Der Fußballer Lars Stindl:Der namhafteste Namenlose

Hannover 96 - Borussia Dortmund

Begehrter Bundesligaspieler: Lars Stindl

(Foto: dpa)

Null Länderspiele, aber bei fast allen Spitzenklubs begehrt: Lars Stindl ist ein Profi für den zweiten Blick. Im Sommer wechselt er von Hannover nach Gladbach. Wer ist dieser Spieler, den alle wollen, aber nur wenige kennen?

Von Christof Kneer

Am 12. August 2009 war Lars Stindl 69 Minuten lang auf dem Weg zum Nationalspieler. 69 Minuten lang spielte er im Mittelfeld der deutschen U21, die als verlässlicher Zulieferbetrieb für Joachim Löws A-Mannschaft geschätzt wird. Lars Stindl hatte sich eigentlich keinen schlechten Zeitpunkt ausgesucht für sein Debüt in der U21, nur zwei Monate, nachdem dieses Team bei der Junioren-EM in Schweden den Titel geholt hatte. Aus heutiger Sicht muss man allerdings sagen, dass der Zeitpunkt vielleicht doch nicht so praktisch war. Die deutsche U21 verlor 1:3 gegen die Türkei, und Lars Stindl kam nicht wieder.

Heute steht in Stindls Personalakte:drei Spiele für die deutsche U20, ein Spiel für die deutsche U21. Von A-Länderspielen steht dort nichts.

Es ist keine Schande, kein Nationalspieler zu sein, aber eine kleine Verhaltensauffälligkeit ist es inzwischen doch. Vor 30 und vor 20 Jahren war es noch normal, kein Nationalspieler zu sein. Keiner war das, bis auf jene paar Auserwählten, die sich bei Turnieren immer ins Finale durchrumpelten. Vor gut zehn Jahren kam dann aber die Zeit, in der Bundestrainer Jürgen Klinsmann jedem Spieler, der nicht bei drei in der Kabine war, das Nationaltrikot überstülpte. Marco Engelhardt wurde Nationalspieler, Andreas Görlitz und Frank Fahrenhorst auch, und so kommt es, dass man heute nicht mehr so viele deutsche Spieler trifft, die in den besten Jahren stehen und nicht irgendwann mal in der Nationalmannschaft ausprobiert wurden.

Wollte man heute aus ehrbaren deutschen Bundesligaspielern eine Nationalelf der Nicht-Nationalspieler bilden, ohne U21-Kräfte und ohne solche, die noch alles vor sich haben, dann muss man schon ein bisschen forschen. Heutzutage findet man ja nicht nur Spieler wie Andreas Beck, Christian Gentner oder Christian Träsch im großen DFB-Almanach der A-Nationalspieler; dort stehen tatsächlich auch Philipp Wollscheid, Nicolai Müller, Roman Neustädter, Oliver Sorg oder Stefan Reinartz.

Max Eberl beobachtet Stindl seit der A-Jugend

Noch heute erzählen die richtigen Nationalspieler fast gerührt, wie sich der Leverkusener Reinartz im Mai 2010 genierte, als Aufnahmeritual ein Lied zu singen. Er sei doch eigentlich kein richtiger Nationalspieler, hat Reinartz gesagt, er sei doch nur dabei, weil so viele fehlen.

Reinartz hat inzwischen drei A-Länderspiele. Lars Stindl hat immer noch null.

Stindl sei eben "in der öffentlichen Wahrnehmung oft etwas unterbewertet worden", sagt Max Eberl, der Manager von Borussia Mönchengladbach. Er selbst nimmt Stindl seit vielen Jahren wahr: "Ich verfolge seinen Weg seit Karlsruher A-Jugend-Zeiten", sagt er. Als es jetzt darum ging, einen Mittelfeldspieler zu holen, mit dem die Borussia guten Gewissens in die Champions League ziehen könnte, da hat Eberl nicht an Stefan Reinartz gedacht, der ebenfalls zu haben wäre. Eberl hat sich für Lars Stindl entschieden.

