"Mitte"-Studie:Ausländerfeindliche Einstellungen in Bayern weit verbreitet

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  • Alle zwei Jahre untersucht die Universität Leipzig in ihrer "Mitte"-Studie, wie verbreitet rechtsextreme Einstellungen in den deutschen Ländern sind.
  • Das Ergebnis für Bayern ist erschreckend: Nur in Sachsen-Anhalt ist der Zustimmungswert zu ausländerfeindlichen Einstellungen höher.

Von Sarah Kanning, München

Es sind 18 Aussagen, mit drastischem Inhalt: "Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken" oder: "Ohne Judenvernichtung würde man Hitler heute als großen Staatsmann ansehen". Mit ihnen überprüfen Forscher der Universität Leipzig in ihrer "Mitte"-Studie seit 2002 im Zwei-Jahres-Turnus, wie verbreitet rechtsextreme Einstellungen in Deutschland sind. Die Teilnehmer sollen angeben, ob sie die Aussagen ablehnen, ihnen teilweise zustimmen, oder sie bejahen.

Für Bayern sind die Ergebnisse besorgniserregend: Jeder Dritte (33,1 Prozent) hier teilt ausländerfeindliche Einstellungen, jeder Achte (12,6 Prozent) stimmt antisemitischen Aussagen zu. Damit sind ausländerfeindliche und antisemitische Einstellungen in Bayern so weit verbreitet wie in fast keinem anderen Bundesland.

Was es mit der Kontakthypothese auf sich hat

In den westlichen Bundesländern liegt die Zustimmung zu den ausländerfeindlichen Aussagen im Durchschnitt bei 20 Prozent. Nur in Sachsen-Anhalt ist sie mit 42,2 Prozent noch höher als in Bayern, wie aus der jüngsten Studie der "Mitte"-Gruppe unter Leitung von Oliver Decker und Elmar Brähler hervorgeht. In ihr haben die Autoren aus allen bisherigen Studien einen langjährigen Mittelwert der jeweiligen Einstellungen erstellt. Auch dieser Wert entspreche "dem Bild, das wir aus bisherigen Studien von Bayern hatten", sagt Studienleiter Decker. Er hält sich gerade im Rahmen einer Gastprofessur in New York auf.

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Die Ergebnisse der Forschergruppe stehen in einem eigentümlichen Gegensatz zu bisherigen wissenschaftlichen Einschätzungen über Ausländerfeindlichkeit. Vor allem zur sogenannten Kontakthypothese. Sie besagt, dass ausländerfeindliche Einstellungen abnehmen, je höher der Anteil von Ausländern an der Bevölkerung ist.

Die Kontakthypothese trifft auf alle Bundesländer zu - mit Ausnahme von Bayern. In Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Brandenburg bejahten 32,8 Prozent, 30,9 Prozent und 29,6 Prozent der Befragten die ausländerfeindlichen Aussagen. Alle drei Länder haben einen Ausländeranteil von etwa zwei Prozent. Westliche Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg mit etwa zehn Prozent Ausländeranteil kommen auf eine Zustimmung von etwa 20 Prozent. In Bayern dagegen mit seinem Ausländeranteil von 9,5 Prozent teilen ein Drittel der Befragten die Aussagen.

Kategorie "Chauvinismus" findet in Bayern die höchste Zustimmung

Außerdem interessierten sich die Wissenschaftler für den Stellenwert, den die eigene Nationalität, also alles Deutsche, für die Befragten hat. Die Kategorie "Chauvinismus" fand in Bayern mit 26,4 Prozent die höchste Zustimmung in Deutschland. Die Aussagen, die zur Auswahl gestellt wurden, lauteten zum Beispiel: "Das oberste Ziel deutscher Politik sollte es sein, Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht" oder: "Was unser Land heute braucht, ist ein hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland".

Nur Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern erreichten mit 25,8 und 25 Prozent ähnlich hohe Werte wie Bayern. Sachsen hatte in dieser Kategorie die geringsten Zustimmungswerte mit 10,7 Prozent.

Dass die Zustimmung zum Chauvinismus in Bayern am höchsten ist, kann laut Decker damit zu tun haben, dass Bayern Wert auf eine originäre Position lege - im positiven wie im negativen Sinne. "Der Leistungsanspruch etwa an Gymnasien ist Kennzeichen für eine sehr starke, fordernde Gesellschaft", sagt Decker, der auch Vorstandssprecher des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung an der Uni Leipzig ist. "Eigene Wünsche oder Bedürfnisse müssen zugunsten der gesellschaftlichen Erwartungen zurückgestellt werden." Das könne eine autoritäre Dynamik mit der Abwertung von Schwäche oder Abweichung auslösen.

Grafik Mitte-Studie // Ausländerfeindlichkeit: Für manche Bundesländer fällt die Anzahl der Probanden sehr klein aus, wie etwa für Bremen, Hamburg und das Saarland. Da die Heterogenität der Grundgesamtheit bei einer Stichprobe von unter 500 Personen die Repräsentanz aller relevanten soziodemographischen Merkmale unwahrscheinlich erscheinen lässt, gehen diese nicht in die Darstellung ein. (Foto: SZ-Grafik, Quelle: Universität Leipzig)

Rechtsextreme Einstellungen finden sich nicht nur am Rande der Gesellschaft

Die Forscher ziehen für ihre "Mitte"-Studie alle zwei Jahre repräsentative Zufallsstichproben von 2000 bis 5000 Probanden. Der langjährige Mittelwert der politischen Einstellung bezieht sich also auf insgesamt mehr als 19 000 Deutsche, die von 2002 bis 2014 für die "Mitte"-Studien befragt worden sind. Nur wenn ein Befragter durchschnittlich allen Fragen einer Kategorie zustimmt, gehen die Forscher davon aus, dass er rechtsextrem eingestellt ist. Nur dann wird seine Position als generelle Zustimmung zur jeweiligen Kategorie bewertet. Die Ergebnisse zeigen: Rechtsextreme Einstellungen lassen sich nicht nur am Rand der Gesellschaft wiederfinden.

Aber auch die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen fällt laut "Mitte"-Studie in keinem anderen Bundesland höher aus als im Freistaat. Jeder achte Befragte (12,6 Prozent) stimmte den drei Aussagen zu: "Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß." "Die Juden arbeiten mehr als andere Menschen mit üblen Tricks, um das zu erreichen, was sie wollen." "Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns."

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Es gibt allerdings auch eine gute Nachricht: Im Zwölfjahresvergleich lagen die Werte für Ausländerfeindlichkeit, rechtsextreme Einstellung und Antisemitismus in Gesamtdeutschland im Jahr 2014 auf einem historischen Niedrigwert. Davon profitieren aber offenbar nur spezielle Gruppen wie Arbeitsmigranten. Denn wie zusätzliche Aussagen im Fragebogen und Vergleiche mit bisherigen Studien zu Abwertung von Muslimen, Sinti und Roma und Flüchtlingen ergeben haben, befindet sich das Ansehen dieser ausländischen Gruppen auf einem historischen Tiefpunkt. Mehr als die Hälfte der Befragten (55,4 Prozent) stimmte der Aussage zu: "Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten." Und 43 Prozent fühlen sich durch "die vielen Muslime hier" manchmal "wie ein Fremder im eigenen Land".

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Oliver Decker, Johannes Kiess, Elmar Brähler (Hg.) Rechtsextremismus der Mitte und sekundärer Autoritarismus, Psychosozial-Verlag, Gießen, 2015

© SZ vom 07.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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