Germanwings Flug 4U9525:"Es werden Rätsel bleiben"

Lesezeit: 3 min

Menschen trauern an einem Gedenkstein in der Nähe des Absturzortes. (Foto: Getty Images)

Andreas Lubitz war wegen psychischer Probleme in Behandlung. Nun wird diskutiert, welche Krankheit der Copilot der Germanwings-Maschine hatte. Ein Psychiater erklärt, warum diese Frage eine so wichtige Rolle spielt.

Interview von Ingrid Fuchs

149 Menschen sind tot, offenbar weil ein Mann nicht mehr leben wollte. Was hat Andreas Lubitz dazu veranlasst? Der Suizidologe Thomas Bronisch arbeitet am Max-Planck-Institut für Psychiatrie und erklärt, warum diese Frage so wichtig ist - und wie sich die aktuelle Diskussion auf andere Menschen mit psychischen Krankheiten auswirken könnte.

SZ: Der Copilot des Germanwings-Flugs 4U9525 hat den Absturz wohl bewusst und absichtlich herbeigeführt. Mittlerweile ist klar, dass er psychische Probleme hatte.

Thomas Bronisch: In einem solchen Fall kommen einem da drei bis vier Differentialdiagnosen in den Sinn. Bei so einer grauenhaften Tat denkt man als Psychiater an eine Psychose, eine schizophrene paranoid-halluzinatorische Psychose, die dazu geführt hat, dass diese Tat im Wahn ausgeführt wird oder sogar Stimmen diese Tat befehlen. Wobei man sich dann überlegen muss, ob man das wirklich im engeren Sinne noch als Suizidversuch deuten kann, wenn die Person von dieser Wahnkrankheit beherrscht wird und nicht mehr selber entscheidet.

Das Zweite, woran man denken muss, ist im Grunde auch eine Psychose. Das wäre bei der Konstellation eher unwahrscheinlich, ist aber nicht auszuschließen: Eine Drogenpsychose, im Rahmen derer es auch zu so einer Handlung kommen kann. Es kann aber auch eine Depression dahinter stecken oder eine schwere Persönlichkeitsstörung.

Man weiß also nicht, ob Andreas Lubitz den Tod dieser Menschen beabsichtigt hat?

Es sind völlig anonyme Adressaten, die da mitgenommen wurden. Das spricht gegen einen Amoklauf, da es kein Racheakt gegenüber Menschen war, die ihn verletzt oder gekränkt haben.

Wenn dieser Drang, sich umzubringen ganz massiv ist, kommt es zu einer Einengung der Sichtweise, einer Röhrensicht, so dass gar nichts mehr außerhalb gesehen wird, dass nur noch gehandelt wird und überhaupt keine Rücksicht auf andere genommen wird. Das ist noch keine Erklärung, welche Krankheit dahinter steckt, das ist nur die Endstrecke. Wenn die Entscheidung zur Tat gefällt worden ist, dann tritt eine Ruhe und Gelassenheit ein. Was da aus dem Cockpit zu hören war, dass er ruhig geatmet hat und es keine Geräusche mehr gab, spräche dafür, dass diese Entscheidung zuvor schon gefallen und das nur noch die Durchführung war.

Airlines führen nun die Regel ein, dass immer zwei Personen im Cockpit sein müssen. Könnte ein Mensch, der beschlossen hat, sich umzubringen, noch davon abgehalten werden?

Da lässt sich keine verlässliche Aussage treffen. Aber so ein Entschluss, der vom Tunnelblick gesteuert wird und kurz vor der Vollendung steht, kann ganz plötzlich verändert werden, etwa wenn der Betroffene abgelenkt wird.

Das Interessante ist: Auch wenn der Plan feststeht, sich umzubringen, kann der durchaus Schwankungen unterworfen sein oder sich ändern. Vielleicht ist das Vorhaben getriggert worden, dadurch dass der Kapitän die Kabine verlassen hat. Das funktioniert womöglich auch umgekehrt. Ich denke schon, dass eine zweite Person im Cockpit die Situation beeinflussen kann.

Wir diskutieren über die Art der Erkrankung. Warum ist das überhaupt wichtig?

Für die Angehörigen der Opfer ist es wichtig zu wissen, was dahinter steckt. Es ist ein zusätzliches Trauma, wenn so eine Tat willkürlich erfolgt ist. Und das Trauma wiegt besonders schwer, wenn da nicht im Laufe der nächsten Zeit die Hintergründe durchleuchtet werden, wie ein Mensch zu so einer Tat kommt, wenn er unter Umständen schwerst psychiatrisch krank ist.

Droht anderen Menschen mit psychischen Krankheiten nun eine Stigmatisierung?

Meine Sorge ist, dass übersehen wird, dass eine solche Tat extrem selten und nur unter extremen Bedingungen erfolgt, also unter einer wie auch immer gearteten extremen Störung. Sei es eine schwerste Persönlichkeitsstörung, eine Psychose, im Drogenzustand oder eine schwerste psychiatrische Depression. Kurzum: Es ist nur ein ganz ganz kleiner Anteil an psychisch kranken Menschen, der so handelt.

Die Diagnosegruppe, denen solche Tötungen im Rahmen ihrer Krankheit am häufigsten nachgesagt werden, sind schizophrene Patienten. Aber das ist erstens eine extreme Ausnahme. Zweitens, wenn man die Gesamtzahl der Schizophrenen nimmt, ist der Anteil derer, die eine schwerwiegende Straftat oder Tötung begehen, geringer als jener in der Durchschnittsbevölkerung. Es gibt also gar keine Fakten, dass psychisch gestörte Menschen grundsätzlich gefährlicher sind. Welche Krankheit dahinter steckt, kann man derzeit überhaupt nicht sagen. Es gibt Anhaltspunkte, aber alles ist nur spekulativ.

Wird man denn herausfinden, was den Copiloten zu dieser Tat gebracht hat?

Ich glaube, es werden auf jeden Fall Rätsel bleiben. Es war ja keiner dabei, kurz vor und bei seiner Handlung. Die Crew war außerhalb des Cockpits.

Wir Suizidologen haben da eine eigene Forschungsrichtung, wir nennen das die psychologische Autopsie. Neben der normalen Autopsie, die auch bei Suizidenten gemacht wird, wollen wir den Fall rekonstruieren. Wir befragen Angehörige, Freunde und behandelnde Ärzte, wir schauen auf die Krankenakte, toxikologische Angaben, in den Polizeibericht. Aber vollständige Aufklärung wird es wohl nicht geben.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Absturz von Germanwings-Flug 4U9525
:Die Sucht nach Erklärungen

Alles spricht dafür, dass Andreas Lubitz Flug 4U9525 zum Absturz brachte. Doch was, wenn nicht? Wie beschämt müsste eine Gesellschaft sein, hätte sie das Andenken eines Copiloten geschändet, nur weil alles schnell nach Erklärung verlangte.

Von Detlef Esslinger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: