Obamas Strategie gegenüber Iran:Dem Feind eine Chance

Obama Speaks at DNC Winter Meeting

Wieso Methoden verfolge, die seit Jahrzehnten nicht funktionieren? US-Präsident Obama setzt auf Entspannung gegenüber Iran.

(Foto: dpa)
  • US-Präsident Barack Obama verfolgt eine chancen-, aber auch risikoreiche Strategie um Umgang mit Amerikas Erzfeinden Iran und Kuba.
  • Im Verhältnis zu Teheran möchte er zunächst den Konflikt um das Atomprogramm aus dem Weg schaffen, dabei aber auch Zeit für den Notfall gewinnen.
  • Die Logik hinter Obamas Entspannungspolitik: Er hält es für unsinnig, stur an den immer gleichen Methoden der Repression festzuhalten, obwohl sie seit Jahrzehnten versagen.

Von Nicolas Richter, Washington

Pete Souza steht zuweilen vor unlösbaren Aufgaben: Der Fotograf im Weißen Haus soll historische Augenblicke einfangen, die nicht fotografierbar sind. Der 27. September 2013 und der 16. Dezember 2014 waren wichtige Tage der jüngeren Geschichte; auf Souzas Bildern aber sieht man bloß, dass Präsident Barack Obama am Schreibtisch telefoniert.

Am anderen Ende der Leitung aber waren Staatsmänner, mit denen die USA seit Jahrzehnten nicht geredet hatten. Im Dezember 2014 war dies Raúl Castro, der kubanische Staatschef, dem sich Obama annähern möchte, weil US-Sanktionen das Regime nie hinwegfegen konnten. Im September 2013 telefonierte Obama mit Hassan Rohani, dem Präsidenten Irans, dessen Land den USA seit der Revolution 1979 in inniger Abneigung verbunden ist.

Obama möchte Zeit gewinnen für den Notfall

Die Annäherung an zwei Erzfeinde ist für Obama chancen- und risikoreich. Sollte die Entspannung gelingen, böten sich den USA neue Möglichkeiten in Lateinamerika und im Mittleren Osten. Misslingt sie, sähe Obama aus wie ein Naivling, der sich von autoritären Regimes vorführen ließ; ein Rückschlag für seinen Ansatz, mit Gegnern zu reden. "Die Vorstellung, dass wir Länder bestrafen, indem wir sie anschweigen, ist lächerlich", sagte er einmal.

Im Verhältnis zu Teheran möchte Obama zunächst den Konflikt aus dem Weg schaffen, der das Verhältnis Irans zum Westen seit mehr als einem Jahrzehnt belastet: das Atomprogramm, das Iran bis 2003 heimlich betrieb. Teheran beteuert, es reichere Uran in Gas-Ultrazentrifugen nur deshalb an, weil es Treibstoff für Atomkraftwerke benötige. Im Westen und vor allem in Israel aber herrscht die Sorge, Iran strebe heimlich nach einer Atomwaffe und könne sein ziviles Programm binnen kürzester Zeit in ein militärisches umwandeln.

Obamas erklärtes Ziel ist es, dass Iran nicht in den Besitz einer Atomwaffe kommt. Am Montag hat der US-Präsident skizziert, wie ein Kompromiss aussehen könnte. Iran müsse das Atomprogramm mindestens zehn Jahre lang einfrieren, in Teilen sogar zurückbauen, und sich umfassenden Kontrollen unterwerfen. Inspektoren sollen im Blick behalten können, was in Irans Laboren geschieht.

Obama möchte damit Zeit gewinnen für den Notfall: Sollte Iran also einen Kompromiss je wieder aufkündigen, müsse es ein Jahr dauern, bis das Land eine Atomwaffe entwickelt habe. "Dies würde es uns erlauben, militärisch einzugreifen, um sie zu stoppen", sagt der Präsident. Israels Premier Benjamin Netanjahu hingegen möchte Irans Atomtechnik komplett beseitigen, was Obama allerdings für völlig unrealistisch hält.

