Wagenknechts Rückzug:Beleidigt, getroffen, geschlagen

Bundesparteitag der Linken in Erfurt

Sahra Wagenknecht erklärte überraschend direkt auf ihrer Homepage ihren Rückzug

(Foto: dpa)
  • Sahra Wagenknecht tritt im Herbst nicht zur Wahl für den Posten der Fraktionsvorsitzenden an. Das teilte sie in einer persönlichen Erklärung mit.
  • Sie begründet den Schritt vor allem mit ihrer Abstimmungs-Niederlage in der Griechenland-Frage. Wagenknecht war gegen die Verlängerung der Finanzhilfen, die Mehrheit ihrer Fraktion stimmte dafür.
  • Im Verhalten der Fraktion sieht Wagenknecht einen "offenen Affront" gegen sie.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Es ist das Dokument einer zutiefst Beleidigten, das Sahra Wagenknecht an diesem Freitag auf ihrer Homepage veröffentlicht. Die Fraktion der Linken im Bundestag dürfte es einigermaßen durcheinander rütteln. Wagenknecht, Galionsfigur der Linken in der Linken, hätte - so war es der nie öffentlich bestätigte Plan gewesen - im Herbst zusammen mit Dietmar Bartsch die Fraktionsführung von Gregor Gysi übernehmen sollen. Jetzt erklärt Wagenknecht überraschend direkt im zweiten Satz ihrer persönlichen Erklärung: "Ich möchte Euch rechtzeitig darüber informieren, dass ich nicht für die Funktion einer Fraktionsvorsitzenden kandidieren werde."

Die engere Fraktionsführung hat sie vorab informiert, darunter Gysi und Bartsch. Den Rest der Fraktion hat sie kalt erwischt. Noch mehr aber überrascht die Begründung für den Rückzug von ihrer nie bekannt gegebenen Kandidatur.

Die Entscheidung über die Verlängerung der Hilfen für Griechenland im Bundestag vergangenen Freitag hat offenbar das Fass zum Überlaufen gebracht. Am Dienstag vor der Entscheidung hat Wagenknecht in der Fraktion noch vehement für eine kollektive Enthaltung geworben. Denn nicht über das griechische Regierungsprogramm sei dort abgestimmt worden, schreibt sie in ihrer Erklärung. Sondern "über einen Antrag der Bundesregierung, der auf genau diese katastrophale Politik der Auflagen und Kürzungsdiktate positiv Bezug nimmt und ihre Fortsetzung einfordert".

Wagenknecht beklagt "offenen Affront"

Eine Haltung, mit der Wagenknecht auf ganzer Linie gescheitert ist. An jenem Dienstag noch hatten sich lediglich 29 der 64 Abgeordneten für ein Ja zur Beschlussvorlage von Finanzminister Wolfgang Schäubles ausgesprochen. In der Abstimmung am Freitag waren es dann 41 Ja-Stimmen. Auch Wagenknecht hat schon Abstimmungsniederlagen erlebt. Aber eine solche Klatsche musste sie noch nicht verkraften.

In einer Sondersitzung der Fraktion am vergangenen Freitagmorgen wollte sie die drohende Niederlage noch verhindern. Unbedingt sollte das Thema Griechenland noch einmal inhaltlich diskutiert werden. Medial hat sie sich flankieren lassen von ihrem Lebenspartner Oskar Lafontaine, dem einstigem Übervater der Linken aus dem fernen Saarland. "Eine Zustimmung zu dem mit der Kreditverlängerung verbundenen Knebelvertrag ist nicht vertretbar", ätzte dieser an jenem Morgen in Richtung Fraktion. Allerdings ohne jede Wirkung.

In der Fraktionssitzung wurde Wagenknecht die gewünschte Debatte per Mehrheitsbeschluss verwehrt. Für Wagenknecht "ein offener Affront". Das sei ein "Umgang miteinander, den ich nicht akzeptiere". Er "unterstreicht, dass ein Teil der Fraktion in eine andere Richtung gehen möchte als ich sie für sinnvoll halte".

Vor allem diese Passage in ihrer Erklärung können in der Fraktion manche nicht nachvollziehen. Es sei lediglich dem dichten Arbeitspensum in der nur einstündigen Sonderfraktionssitzung geschuldet gewesen, dass eine Debatte abgelehnt wurde. Da habe Wagenknecht wohl etwas in den falschen Hals bekommen, sagt einer.

Kipping und Riexinger verteidigen "sehr gute und sachliche Debatte"

Wenige Stunden später ist Wagenknechts Niederlage perfekt. Der größere Teil der Linksfraktion stimmt für die Verlängerung der Griechenland-Hilfen. Jetzt wirft Wagenknecht den Ja-Sagern hinterher: "Ich halte es für einen strategischen Fehler, dass die große Mehrheit der Fraktion dem Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung des griechischen 'Hilfsprogramms' zugestimmt hat."

In einer ersten Reaktion weisen die Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger Wagenknechts Vorwurf zurück: Es habe in der Fraktion eine "sehr gute und sachliche Debatte" gegeben. Und "jeweils gute Gründe, der Vereinbarung zuzustimmen oder sich zu enthalten, um Solidarität mit Syriza zu demonstrieren".

Und wie geht es jetzt weiter? Im Moment müssen sich alle erst einmal berappeln. Offen will niemand spekulieren, was im Herbst passieren wird, wenn turnusgemäß die Wahlen zum Fraktionsvorstand anstehen. Gysis Plan, den Fraktionsvorsitz abzugeben, könnte allerdings dennoch aufgehen. Wenn etwa Katja Kipping die Parteispitze verlässt und neben Bartsch Fraktionsvorsitzende wird. Bartsch könnte auch Riexinger an der Parteispitze beerben und den Weg für völlig neue Konstellationen in der Fraktion frei machen. Derzeit scheint alles möglich.

Wagenknecht beendet ihre Erklärung mit dem Satz: "Ich bin überzeugt, dass ich politisch letztlich mehr bewege, wenn ich mich auf das konzentriere, was ich am besten kann." Fraktionsvorsitzende ist das offenbar nicht.

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