Arbeiten ohne Tageslicht:Unterirdisch

Bergarbeiter

Auch im Dunkeln: Arbeiter im Kohlebergbau in einem Bergwerk nahe der ukrainischen Stadt Donezk.

(Foto: Vasily Maximov/AFP)

Ministerin Nahles fordert mehr Tageslicht im Job. Was heißt das eigentlich, tagtäglich bei künstlicher Beleuchtung arbeiten zu müssen? Fünf Betroffene erzählen aus ihrem Arbeitsalltag.

Von Matthias Kohlmaier

Die Sonne bleibt nun doch an vielen deutschen Arbeitsplätzen draußen - zumindest vorerst. Das Konzept von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zur neuen Arbeitsstättenverordnung ist durch ein Veto aus dem Kanzleramt gestoppt worden und soll komplett neu erarbeitet werden. Aus dem Ministerium heißt es, im Koalitionsausschuss sei "unseres Wissens nach vereinbart worden, dass dazu innerhalb der Koalition weitere Gespräche stattfinden". Eine offizielle Mitteilung aus dem Kanzleramt sei noch nicht eingegangen.

Der Entwurf hätte unter anderem abschließbare Kleiderfächer für Angestellte und mehr Tageslicht an Arbeitsplätzen und in Pausenräumen gefordert. CDU und Wirtschaftsverbände hatten den Vorstoß heftig kritisiert. Doch auch, wenn die Verordnung erst einmal nicht umgesetzt wird, wirft ihr Inhalt grundsätzliche Fragen auf: Was bedeutet es überhaupt, an einem Ort ohne Tageslicht arbeiten zu müssen? Gewöhnt man sich daran irgendwann? Wie empfinden das die Betroffenen? Fünf Menschen erzählen aus ihrem Arbeitsalltag.

Bahn-Ansager

"Gläserner Schneewittchensarg" hat ein längst pensionierter Kollege meinen Arbeitsplatz mal genannt. Ich bin derjenige, der an Münchner S-Bahn-Stationen in einem Glaskasten zwischen den Gleisen sitzt und Fahrgästen Fragen beantwortet; hauptsächlich aber sorge ich für den reibungslosen Ablauf im Betrieb. Das bedeutet deutlich mehr Verantwortung, als nur das bekannte "Zug nach XY, bitte nicht mehr zusteigen" herunterzubeten. Vor mir stehen mehrere Bildschirme, auf denen Ankunfts- und Abfahrtszeiten der Züge sowie Verspätungen und Probleme im Ablauf kommuniziert werden. Das alles zu koordinieren, ist gar nicht so banal.

Insgesamt bin ich froh, nicht die ganze Zeit unterirdisch arbeiten zu müssen, sondern auch andere Aufgaben bei meinem Arbeitgeber übernehmen zu können - solche, bei denen ich in einem Büro mit Fenster sitze. Hier am Gleis ist alles schon sehr eintönig, man sieht stundenlang kein Sonnenlicht, das einen wachmachen könnte, wenn man schläfrig ist. In meiner Position kann ich ja nicht eben mal für fünf Minuten an die frische Luft gehen, wer kümmert sich denn dann um die Ansagen? Überhaupt ist die Luft an so einer S-Bahn-Station natürlich auch selten richtig perfekt, obwohl wir Lüftungsanlagen haben. Aber um ehrlich zu sein, denke ich sowieso, dass der Job hier unten am Gleis mittelfristig wegfällt. Für Abfahrtszeiten und Verbindungen gibt es längst Apps fürs Handy, und die Durchsagen könnte man auch aus einer Zentrale steuern. Den Fahrgästen würde kein Nachteil entstehen, und wir Angestellten müssten keine Schichten mehr unter Tage ableisten.

Stammstrecke S-Bahn, München

"Gläserner Schneewittchensarg" am Münchner S-Bahnhof Isartor

(Foto: Carmen Wolf)

Koch

Wenn ich so drüber nachdenke, habe ich eigentlich fast ausschließlich in fensterlosen Küchen gearbeitet. Das war selten angenehm. Für ein paar Monate war ich in der Kantine eines mittelständischen Betriebs beschäftigt: Da hingen ein paar Funzeln von der Decke, so dass man gerade so bis zum Schnitzel in der Pfanne gucken konnte. Als Kantinenkoch war das schrecklich: Morgens bei schönstem Sonnenschein in der Arbeit anzukommen und dann direkt in ein dunkles Loch gesteckt zu werden, das man erst nachmittags wieder verlassen darf .

Grundsätzlich sind aber die meisten Restaurantküchen gut beleuchtet, wobei es - wie gesagt - bei Weitem nicht in allen ein Fenster gibt. Derzeit arbeite ich auch in einer Küche, die nur von elektrischem Licht erhellt wird. Es gibt zwar im hinteren Bereich eine Tür Richtung Hinterhof, aber die kann wegen des Wetters draußen und des Geruchs drinnen nicht ständig offen sein. Überhaupt ist die Luft in einer fensterlosen Küche fast ein größeres Problem als das fehlende Tageslicht. Ich versuche, wann immer es die Arbeit zulässt, wenigstens für einen Augenblick nach draußen zu gehen. Bisschen Frischluft, bisschen Sonne, das macht das Kochen zumindest für eine Weile wieder entspannter. Wenn ich die abgeschmetterte Arbeitsstättenverordnung richtig verstehe, wäre mein Chef ja dadurch gezwungen gewesen, uns Köchen Arbeiten bei Tageslicht zu ermöglichen. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass er begeistert gewesen wäre, wenn er Geld für ein Küchenfenster hätte ausgeben müssen.

"Sieht doch alles ziemlich trostlos aus"

Bergarbeiter

Wer im Bergbau arbeitet, kann keinen Job mit frischer Luft und Sonnenschein erwarten. Aber der Mensch gewöhnt sich an alles, auch an die Dunkelheit. Mein Tag beginnt um halb vier Uhr morgens, weil ich Frühschicht arbeite und 80 Kilometer zu meinem Arbeitsplatz fahren muss. Seit dem Beginn des Zechensterbens Ende der Achtzigerjahre sind die Anfahrtswege für uns Bergarbeiter immer länger geworden. Um fünf Uhr geht's dann per Aufzug mit den Schichtkollegen runter in etwa 1000 Meter Tiefe. Bei der aktuellen Jahreszeit fahre ich also vom Dunkeln ins Dunkle - das ist ganz angenehm, da muss sich das Auge nicht umgewöhnen. Im Berg sind besonders die Hauptarbeitsplätze gut ausgeleuchtet, um die Arbeiter zu schützen. Mit dem Atmen gibt's auch keine Probleme, frische Luft wird durch den einen Schacht angesogen, verbrauchte Luft durch einen anderen rausgesaugt. Wenn wir in Strecken zu tun haben, die nicht durchschlägig sind, arbeiten wir mit speziellen Lüftern.

Natürlich ist der Job unter Tage nichts für jedermann. Aber durch die Dunkelheit, durch unseren von der Außenwelt abgeschotteten Arbeitsplatz, entsteht eine Gemeinschaft, die findet man sonst nirgends. Da steht jeder Kollege für den anderen ein, man fühlt sich wohl. Ich mache das seit mehr als 30 Jahren und würde es nicht anders haben wollen - auch wenn es nach der Schicht natürlich eine Weile dauert, bis man sich wieder an das Tageslicht gewöhnt hat. Das beißt erst mal ganz ordentlich in den Augen. Was im Berg fehlt: zeitliche Orientierung. Wenn ich keine Uhr trage, kann ich bis heute auf der Arbeit nicht einschätzen, wie lange ich schon unten bin. Ich kann mich ja nicht einfach mal nach der Sonne umdrehen.

Klofrau

Toiletten zu putzen, ist kein glamouröser Job, klar. Aber irgendwer muss es ja tun, und laut meinem Arbeitsvertrag bin ich: Reinigungskraft. Klingt besser als Klofrau. Ich arbeite in einem großen Kaufhaus, wo es nur auf einer Etage Toiletten gibt. Natürlich ganz oben, damit die Leute vorher einmal durch den ganzen Laden gehen müssen und vielleicht was kaufen. Zu den Toiletten führt dann ein langer Gang mit zwei Biegungen - Tageslicht aus dem Verkaufsbereich schafft es bis hierhin garantiert nicht. Vor den Eingangstüren zu Damen- und Herren-WC ist mein Platz, wenn ich nicht gerade in den Toiletten - die übrigens auch keine Fenster haben - zu tun habe. Ein Stuhl, ein Tisch, das war's. Immerhin sind wir ein Haus der gehobeneren Klasse, die Beleuchtung ist gut; nicht so schummrig, wie man es von anderswo kennt.

Aber es wäre schon viel netter, ein Fenster zu haben, wo man nicht nur die Sonne sehen, sondern auch mal ein bisschen frische Luft hereinlassen kann. Schade, dass das mit der neuen Verordnung nun wohl nichts wird und mein Arbeitgeber doch kein Fenster in der Nähe meines Platzes anbringen muss. Man hätte nur ein Loch in die Wand gegenüber von meinem Stuhl schlagen müssen, das wäre sogar eine Außenwand. Aber selbst wenn das Gesetz würde, bin ich mir sicher, dass mein Chef eine Möglichkeit fände, das zu umgehen. Keine Ahnung, ob sich ein Tisch und ein Stuhl vor den Toiletten überhaupt als Arbeitsplatz im rechtlichen Sinn definieren lässt.

Klofrau Klofrau in der Kundentoilette im Kaufhof am Alexanderplatz Berlin Mitte 05 05 2001

Reinigungskraft in einem Berliner Kaufhaus

(Foto: Rolf Zöllner/Imago)

Verkäuferin

Tagtäglich könnte ich so auf keinen Fall arbeiten. Ich bin in Teilzeit als Verkäuferin in einem Laden unter dem Münchner Karlsplatz/Stachus beschäftigt. Hier gibt es kein Tageslicht, kann es wegen der unterirdischen Lage natürlich auch nicht geben - und zur nächsten Rolltreppe haben wir von unserem Geschäft aus keine freie Sicht. Mir persönlich schlägt das immer gleiche künstliche Licht an einem acht-, auch mal neunstündigen Arbeitstag schon sehr aufs Gemüt. Immer sieht alles gleich aus, egal, ob es über unseren Köpfen regnet, hagelt oder ob draußen bei 30 Grad die Sonne scheint. Immerhin: Die Temperatur und Luftqualität sind wegen der nach dem Umbau noch sehr neuen Lüftungsanlage meist angenehm. Wenn wir zu zweit im Laden sind, achten wir trotzdem sehr darauf, im Wechsel regelmäßig für ein paar Minuten nach draußen zu gehen.

Ich kann mir auch beim besten Willen nicht vorstellen, dass so ein Geschäft in einer Passage wie hier für Käufer sonderlich anziehend wirkt. Sieht doch alles ziemlich trostlos aus - ich würde da immer den Bummel auf der Einkaufsmeile im Freien vorziehen. Oder bei schlechtem Wetter in ein Einkaufszentrum fahren. Jedenfalls irgendwohin, wo nicht alles so grau und künstlich aussieht und man ab und zu ein Stück Himmel zu sehen bekommt.

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