Großbritannien:Aufstand der kleinen Parteien

Green Party leader Natalie Bennett speaks during a press conference to launch the party's election campaign in London on February 24, 2015. Bennett insisted the general election would be the 'biggest,

Die Vorsitzende der britischen Grünen, Natalie Bennett, bei einer folgenschweren Pressekonferenz von der sie später sagt, sie habe einen Blackout gehabt.

(Foto: AFP)

Alle fünf Jahre wird in Großbritannien ein neues Parlament gewählt. Doch dieses Mal ist alles anders. Tories und Labour können nicht auf eine Alleinregierung hoffen. Mit dem Gedanken an einen Koalitionspartner wollen sie sich aber auch nicht anfreunden.

Kommentar von Christian Zaschke, London

Wie sehr sich die politische Landschaft in Großbritannien verändert, lässt sich daran ablesen, dass die Grünen derzeit im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Die Partei hat diese Woche ihren Wahlkampf für die Parlamentswahl im Mai eröffnet, und die Vorsitzende gab zum Auftakt ein peinliches Interview, in dem sie Zahlen durcheinanderwarf und sich mit den Zielen der Partei nicht gut auszukennen schien. Später sagte sie, sie habe einen Blackout gehabt.

Die Grünen stellen derzeit eine Abgeordnete im Unterhaus, sie waren in der britischen Politik bisher so unwichtig, dass die Medien sie schlicht ignorierten. Einen Blackout der Vorsitzenden hätte bis vor Kurzem niemand zur Kenntnis genommen.

Seit einigen Wochen erreicht die Partei in Umfragen jedoch sieben Prozentpunkte - so viele wie die Liberaldemokraten, die mit den Konservativen in einer Koalition regieren. Dass die Grünen bei der Wahl dennoch vermutlich nur einen Sitz hinzugewinnen, während die Liberaldemokraten einige Dutzend Abgeordnete stellen werden, ist dem britischen Mehrheitswahlrecht geschuldet.

Die kleinen Parteien gewinnen an Bedeutung

Aber sie werden zur Gefahr für die Labour-Partei, der in umkämpften Wahlkreisen entscheidende Stimmen fehlen könnten. Deshalb ist die Partei plötzlich interessant, deshalb warnen Labour-Leute davor, für sie zu stimmen. Wer die Grünen wähle, so das Argument, stärke die Konservativen.

Das gleiche Argument nutzt Labour in Schottland. Von den 59 schottischen Sitzen in Westminster hält Labour 41. Jüngste Umfragen zeigen, dass davon viele an die ebenfalls sozialdemokratisch ausgerichtete Scottish National Party (SNP) gehen könnten. Also warnt Labour auch hier: Wer SNP wähle, stärke die Tories. Die Partei befürchtet, dass sie eine Zersplitterung der politischen Linken den Wahlsieg kostet.

Die Tories oder Labour schaffen es kaum mehr, allein zu regieren

Hoffnung gibt den Parteistrategen, dass die Tories unter dem gleichen Problem leiden. Die populistische UK Independence Party (Ukip) kommt in Umfragen auf rund 17 Prozentpunkte. Ob daraus eine signifikante Anzahl an Sitzen im Parlament wird, ist wegen des Mehrheitswahlrechts ungewiss, aber auch die Konservativen fürchten, dass ihnen entscheidende Stimmen fehlen.

Die Abstimmung wird in einer vergleichsweise kleinen Zahl von Wahlkreisen entschieden, in denen weder Labour noch Tories einen klaren Vorsprung haben. Auf die Wechselwähler in diesen sogenannten marginal seats konzentrieren sich die beiden Parteien in den nun beginnenden Wochen des Wahlkampfs.

Das Mehrheitswahlrecht hatte jahrzehntelang dazu geführt, dass entweder Tories oder Labour mit absoluter Mehrheit regierten. Das Ergebnis von 2010, als die Konservativen gewannen, aber nicht mit absoluter Mehrheit, galt als politische Anomalie.

Die daraus resultierende Koalitionsregierung war die erste seit dem Zweiten Weltkrieg. Nun zeichnet sich ab, dass aus der Anomalie ein Dauerzustand werden könnte. Die großen Parteien liegen bei rund 34 Prozent. Das würde für keine der beiden reichen, um allein zu regieren.

Weder Torries noch Labour wollen den Wandel wahrhaben

Noch wollen weder Labour noch Tories wahrhaben, dass es einen strukturellen Wandel in der britischen Politik geben könnte. Sie setzen darauf, dass die Wähler sich am Wahltag zwischen Ed Miliband und David Cameron entscheiden und die kleinen Parteien weiterhin bedeutungslos bleiben.

Es könnte ihnen jedoch zu denken geben, wie die Fernsehsender derzeit die TV-Debatten vor der Wahl planen. 2010 gab es das Format erstmals, damals nahmen selbstverständlich nur drei Parteien teil: Labour, Tories und Liberaldemokraten. Diesmal sollen die Ukip, die SNP, die walisische Plaid Cymru und die Grünen dabei sein. Und die nordirische DUP hat bereits aufgeregt signalisiert, unbedingt mitdebattieren zu wollen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: