Vier Jahre Bürgerkrieg in Syrien:Jenseits aller Hoffnung

Vier Jahre Bürgerkrieg in Syrien: Vor vier Jahren protestierten Demonstranten in der Stadt Deraa gegen Präsident Assad. Sie hofften auf eine Revolution, aber es wurde ein Bürgerkrieg.

Vor vier Jahren protestierten Demonstranten in der Stadt Deraa gegen Präsident Assad. Sie hofften auf eine Revolution, aber es wurde ein Bürgerkrieg.

(Foto: Hussein Malla/AP)
  • Vier Jahre nach Beginn des syrischen Bürgerkriegs deutet nichts auf einen Ausweg hin.
  • Baschar al-Assad hält sich im Amt, der Islamische Staat macht sich breit und den USA fehlt eine aussichtsreiche Strategie.
  • Unterdessen gebiert der Konflikt eine verlorene Generation.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Es begann alles damit, dass ein Vater sein Kind zurückhaben wollte. Der Junge hatte mit Freunden Graffiti an die Wand einer Schule gesprüht. "Das Volk will den Sturz des Regimes!" und "Doktor, jetzt bist du dran!". Den Syrern war in ihrem Polizeistaat dank Satellitenfernsehen nicht verborgen geblieben, dass andere Völker der Region gegen ihre Despoten aufstanden.

Und so hatten es die Jugendlichen in Deraa gewagt, sich mit Parolen des Arabischen Frühlings gegen den Augenarzt Baschar al-Assad zu wenden, Syriens Präsidenten, dessen Clan das Land seit 1970 kontrolliert. 15 Jungen verhafteten seine Schergen zeitweise. Und als der Vater an der Polizeistation seinen 14-jährigen Sohn zurückforderte, wurde ihm beschieden, dass er ihn nicht wiedersehen werde. "Macht euch lieber einen neuen", riet ihm der Beamte. Es war der 15. März 2011, der Tag, der heute als Beginn des Bürgerkrieges gilt.

Was blieb den Eltern als Protest, wenn sie ihre Kinder wiedersehen wollten? Immer mehr Menschen versammelten sich um die Omari-Moschee. Am dritten Tag waren sie Tausende. Das Regime reagierte, wie es in den kommenden Wochen und Monaten immer wieder reagieren sollte auf friedliche Proteste, auf Forderungen nach einem Ende von Willkür und Korruption, wenn die Menschen verlangten, dass nach 50 Jahren der Ausnahmezustand aufgehoben wird: Es schoss auf das eigene Volk.

210 000 Tote

gab es nach Schätzung der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte bis Ende des vorigen Jahres. Andere sprechen von bis zu 300 000 Opfern des Bürgerkriegs in Syrien. Genaue Zahlen gibt es jedoch nicht mehr; die Vereinten Nationen haben im Januar 2014 aufgehört, die Toten zu zählen.

In Deraa eskalierte die Lage schnell: Die Demonstranten antworteten auf die Schüsse, indem sie das Gebäude der regierenden Baath-Partei in Brand setzten. Am Ende bot das Regime die Vierte Panzerdivision unter Assads Bruder Maher auf; 6000 Soldaten belagerten die Stadt, um die Proteste niederzuschlagen.

Das Gedächtnis daran ist verblasst in den vier Jahren, die der Krieg nun währt. Die Angst vor der Terrormiliz des Islamischen Staats und der kaum weniger radikalen Nusra-Front überdecken weithin, um was es in diesem Konflikt zu Anfang einmal ging. Es gibt heute kein Syrien mehr, das man reformieren könnte.

Das Leid der Menschen ist unvorstellbar

Es gibt von der Regierung kontrollierte Gebiete in Damaskus, im alawitischen Kernland an der Küste, in denen das Leben einen einigermaßen normalen Gang geht. Doch große Teile des Landes sind zerstört. Aleppo, die zweitgrößte Stadt des Landes, ist zerfressen von einem Stellungskrieg zwischen Rebellen, Dschihadisten und Regierungstruppen. Homs, einst Syriens dritte Stadt, liegt in Ruinen. Das Leid der Menschen ist unvorstellbar; die Zahlen, mit denen es fassbar werden soll - monströs.