Lars Stindl soll in Gladbach einen Weltmeister ersetzen

Stindl, 26, kann Hannover 96 dank einer Ausstiegsklausel für eine vergleichsweise geringe Gebühr verlassen, drei Millionen Euro lautet die Preisempfehlung. Eberl würde aber nie behaupten, dass er über Geheimwissen verfügt, er ist nicht der einzige Manager, der den Wert des Nicht-Nationalspielers zu schätzen weiß. Auch Bayer Leverkusen, Schalke und Borussia Dortmund sind bei Annäherungsversuchen erwischt worden, fast alle großen Klubs unterhalb des FC Bayern hätten sich diesen Stindl gut in ihrem Mittelfeld vorstellen können.

"Vielleicht hat er sich auch deshalb für uns entschieden, weil wir ihm eine gut sichtbare Perspektive bieten konnten", sagt Eberl. Seinen möglichen Stammplatz in Lucien Favres Elf kann Stindl ja mit bloßem Auge erkennen: Christoph Kramer wird Gladbach im Sommer verabredungsgemäß verlassen, er muss laut Leasingvertrag zurück nach Leverkusen. Und im Zentrum spielt Stindl am liebsten.

Wer aber ist dieser Spieler, den alle wollen, aber nur wenige kennen? Lars Stindl ist ein Star ohne Nationalhymne, er ist vielleicht der namhafteste Namenlose im deutschen Fußball. Die Teilzeit-Experten, die immer nur "Das Sommermärchen" und "Die Mannschaft" anschauen, haben wahrscheinlich noch nie von ihm gehört. Vielleicht haben diese Teilzeit-Experten sogar mal von Alex Meier gehört, vielleicht hat sich herumgesprochen, dass es da einen vier Meter großen Spieler gibt, der in 3,80 Meter Höhe ein lustiges Zöpfchen spazieren führt und alle Bälle, die auf seinen Innenrist kommen, ins Tor schießt.

Es gibt immer wieder Geschichten über Meier, gerade jetzt, da er Torschützenkönig der Bundesliga zu werden droht. Aber Stindl? Kürzlich, im Heimspiel gegen Dortmund, hat er mal zwei Tore geschossen, aber ansonsten ist er eher ein Spieler für den zweiten Blick. Kein Wunder, dass die Gladbacher ihn so dringend haben wollten: Lars Stindl ist ein Trainerspieler.

Ein polyvalenter Spieler regt die Fantasie von Lucien Favre an

"Jeder weiß, dass Lucien Favre viel Wert auf Polyvalenz legt", sagt Max Eberl mit mildem Amüsement, er kennt ja seinen kauzigen Coach und dessen Ausdrucksweise. "Lars ist ein pflichtbewusster, kontrollierender, laufstarker Spieler, und in Hannover hat er schon auf der Acht, auf der Zehn und auf dem Flügel gespielt", sagt Eberl, "so ein facettenreicher Spieler regt natürlich die Fantasie von Lucien Favre an." Stindl selbst möchte im Moment nichts zu den Motiven seines Wechsels sagen, auch über Stindl möchte Stindl nicht sprechen. Hannover stecke im Abstiegskampf, lässt der pflichtbewusste Spieler ausrichten, da gehe es nicht um ihn.

Als Joachim Löw sein Aufgebot für die vergangenen beiden Länderspiele veröffentlicht hat, fehlte der Name Stindl natürlich, es hat auch niemand nach ihm gefragt. Löw findet Stindl gut, aber das Problem ist: Nimmt man alle Positionen, die Stindl spielen kann, dann heißen seine Konkurrenten Bastian Schweinsteiger, Toni Kroos, Sami Khedira, Ilkay Gündogan, Mesut Özil, Mario Götze, Karim Bellarabi und Thomas Müller.

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