Angriffe gegen Marcel Reif:Reizklima im Spaßbetrieb

Fortuna Duesseldorf v Hamburger SV - DFB Cup

"Fußball ist ein emotionales Geschäft": Marcel Reif im Stadion

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Fußball-Kommentator Marcel Reif ist binnen weniger Tage zweimal von Fans bei BVB-Spielen attackiert worden.
  • "Das ist ein nächster Schritt, und den übernächsten will ich lieber gar nicht wissen", sagt der Moderator.
  • Am Samstag muss er wieder nach Dortmund.

Von Ralf Wiegand

Gerade habe er doch eigentlich alles schon gesagt, sagt Marcel Reif an diesem sehr späten Mittwochabend am Handy, er ist gerade unterwegs ins Hotel. Zuvor war der Fußball-Kommentator von Sky Gast im ARD-Sportschau-Club gewesen, zusammen mit seinen Kollegen Tom Bartels (ARD) und Béla Réthy (ZDF). Die drei waren da, um über Fußball zu reden, also das zu tun, was sie am besten können. Zuvor war das Achtelfinale im DFB-Pokal gespielt worden. Über Fußball reden geht immer, das tun ja alle.

Und das ist wahrscheinlich auch schon das Problem.

Marcel Reif, 65, hat zuletzt anders über Fußball gesprochen, als es den Anhängern mancher Klubs recht war, so muss man das wohl sehen. Am vergangenen Samstag wurde das Auto durchgerüttelt, mit dem er und seine Frau zum Spiel Dortmund gegen Schalke fuhren. Und vergangenen Dienstag, beim Spiel des BVB in Dresden, warfen gelb-schwarz gekleidete Zuschauer - das sind die Farben beider Klubs - Bier auf den Moderator, der zu seinem Arbeitsplatz wollte, zeigten den Stinkefinger, spuckten, grölten Schmähungen. In solche Gesichter voller Hass, sagt Reif, habe er noch nie schauen müssen.

Am Samstag wieder nach Dortmund

Am Samstag nächster Woche soll er wieder ins Stadion, wieder nach Dortmund, diesmal gegen Köln. Der Dienstplan stehe schon lange fest, sagt ein Sprecher des Senders, der werde auch nicht geändert. "Dass ich mir Gedanken machen muss, wie ich sicher an meinen Arbeitsplatz komme, das beschäftigt mich", sagt Reif, "darüber denke ich viel nach. Das kriege ich irgendwie nicht rein." Sky erwägt nach Angaben des Sprechers die Verpflichtung von Bodyguards, entschieden sei das noch nicht.

Fußballfans und Fußballkommentatoren - das ist seit jeher eine spannungsreiche Beziehung. Fußball ist sowieso der erklärte Lieblingssport der Deutschen, Fußball im Fernsehen damit der Quotenbringer schlechthin. Die meistgesehen Sendungen eines jeden Jahres sind die großen Finalspiele, bei der letzten Weltmeisterschaft saßen zeitweise mehr als 30 Millionen Menschen vor den Bildschirmen. Bundestrainer aller Generationen wundern sich seit jeher über die Millionen von Kollegen da draußen. Und sie alle wissen immer alles besser. Der Kommentator soll es gefälligst genauso sehen wie sie. Sagt er etwas anderes, ist er ein Idiot. Im besten Fall.

"Fußball ist ein emotionales Geschäft" sagt Marcel Reif, und damit könnten die Kommentatoren auch leben. "Es wird immer welche geben, die sagen, an der Niederlage ihres Klubs war der Kommentator schuld." So unsinnig das ist, es gehört zur Folklore. Reif erinnert sich an ein Spiel des FC Bayern, als ihm ein Fan auf dem Weg zum Stadion zurief: "Bist heute aber mal ein bisschen objektiv für die Bayern, gell." Geschenkt. Doch das, was zuletzt passiert ist, habe eine Grenze überschritten. Reif: "Das ist ein nächster Schritt, und den übernächsten will ich lieber gar nicht wissen."

Klima im Spaßbetrieb Bundesliga hat sich verändert

Man könnte auch sagen: Das echte Leben ist im Fußball angekommen. Das Klima für Journalisten ist insgesamt gefährlicher geworden. Rechercheure in korrupten Ländern leben schon immer in Todesangst oder werden verfolgt, hierzulande hat das Pegida-Schlagwort von der Lügenpresse das neue Klima eindrucksvoll bebildert, gegrölt von Tausenden Demonstranten in Dresden und anderswo. Politische, AfD-kritische Journalisten landeten namentlich an einem Internet-Pranger.

Angriffe gegen Marcel Reif: Immer im Stadion und immer im Visier kritischer Fans: die Fußballkommentatoren Béla Réthy (links) und Tom Bartels.

Immer im Stadion und immer im Visier kritischer Fans: die Fußballkommentatoren Béla Réthy (links) und Tom Bartels.

(Foto: ZDF/SWR)

Aber hey, das hier ist Fußball. Allerdings hat sich auch im Spaßbetrieb Bundesliga das Klima verändert. Fans, vor allem die als Ultras bekannten, die die Stimmung in die Stadien zaubern, schauen oftmals nicht länger zu, sie reden mit. Auch gegen die Herrschaft des Fernsehens, das ihnen zum Beispiel unbeliebte Anstoßzeiten beschert hat und dem, in den Augen vieler, der Fußball längst gehört. Der Politik wollen sich manche Gruppen nicht mehr beugen. In Hannover haben sie sich von ihrem Klub abgewendet, dessen Vereinsphilosophie sie nicht mehr tragen. Im Stadion ist seitdem tote Hose. Immer häufiger, in Stuttgart etwa, derzeit Letzter der Bundesliga, treffen gebeutelte Spieler am Zaun auf hasserfüllte Fans. Der 1. FC Köln, von hoher Strafe bedroht, weil Zuschauer neulich den Platz in Mönchengladbach stürmten, sieht "existenzgefährdende" Entwicklungen, sagte Sportchef Jörg Schmadtke.

Petitionen gegen Kommentatoren

Und nun die Kommentatoren. Die Männer am Mikrofon bewegen sich schon immer auf besonders schwierigem Terrain, denn sie bekommen es ja nicht nur mit den Anhängern zu tun, die ihnen sehr genau zuhören, sondern auch mit den Klubs selbst, deren Image ja von ihren Kommentaren abhängen könnte. Fußballkommentatoren müssen sich darüber hinaus fast wie die Spieler selbst der Kritik der Medien stellen, die sie rezensieren wie Theaterschauspieler. Dazu kommt nun auch seit geraumer Zeit das Internet, in dem gepöbelt wird, was das Zeug hält. Es gibt Petitionen gegen Kommentatoren, Facebook-Seiten, damit dieser oder jener "weg" müsse.

Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, und wenn es nur der Kommentator ist - so ist da die Stimmung. Fußball ist keine Oase mehr. Der NDR hatte einem Reporter Anfang des Jahres einen Beschützer mit ins Trainingslager von Hansa Rostock mitgeben müssen, weil dieser bedroht worden sei. Und bei einer schon legendären Mitgliederversammlung des HSV vor einigen Jahren johlte der anwesende Fanblock "Presse raus, Presse raus", als ein Antrag auf Ausschluss der Medien Erfolg hatte.

Was kommt als nächstes? Marcel Reif, seit 30 Jahren im Geschäft, gehört zu den profiliertesten und polarisierendsten deutschen Reportern, ein Fußball-Ästhet, der sich für guten Fußball begeistern und von schlechtem anwidern lassen kann. Er formuliert oft sehr spitz. Vielen gilt er daher als arrogant. Mal wird er dem Bayern-Lager zugerechnet, mal dem der Dortmunder. Das ist irrational bis zur Schmerzgrenze. "Wir kommentieren doch nur das Spiel, warum nimmt man uns so wichtig?", fragte Béla Réthy in der ARD-Runde.

Immerhin gibt es ein Signal der Entspannung aus Dortmund. Dort hatten die Spieler Pierre-Emerick Aubameyang und Marco Reus zuletzt nach einem Tor in Batman-Kostümen gejubelt. "Für solchen Quatsch bin ich zu alt", hatte Reif am Mikro genölt. In einer Pressekonferenz zwei Tage später - die Übergriffe auf Reif waren schon bekannt - erwiderte Klopp in einer Pressekonferenz, Marcel Reif finde "in seinem Leben sowieso nichts mehr witzig". Am Donnerstag entschuldigte sich der BVB-Coach: "Das war völlig überflüssig, das hätte ich mir sparen können."

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