Für eine Einigung haben sich die Beteiligten eine Frist gesetzt bis Ende März, und das Weiße Haus mahnt, dass ein Kompromiss noch keineswegs feststehe. Womöglich sei Teheran nicht einverstanden mit den scharfen Kontrollen oder der niedrigen Anreicherungskapazität, die der Westen verlange, sagt Obama. Sollte Iran aber letzten Endes zustimmen, wäre dies der beste Weg, um das Atomprogramm zu kontrollieren, erklärt der Präsident - viel effektiver als jeder Militärschlag der USA oder Israels oder zusätzliche Sanktionen.

Methoden, die in Jahrzehnten nichts bewirkt haben

Hier offenbart sich die gemeinsame Logik einer Entspannung gegenüber Kuba und Iran: Obama hält es für unsinnig, stur an den immer gleichen Methoden festzuhalten, obwohl sie immer aufs Neue versagen. Jahrzehntelang haben die USA Kuba boykottiert und das Regime doch nicht gestürzt. Im Falle Irans war der Erfolg der internationalen Sanktionen ähnlich bescheiden. "Anfangs betrieb Iran bloß ein paar Hundert Zentrifugen, aber jetzt, nach einem Jahrzehnt der Sanktionen, sind es Zehntausende Zentrifugen", sagt Obama.

Immerhin hat die Ächtung das Regime in Teheran dazu bewegt, mit dem Westen zu verhandeln. Seit der ersten Strafresolution im Jahr 2006 hat der UN-Sicherheitsrat unter dem Druck der USA die Sanktionen immer weiter verschärft, der iranischen Wirtschaft hat dies enorm geschadet. Der Ausgleich, wie Obama ihn skizziert, hätte für Iran mehrere Vorteile: Das Land könnte auf ein Ende der Sanktionen hoffen und sich doch damit brüsten, das Atomprogramm nicht aufgegeben zu haben. Obama wiederum könnte für sich in Anspruch nehmen, dass er eine iranische Atombombe zumindest vorläufig verhindert hat, und zwar mit den Mitteln der Diplomatie.

Auch in Washington sind viele nicht an einem Ausgleich mit Teheran interessiert

Aber die Regierungen beider Länder kämpfen zu Hause mit Widersachern, die an einem Kompromiss nicht im Geringsten interessiert sind. Obamas Außenminister John Kerry zum Beispiel gilt als die treibende Kraft in den Gesprächen mit Iran, und er hat so viel Zeit mit seinem iranischen Kollegen Dschawad Sarif verbracht - unter anderem bei gemeinsamen Spaziergängen in der Schweiz -, dass sich iranische Abgeordnete über die unerhörte "Vertrautheit" beider Chefdiplomaten erregen.

Im US-Kongress geht es Kerry nicht besser: Dort werfen ihm Abgeordnete und Senatoren vor, leichtsinnig zu sein, mit dem Feind zu kungeln oder etwas zu vertuschen. Manche befürchten, dass Obama und Kerry einen Kompromiss mit Iran so sehr herbeisehnen, dass sie die Interessen der USA und Israels aus dem Blick verlieren. Kürzlich forderten Parlamentarier Kerry auf, Details aus den Verhandlungen zu nennen. Kerry weigerte sich, er stellte klar, dass für Diplomatie allein die Exekutive zuständig sei, nicht das Parlament.

Der Kongress aber möchte sich mit der Zuschauerrolle nicht begnügen. Selbst Parteifreunde Obamas halten einen Ausgleich mit dem iranischen Erzfeind für gefährlich und dringen auf neue Sanktionen. Obama wiederum kündigt an, dass er gegen jedes Sanktionsgesetz ein Veto einlegen werde, weil neue Strafen die Atomgespräche gerade in der Endphase sabotieren würden.

Außerdem kursiert im Parlament ein Gesetzentwurf, wonach jeder Kompromiss Obamas mit Iran vom Parlament gebilligt werden müsste. "Die kritischen Äußerungen Benjamin Netanjahus bereiten mir denn auch viel weniger Sorge als der US-Kongress, der die Atomgespräche hintertreiben könnte, bevor sie überhaupt abgeschlossen sind", sagt der Präsident.

Ob der Fotograf Pete Souza also je abbilden wird, wie sich die Präsidenten Obama und Rohani die Hand reichen, ist unklar. Nach der Lage der Dinge ist es schon ein Erfolg, wenn sie miteinander telefonieren.

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