Report:Stummer Frühling

Es ist so still in Apulien. Die Honigbienen verschwinden - Gefahr droht ihnen von Parasiten, der Industrie und nun von der EU.

Von Ulrike Sauer, Lecce

Die Speisekarte bietet den Tieren nicht viel. Kleiner Sauerampfer, Senfrauke, Ringelblume, Weißer Affodill, Mandelblüten. Vereinzelt erst leuchten Farbtupfer zwischen den Olivenhainen der Halbinsel im äußersten Südosten von Italien, dem Salento. Der März begann ungewöhnlich kühl, und so sind die Bienenvölker im Süden des Landes noch klein. Daniele Greco hilft ein wenig nach. Der Imker päppelt seine Familien mit Bio-Rohrzucker auf. Er legt ihnen mit bräunlich-süßem Wasser gefüllte Beutel auf die Rahmen der Honigwaben. "Wenn sie alles verputzen, ist das ein gutes Zeichen", sagt er beim Anblick der blitzblank geleckten Tüte und schließt vorsichtig den Deckel über der Bienenkiste. Gute Zeichen sind im Alltag Grecos eine Ausnahme geworden. Sein Frust wächst.

Das Bienensterben bedroht die Existenz des Mannes aus Lecce, der prächtigen Barockstadt im Süden Apuliens.

Vor 25 Jahren gründete Greco, er war 24, mit bescheidenen Mitteln die Imkerei Il Giglio. Für ihn lief es 2014 schlechter denn je. Die Produktion brach ein. Er lieferte nur 13 mit Honig gefüllte 300-Kilo-Fässer bei der Genossenschaft ab. Im Jahr zuvor hatte er 35 Fässer verkauft. Schon das war eine eher mäßige Ausbeute.

Greco klappert im weißen Pritschenwagen die 15 Stellplätze seiner Bienenstöcke ab. Er kann lange aufzählen, was den Schwärmen so zusetzt. Pestizide, der gefährliche Parasit Psylla, das Bakterium Xylella, die Pestizide aus Deutschland, die Monokulturen. Die fleißigen Nutztiere machen sich inzwischen so rar, dass Italiens Imker Opfer von Bienendieben werden. Besonders leidet sein Geschäft unter der Psylla, einem Parasiten aus Australien, der den Eukalyptus befällt und ihn um die Blüte bringt.

Vor fünf Jahren hörten die Bäume hier plötzlich auf zu blühen. Ein herber Verlust war das. Der Eukalyptus hatte mit seiner späten Blüte die Honigbienen beschäftigt und vor dem Verhungern im Juni und Juli bewahrt, wenn Süditalien vertrocknet ist. Der duftende Baum ermöglichte den 100 Imkern der Salento-Halbinsel eine zweite Ernte. Es blieb ihnen von da an nur der Frühlingshonig, den die Bienen bis Mai aus dem Blütennektar gewinnen.

Der Antagonist, der als einziger den Blattsauger Psylla töten kann, lebt eigentlich nur in Australien. In Europa will man den Psyllaephagus bliteus nicht hereinlassen. Der kleine Käfer fällt unter das EU- Einfuhrverbot für exotische Parasiten. "Ein Brüsseler Paradoxon", schimpft Greco über den Zwang zum Regelbruch.

Im Jahr 2012 tauchte, ups!, der Psylla-Fresser in Italien auf, und zwar auf Sardinien. Greco erzählt, dass der Eukalyptus dort im vergangenen Jahr wieder geblüht hat. Nun hofft er, dass der Baum auch im Salento bald wieder hält, was sein Name verspricht: Eu steht im Griechischen für gut, kalyptein bedeutet mit Blüten bedeckt. Trotzdem genügt allein die Zuwanderung des Blattsauger-Killers nicht, um Grecos Stimmung zu heben. Seine Gedanken kreisen jetzt immer um Xylella, das Killer-Bakterium. Das Szenario, vor dem er sich fürchtet, ist apokalyptisch. "Es droht der finale Angriff auf die Bienen", sagt er, die endzeitliche Entscheidungsschlacht. Ein Armageddon für die 700 Völker, die ihm geblieben sind.

Den Bienen geht es zu Beginn des 21. Jahrhunderts wie den Protagonisten des Öko-Thrillers "Der Schwarm". Taucht bei Frank Schätzing auf tausend Seiten eine existenzielle Bedrohung durch eine mysteriöse maritime Lebensform nach der anderen auf, so setzt den gestressten Bienen das gestörte Gleichgewicht der Umwelt auf immer neue Weise zu.

Die Welt der Bienen ist so komplex wie anfällig. Daniele Greco, 49, ist ein sanfter Mensch. Ruhe ist die wichtigste Eigenschaft in seinem Beruf. Dabei hat er es eigentlich eilig, mit der Zucht zu beginnen. Je eher Greco seine Königinnen auf dem nordeuropäischen Markt anbieten kann, desto höhere Preise erzielt er. Bis zu 17 Euro bekommt er pro Exemplar. Doch für die Zucht ist es noch zu kalt.

"Chemie hilft uns nicht aus einer Not, in die uns die Chemie erst gebracht hat."

"Die Natur lässt sich nicht drängeln", sagt Greco. Und nun das: Der Salento soll im Mai auf Drängen der Europäischen Union zum chemischen Kampfplatz werden. Es gilt, diesem Feind Einhalt zu gebieten: der Xylella fastidiosa, einem Bakterium, das man für das rasch fortschreitende Absterben von Olivenbäumen im Salento verantwortlich macht. Die Nachricht hat Brüssel alarmiert. Eine Ausbreitung des Erregers nach Norden soll um jeden Preis unterbunden werden. Gegen Xylella sind die Behörden machtlos. Notgedrungen richten sich die Scheinwerfer deshalb auf ihren Überträger, die weit verbreitete Wiesenschaumzikade.

Dafür wurde ein Notstandskommissar abgestellt. Erstmals in Italien wird der Zivilschutz für die Schädlingsbekämpfung mobilisiert. Das Pflanzenschutzamt der Region Apulien verpflichtet alle Grundbesitzer zum Kauf und zur Anwendung des Gifts. Zwischen Mai und August soll ein Insektizid-Einsatz die Infizierung eindämmen. Nördlich von Lecce zog man zwischen Ionischem Meer und Adria einen Strich quer über die Salento-Halbinsel. Oberhalb der Linie trennt eine Pufferzone das Epidemie-Gebiet vom Rest Europas. Darunter erwarten nun 95 000 Hektar Olivenhaine die Giftdusche. Natürlich kommt in der Regionalhauptstadt Bari Widerstand an: "Chemie hilft uns nicht aus einer Not, in die uns die Chemie erst gebracht hat", sagt Cristian Casili, Agronom und Landschaftsplaner aus Nardò.

Was für ihn und die Umweltschützer ein Schreckensszenario ist, eröffnet dem deutschen Konzern Bayer ein lukratives Geschäft. Auch darum geht es.

Auf der Empfehlungsliste der Xylella-Bekämpfer in Bari steht nämlich Imidacloprid an erster Stelle. Es wurde 1985 bei Bayer entwickelt. Heute gehört es zu den Bestsellern von Bayer Crop-Science. In Italien ist es unter dem Namen Confidor auf dem Markt. Es gehört zur Gruppe der Neonikotinoide, deren Einsatz die EU-Kommission vor 15 Monaten stark beschränkt hat. Die Neonikotinoide sind für das Massensterben der Bienen mitverantwortlich.

Report: Trügerische Idylle: Bienenkästen im malerischen Umland der Barockstadt Lecce - doch Parasiten und Pestizide dezimieren die Völker der Insekten.

Trügerische Idylle: Bienenkästen im malerischen Umland der Barockstadt Lecce - doch Parasiten und Pestizide dezimieren die Völker der Insekten.

(Foto: privat)

Wie man es auch dreht, die Bienen verlieren.

Das Problem mit den Bienen hat es auch auf die Weltausstellung geschafft. Zum ersten Mal in 164 Jahren ist die Expo dem Thema Essen gewidmet. Am 1. Mai beginnt sie unter dem Motto "Den Planeten ernähren, Energie fürs Leben". Wie lässt sich die Ernährung der Menschheit angesichts von Bevölkerungswachstum, Klimawandel und Umweltzerstörung sicherstellen? 145 Nationen wollen ihre Antworten vorstellen.

Das hat eine Menge zu tun mit Grecos Kampf. Das Überleben der Bienen entscheidet nicht nur über die Verfügbarkeit der Götterspeise Honig. Die Biene ist nach Rind und Schwein das drittwichtigste Nutztier des Menschen. Weltweit hängt mehr als ein Drittel der menschlichen Nahrung von den Bienen ab.

"Essen geht alle etwas an", sagt Birgit Schultz. In Stuttgart entwickelte sie mit der Eventagentur Milla & Partner das Konzept des deutschen Pavillons.

Dieses Mal geht es nicht um die übliche Muskelprobe der Industriegesellschaften. Gastgeber Italien fordert zum Nachdenken auf, und zum Handeln. Das Ziel ist ehrgeizig: Die Regierungen der Teilnehmerländer sollen eine Mailänder Charta unterzeichnen, die als verpflichtende Rahmenkonvention eine Ernährungs- und Agrarwende anstößt. Wie es das Kyoto-Protokoll einst in der Energiepolitik tat.

Was gerettet werden soll, ist eine uralte Abhängigkeit. Vor hundert Millionen Jahren ging die Biene eine feste Partnerschaft mit der Blüte ein. Die eine kann ohne die andere nicht. Damit sich Samen bilden, benötigt die Blüte Hilfe, die sie mit Nektar und Pollen bezahlt. Die Biene saugt auf den Sammelflügen den süßen Saft am Blütengrund auf. Dabei streift ihr pelziger Körper Pollen ab. Beide Partner haben ihr Ziel erreicht: die Pflanze ist befruchtet, die Biene satt.

Weniger Bienen, weniger Pflanzen, weniger Nahrung, weniger Leben

as Insekt besucht mit dem sprichwörtlichen Bienenfleiß pro Flug etwa hundert Blüten, unternimmt zehn Sammelflüge am Tag. Ein einziges Volk kann täglich 20 Millionen Blüten bestäuben - eine unersetzbare Leistung.

Der Mensch setzt dieser Partnerschaft nun ein Ende, von der er so sehr profitiert. Wie brisant die Angelegenheit ist, zeigt China: Dort sind Obstbauern gezwungen, in ihren vergifteten Apfelplantagen auf die Bäume zu klettern und Pollen mit einer Feder über jede einzelne Blüte zu pinseln. Der "Bienenmensch" als Symbol einer Naturkatastrophe. Und hinzu kommt: "Es tut mir total leid, aber die Stadt ist heute ein besserer Lebensraum für Bienen als das Land." Die Berliner Stadtimkerin Erika Mayr tritt auf der Expo im deutschen Pavillon als Botschafterin auf.

Über zwei Drittel der 100 wichtigsten Kulturpflanzen werden von Bienen bestäubt - von Tomaten bis zu Mandeln. Sie werden beim Anbau von Tierfuttersorten gebraucht. Und 78 Prozent der Wildpflanzen sind auf Insekten angewiesen.

Der Kreislauf ist beklemmend: weniger Bienen, weniger Pflanzen, weniger Nahrung, weniger Leben. Den wirtschaftlichen Wert der Bestäubung in Europa schätzen Forscher des EU-Programms Step auf 22 Milliarden Euro, das entspricht einem Zehntel der Agrarproduktion in der Union.

Barack Obama nimmt die Bedrohung ernst. Der amerikanische Präsident bildete vor neun Monaten eine Taskforce. Sie soll Wege erkunden, das Massensterben der Bienen zu stoppen. 50 Millionen Dollar machte er locker.

Vorerst aber bleibt der Erreger in der Idylle des Salento: Felsklippen, Sandbuchten und türkisblaues Meer. Olivenhaine mit knorrigen Bäumen prägen das Landesinnere. Viele sind mehr als 700 Jahre alt. Ihr Öl ist ein wesentlicher Bestandteil der mediterranen Küche, die von der Unesco zum Weltkulturerbe gezählt wird. Acht Prozent des nativen Olivenöls auf dem Weltmarkt stammen aus der Provinz Lecce. Nun droht dort der Tod durch Bakterien.

Im September 2013 bemerkte man im Hinterland des antiken Gallipoli, dass die Bäume eines zwei Hektar großen Olivenhains einfach vertrockneten.

Noch heute verstört der Anblick der auf den Stamm zurückgestutzten Bäume. Deutlich sind Spuren von Pilzen und Nagern zu erkennen. Aber in Sichtweite wachsen belaubte Ölbäume in den blauen Himmel.

Ein irritierendes Bild.

"Man erwartet eigentlich eine gleichmäßigere Ausbreitung der Epidemie", sagt der Agronom Casili. Zumal die Überträgerin Xylella als Bakterie einen sehr begrenzten Bewegungsradius hat. Jeder zehnte der elf Millionen Olivenbäume im Salento soll inzwischen erkrankt sein.

Report: Imker Daniele Greco im hellblauen Hemd erklärt Schülern die Bienenzucht. Der März war ungewöhnlich kalt, die Imker mussten ihre Völker aufpäppeln.

Imker Daniele Greco im hellblauen Hemd erklärt Schülern die Bienenzucht. Der März war ungewöhnlich kalt, die Imker mussten ihre Völker aufpäppeln.

(Foto: privat)

Die Plage wirft beunruhigende Fragen auf. Staatsanwältin Valeria Mignone versucht, Licht in die Angelegenheit zu bringen. Ihre Ermittlungen wurden durch Anzeigen misstrauischer Bürger ausgelöst.

Sie wollen wissen: Wie kam das Unglück über den Salento? Nie zuvor wurde Xylella in Europa gemeldet, noch nie befiel der Krankheitserreger den Olivenbaum. Und: Was passierte auf einem internationalen Workshop im Oktober 2010, bei dem Wissenschaftler am Agrarinstitut in Bari mit Xylella experimentierten? Warum überhaupt taten sie das? Manche Menschen halten Xylella für ein Trojanisches Pferd, wittern eine Verschwörung: Wo die Xylella sich ausbreitete, kam bald darauf Monsanto auf den Markt mit resistenten, genmanipulierten Arten auf den Markt.

Cristian Casili interessiert sich nicht für diese Verschwörungstheorien. Stutzig macht ihn aber, dass so schleppend reagiert wurde und die wissenschaftlichen Erkenntnisse lückenhaft blieben. "Eklatant ist, dass bis heute der Nachweis der Pathogenität fehlt", sagt er. Es ist nicht erwiesen, dass Xylella die Bäume umbringt.

Donato Boscia, Pflanzenvirologe am CNR-Institut in Bari, hält das für ein "falsches Problem". Der Test habe keinen Einfluss auf die Zwangsmaßnahmen, die Italien gegen die Bakterie ergreifen muss. "Die EU-Kommission schert sich nicht um die Olivenbäume, ihr geht es allein um Xylella", sagt der Forscher. Ihretwegen sollen nun 80 000 Ölbauern in den Vernichtungskrieg ziehen. Selbst wenn alle mitmachten, könnte er nicht zum Ziel führen. Denn die Xylella befällt nicht nur die Olivenbäume, sondern auch andere Pflanzen. Schlimmer noch: Sie ist längst ausgebrochen. Anfang März wies man das Pathogen erstmals jenseits der imaginären Pufferzone, in einem Olivenhain weiter im Norden, nach.

Dünger und Pestizide haben die Umwelt geschwächt. Das Agrarsystem kollabierte

Casili, 39, sagt, er durchlebe die komplizierteste Phase seines Lebens. "Man spürt, dass hier mächtige Interessen berührt werden", sagt der Agronom. Er glaubt, dass die nachlässige Pflege der Olivenhaine im Salento, der Dünger- und der gestiegene Pestizid-Einsatz Böden und Umwelt so geschwächt haben, dass das Agrarsystem kollabierte. Die Artenvielfalt, die eine natürliche Schädlingskontrolle garantierte, ging verloren. "Klar ist es nun leichter, Insektizide und resistente Arten in den Markt zu drücken." Nun riskieren 1000 Landwirte im Salento aufgrund des befohlenen Gifteinsatzes den Verlust ihrer Bio-Zertifikate.

Und wo sind die Bienen? Bisher ist es ein stummer Frühling.

Daniele Greco war noch nicht geboren, als die amerikanische Biologin Rachel Carson 1962 ihr Buch "Silent Spring" veröffentlichte. Es ist eine Art Bibel der Umweltschützer und führte zum Verbot des Insektizids DDT. 53 Jahre später bedrückt Greco ebendieser Albtraum eines stummen Frühlings.

Angst nagt seit Jahren an den Imkern, auch im Norden Italiens. Francesco Panella überfiel sie 2006. In den Hügeln der Weingegend Gavi im Piemont kam er tagein tagaus mit dem Tod seiner Völker in Berührung. "Ich fiel in ein schwarzes Loch", erzählt der Chef des nationalen Imker-Verbandes. Es habe lange gedauert, bis sie kapierten, was vor sich ging. Bis sie erkannten, was die Giftwolken bei der Aussaat des mit Neonikotinoiden gebeizten Mais den Insekten antaten.

Hinter ihm und seinen Kollegen liegt ein furchtbares Jahr. Die italienische Honigproduktion halbierte sich 2014. Die Preise steigen aber auch nicht wegen der stark steigenden Importe gepanschter Ware aus China. Dort werde das Naturprodukt überaus gekonnt mit aus Reis gewonnenem Zucker verschnitten und zu Tiefpreisen exportiert, sagt Panella. "Wir produzieren, was die Europäer von uns verlangen", entgegneten ihm Chinesen im vergangenen Sommer auf einem Kongress.

In Italien ist die Saatgutbehandlung von Mais seit 2009 verboten. Die EU zog Ende 2013 nach. Und das, obwohl die Imker in Brüssel gegen die dominierende deutsch-französische Agrarlobby einen besonders schweren Stand haben, sagt Panella. für ihn war das ein Durchbruch: Zum ersten Mal wurde in Europa ein Verbot mit den Folgen für die Umwelt begründet. Nicht mit Gesundheitsschäden für den Menschen. "Wir haben gemerkt, dass die Bienen uns etwas zu sagen haben", sagt der 63-Jährige.

"Dass sie sterben offenbart uns, dass die Landwirtschaft zum größten Umweltzerstörer geworden ist." Im Salento stellen sich Europa und Italien trotzdem wieder taub.

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