Der Krieg gebiert eine verlorene Generation

Allein 2014, dem schlimmsten Jahr des Bürgerkriegs, sollen 74 000 Menschen getötet worden sein. Die UN haben aufgehört, die Opfer zu zählen, weil es vielerorts keine verlässlichen Angaben mehr gibt. 210 000 Tote Ende 2014 sind die niedrigsten Schätzungen, andere fürchten, dass es 300 000 sind. Mehr als die Hälfte der Syrer hat ihre Heimat aufgegeben; 3,3 Millionen sind aus dem Land geflohen, 6,8 Millionen wurden Binnenvertriebene. Drei von fünf Menschen in Syrien leben in absoluter Armut und können aus eigener Kraft nicht einmal ihre Ernährung sicherstellen. Das Bildungssystem ist zusammengebrochen, weniger als die Hälfte der Kinder gehen zur Schule.

Der Krieg gebiert eine verlorene Generation. Die Lebenserwartung ist von fast 76 Jahren vor dem Krieg auf 55,7 Jahre zurückgegangen. All dies ist dokumentiert in einem niederschmetternden Bericht, den das Syrian Centre for Policy Research zusammen mit dem UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) und dem UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) erstellt haben.

Eine politische Lösung ist dennoch nirgends in Sicht. Zu komplex die Lage, zu unterschiedlich die Interessen, nicht zuletzt die der Akteure, die von außen in Syrien mitmischen. Amerikaner und sunnitische arabische Staaten versuchen, die wenigen gemäßigten Rebellen aufzupäppeln, die geblieben sind. Doch sollen sie nun in erster Linie gegen die Dschihadisten des Islamischen Staates kämpfen. Aus dem benachbarten Irak kommend haben der selbst ernannte Kalif Abu Bakr al-Bagdadi und seine Anhänger in Nordsyrien ihre Hauptstadt und ihr Rückzugsgebiet etabliert.

Assad hat sich dank diplomatischer Protektion Russlands und Waffenhilfe aus Iran sowie der verbündeten schiitischen Hisbollah-Miliz aus Libanon im Amt halten können. Er wartet auf einen Endkampf, in dem er hofft, als der unvermeidliche Partner im Kampf gegen die Dschihadisten seine politische Auferstehung zu feiern, hat er doch von Anfang an versucht, alle Rebellen gleichermaßen als Terroristen zu diskreditieren. Assad kann sich Hoffnung machen, dass sein Kalkül aufgeht.

Amerikaner begnügten sich lange mit Schweigen

Mitte Februar sagte der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura erstmals, Assad müsse "Teil der Lösung" sein; der Einzige, der vom Konflikt profitiere, wenn es keine politische Lösung gibt, sei der IS. Die gemäßigte syrische Opposition fühlt sich verraten - ist doch das Regime mit Abstand für die meisten Toten verantwortlich und konzentriert sich nach wie vor darauf, die Rebellengebiete um Damaskus zu bombardieren und auszuhungern, statt die Dschihadisten zu stellen.

Die Amerikaner begnügten sich lange mit Schweigen. Erst jüngst in Riad äußerte sich Außenminister John Kerry. Assad habe "jeden Anschein von Legitimität verloren" bekräftigte er, "aber wir haben keine höhere Priorität", als den IS und andere Terrorgruppen zu bekämpfen. Am Ende werde es wohl einer "Kombination aus diplomatischem und militärischem Druck" bedürfen, um einen politischen Übergang herbeizuführen; militärischer Druck könne insbesondere nötig sein angesichts der Weigerung Assads, ernsthafte Verhandlungen zu führen. Aber "letztendlich müssen wir verhandeln", stellte Kerry am Sonntag in einem Interview klar. Dazu seien die USA im Rahmen der Genfer Friedensgespräche immer bereit gewesen.

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