicht, dass ich das Leben abgeschlossen habe, im Gegenteil. Ich fühle mich unglaublich lebendig." Sacks ist 81 Jahre alt.

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