Nach Attacke gegen Fenerbahce:Wie der türkische Fußball in den Abgrund trudelt

Fenerbahce's team bus shot by gunman

Einschlag direkt am Fahrersitz: Der Mannschaftsbus von Fenerbahce Istanbul nach der Attacke.

(Foto: dpa)
  • Nach den Schüssen auf den Mannschaftsbus von Fenerbahce Istanbul hat die türkische Fußball-Liga den kommenden Spieltag abgesagt.
  • Das teilte der Präsident des nationalen Verbandes, Yildirim Demiroren, am Montag mit. Nach dem 5:1-Sieg bei Caykur Rizespor hatten Unbekannte am Samstag den Fenerbahce-Bus beschossen.
  • Über den Tathergang gibt es in der Türkei aufgeregte Spekulationen.

Von Tobias Schächter

Am Karsamstag gewann Fenerbahce Istanbul sein Meisterschaftsspiel in Rize am Schwarzen Meer souverän 5:1. Nach dem Abpfiff folgte der große Schrecken: Der Bus, in dem sich Spieler und Offizielle des türkischen Meisters befanden, wurde auf der Fahrt zum Flughafen nach Trabzon mit Schüssen attackiert und offenbar auch mit Steinen beworfen. Es gab Einschläge in der Frontscheibe und der Seitenscheibe, der Busfahrer wurde durch Splitter leicht im Gesicht verletzt.

Am Sonntag fanden Ermittler 150 Meter entfernt von der Stelle, an der der Bus von einem geistesgewärtigen Sicherheitsmann von Fenerbahce schließlich zum Stehen gebracht worden war, ein selbst gebautes Gewehr. Wer hinter dem Anschlag steckt und ob es sich um einen oder mehrere Täter handelt, wurde zunächst nicht bekannt.

Das sind die Fakten zu diesem Fall, den türkische Medien als "größten Skandal" in der Sportgeschichte des Landes bezeichneten. Am Sonntag allerdings lief der Spiel- betrieb in der Süperlig erst mal plangemäß weiter. Erst am Abend sagte der Türkische Fußballverband (TFF) die beiden kommenden Spiele von Fenerbahce ab. Der Klub selbst will bis zur Aufklärung der Tat nicht mehr auflaufen. Am Montagnachmittag sagte der nationale Fußball-Verband den kommenden Spieltag schon einmal komplett ab.

Zwischen Trabzon und Fener herrscht eine lange Feindschaft

Der Niedergang des skandalumtosten türkischen Fußballs findet kein Ende. Auch die Reaktionen auf den Vorfall lassen in einen Abgrund blicken. Zwar verurteilen alle Funktionsträger der Vereine, des Verbandes und der Politik offiziell das Ereignis. Doch obwohl über die Hintergründe noch nichts bekannt ist, blühen in den sozialen Netzwerken ebenso Verschwörungstheorien wie in manchen Medien. Weil der Vorfall sich in Trabzon abgespielt hat, sehen viele Fenerbahce-Fans radikale Anhänger von Trabzonspor als Täter.

Die Fans beider Vereine verbindet eine lange Feindschaft. In der Skandalsaison 2010/11 soll sich Fenerbahce den Meistertitel erkauft haben, Trabzonspor wurde damals Zweiter. Fener-Präsident Aziz Yildirim war wegen der "Bildung einer kriminellen Bande" zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Die Uefa hatte den Klub für zwei Jahre von ihren Wettbewerben ausgeschlossen.

Diese Sperre wurde vom Internationalen Sportsgerichtshof in Lausanne bestätigt, der Einspruch von Fenerbahce gegen das Uefa-Urteil vom Schweizer Bundesgericht abgeschmettert. Aber der nationale Fußballverband TFF hatte einen Zwangsabstieg der Großklubs Fenerbahce und Besiktas Istanbul (soll sich das Pokalfinale 2011 erkauft haben) durch Änderungen seiner Statuten verhindert - nachdem der langjährige Besiktas-Präsident Yildirim Demirören überraschend Verbandschef geworden war. Fenerbahce wurde der Titel bis heute vom TFF nicht aberkannt. Trabzonspor als damaliger Meisterschaft-Zweite beansprucht den Titel für sich.

Tiefe Verstrickungen in die Vergangenheit

Den Angriff auf den Fenerbahce-Bus nehmen nun viele zum Anlass, einen Schlussstrich unter die seltsame, bereits fast vier Jahre dauernde Aufarbeitung jenes Manipulationsskandals zu fordern. Vor ein paar Tagen hatte der erst jüngst in den Ruhestand gegangene, langjährige Uefa-Vizepräsident Senes Erzik angedeutet, von Uefa-Seite gelte der Manipulationsskandal in der Türkei als abgeschlossen. Trabzonspor hofft daher auf eine Einmischung der Fifa. Am Sonntag erklärte ein Jurist des Klubs: "Wir werden den Kampf um unsere Rechte wie bisher auf legaler Ebene kontinuierlich fortsetzen. Niemand darf uns davon abhalten."

Auf Seiten der Trabzonspor-Fans machen Verschwörungstheorien die Runde, nach denen Fenerbahce selbst den Bus-Angriff inszeniert habe, um sich als Opfer zu stilisieren. Die Verwerfungen im Fußball führen zudem zu Grabenkämpfen der türkischen Innenpolitik. Das Verfahren gegen Fener-Boss Yildirim könnte nach etlichen juristischen Winkelzügen neu aufgerollt werden.

Das beschloss ein Gericht im Januar. Yidlirim profitiert von Gesetzes- änderungen aus dem vergangenen Jahr im Zuge einer drohenden Korruptionsklage gegen mehrere Minister der Regierung des ehemaligen Ministerpräsidenten und aktuellen Staatspräsidenten Erdogan. Die Ermittlungen gegen die Minister wurden nach einem umstrittenen Parlaments- beschluss endgültig eingestellt.

Wie die damalige Regierung Erdogan inszeniert sich auch Fener-Chef Yildirim als Opfer eines Komplotts - beide vermuten hinter den jeweiligen Vorwürfen die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen. Der, einst Weggefährte von Erdogan, lebt in den USA und ist längst mit dem Staatschef verfeindet. Angeblich sollen Gülen-Anhänger den Justizapparat unterwandert haben.

In den vergangenen Monaten wurden Tausende Staatsanwälte und Richter versetzt oder entlassen, unter anderem auch jener Staatsanwalt, der den Manipulationsprozess im Fußball geführt hat. Es gibt nun sogar Stimmen, die Gülen hinter dem Bus-Beschuss vermuten. Die Idee, hinter ihm könnte bloß ein wirrer Einzeltäter stecken, ist dagegen nicht sehr weit verbreitet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: