Kapitalismuskritik:Der Arbeitsverweigerer

Kapitalismuskritik: Seine Kapitalismuskritik ist nicht neu und doch passt Peter Seyferth mit seinen Ansichten in unsere Zeit.

Seine Kapitalismuskritik ist nicht neu und doch passt Peter Seyferth mit seinen Ansichten in unsere Zeit.

(Foto: Robert Haas)

"Arbeit ist scheiße": Mit diesem Slogan wollte Peter Seyferth politische Karriere machen. Heute ist er freiberuflicher Philosoph und verweigert noch immer die Arbeit. Zumindest im Kopf.

Von Anna Fischhaber

"Arbeit ist scheiße." Ausgerechnet mit diesem Satz hat Peter Seyferth seine berufliche Laufbahn begonnen. Damals war er Anfang 20 und Punk. Er hörte laute, schnelle, harte Musik und versuchte, mit seinen Klamotten seine bürgerliche Familie zu provozieren. Dann schloss er sich der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands (APPD) an. Die forderte ein Recht auf Arbeitslosigkeit bei vollem Lohnausgleich und trat bei der Bundestagswahl 1998 mit dem Slogan an. Als eine Art bayerischer Landesvorsitzender erklärte Seyferth in Interviews, er verdiene sein Geld als Stricher. Natürlich gelogen. Nur 35 000 Wähler (0,07 Prozent) stimmten bundesweit für die Satirepartei - für eine politische Karriere dann doch zu wenig.

17 Jahre später ist Seyferth beim Finanzamt als freiberuflicher politischer Philosoph gemeldet. Arbeit findet er immer noch scheiße - auch wenn er sich nun gewählter ausdrückt. Ein wenig sieht man dem 41-Jährigen den Punk noch an: Seine Ohren zieren zahlreiche silberne Stecker, die Haare stehen in alle Richtungen ab, die Gürtelschnalle ist ein Oktopus. Dazu trägt er jetzt allerdings ein blaues Sakko und darunter ein kariertes Hemd. "Damit die Menschen sich darauf konzentrieren, was ich erzähle, nicht wie ich aussehe", sagt Seyferth.

Peter Seyferth

Damals: Peter Seyferth mit dem Slogan der APPD auf dem T-Shirt.

(Foto: oH)

Er ist inzwischen promovierter Politikwissenschaftler und Arbeitsverweigerer. Allerdings keiner, der in Talkshows sitzt und erzählt, dass er doch nicht so blöd sei zu arbeiten. Seine Arbeitsverweigerung ist subtiler geworden, sie findet vor allem in seinem Kopf statt. "Ich lehne es nicht ab, fleißig, nützlich, hilfreich, produktiv zu sein", betont der 41-Jährige. Seyferth ist nicht faul, er arbeitet. Ziemlich viel sogar. Etwa 60 Stunden die Woche. Arbeit will er das aber nicht nennen. Was also macht er da eigentlich?

1000 Euro netto im Monat

21 Mal war er nach eigenen Angaben am politikwissenschaftlichen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität in München angestellt, immer für ein paar Monate, eine Festanstellung wurde nie daraus. Der Münchner ist also kein Aussteiger, keiner der im Park Systemkritik predigt. Im Jobcenter oder auf der Straße will er dann doch nicht landen. "Dann wäre ich ja auch wieder abhängig. Vom Arbeitsamt. Oder vom Alkohol." Deshalb macht er Kompromisse. Er ordnet sich unter, obwohl er Hierarchie ablehnt. Er gibt Noten, obwohl es ihm widerstrebt, Menschen zu bewerten. Und er lässt sich bezahlen - wenn auch ziemlich schlecht.

"Zwischen Ausbeutung und Selbstverwirklichung: Wie arbeiten wir in Zukunft?" Diese Frage hat unsere Leser in der achten Runde des Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieser Beitrag ist Teil eines Dossiers, das sie beantworten soll. Alles zur aktuellen Recherche finden Sie hier, alles zum Projekt hier.

Gerade hat er sich wieder beworben, diesmal an der Hochschule für Politik in München. "Hab ich eine andere Alternative?", fragt er. Viele Chancen rechnet er sich auch diesmal nicht aus. Vielleicht weil Seyferths systemkritische Forschung - promoviert hat er über Utopie, Anarchismus und Science Fiction - eher abseitig ist. Vielleicht weil er sich nicht anpassen will. Vielleicht auch, weil eine Karriere im Wissenschaftsbetrieb selbst für Menschen, die angepasster sind, ziemlich schwierig ist.

Etwas anderes machen? Das kommt für ihn dennoch nicht in Frage. "Natürlich könnte ich auch Regale im Supermarkt einräumen", sagt er. "Aber ich möchte im Leben mehr Vergnügen als Missvergnügen haben."

Nun gibt er Kurse an der Uni, an der Volkshochschule, hält Vorträge. 50 Euro bekommt er für eine Lehreinheit von 90 Minuten. Was nicht bezahlt wird, sind die Vorbereitung, die Nachbereitung, die Gespräche mit den Studenten, nicht einmal die Räume, in denen diese Sprechstunden stattfinden. Verzichten will er auf die Mehrarbeit nicht, deshalb macht Seyferth sie in seiner Freizeit, am Abend, am Wochenende. Bezahlt wird das nicht. Weniger als 1000 Euro netto im Monat verdient er durchschnittlich. Zu wenig, um im teuren München zu leben. Zumindest, wenn man gut leben will. Dennoch will er die Wissenschaft nicht aufgeben.

Seyferth zahlt sich selbst ein Grundeinkommen

Von seinem zweiten Job hat er sich vor einiger Zeit getrennt. Weil ihre Flugblätter kaum jemand interessierten, ließen er und seine Freunde politische Botschaften jahrelang auf Bierflaschen drucken. Die "Saufen gegen rechts"-Flaschen von "Pogorausch" waren in der Punkszene beliebt, erzählt er. Aus den Miesen kamen sie trotzdem nicht. Stattdessen investierte Seyferth viel Geld. Bis es nicht mehr ging.

Die Politik hat er schon vorher aufgegeben. Das Lügen gefiel ihm nicht - auch nicht im Namen der Satirepartei APPD. Dazu ist Peter Seyferth seine Kritik zu ernst. Aus dem Politiker ist ein Einzelkämpfer geworden, aus dem Systemkritiker einer, der sich im System eingerichtet hat. Im Moment funktioniert das. Im Moment zahlt sich Seyferth selbst ein Grundeinkommen vom Erbe, das seine Eltern ihm hinterlassen haben.

Und wenn das aufgebraucht ist? Er zuckt die Schultern. Eine Lösung für das Dilemma zwischen seinen Überzeugungen und den Zwängen des Systems hat auch er nicht. Dafür viele Zweifel. Zweifel, ob der Kapitalismus wirklich so unvermeidbar ist, wie viele glauben. Zweifel, warum wir uns gerade in der Arbeit so eifrig disziplinieren, unterwerfen und verbiegen. Zweifel, warum in einem der reichsten Länder der Welt die Bürger zur Lohnarbeit gezwungen werden.

Seine Kapitalismuskritik ist nicht neu und doch passt Seyferth mit seinen Ansichten in unsere Zeit. Zur Generation Y, die bereit ist, alles für die Arbeit zu tun. Und in der gleichzeitig immer mehr Menschen auf eine Karriere verzichten und stattdessen den Sinn am Arbeitsplatz suchen.

Taugt Peter Seyferth also womöglich gar als Vorbild? Oder ist das, was er tut, nur eine speziellere Form der Selbstausbeutung? Oder der Selbsttäuschung? "Ich bin genauso ein ausgebeuteter und prekärer Trottel wie die anderen, arbeite für mieseste Bezahlung, bewerbe mich für Stellen, mache Werbung für die Ware Doktor Peter Seyferth", sagt er. Auf der einen Seite. Auf der anderen ist er stolz darauf, dass er sich nicht verbiegen lässt. Dass er verzichtet. Auf Karriere, sogar auf eine angemessene Bezahlung. Dass er stattdessen das tut, was er für sinnvoll hält. Und dass er das nicht für Arbeit hält. Ein Luxus, den er sich mit seinem Erbe leisten kann.

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