Günter Grass' wichtigste Werke:Sechs Romane für die Ewigkeit

Günter Grass Blechtrommel Werke Bücher

Günter Grass hat Romane geschrieben, die die Zeit überdauern werden.

(Foto: AFP)

Günter Grass ist einer der wichtigsten Vertreter des "magischen Realismus", mit dem trommelnden Oskar Matzerath oder dem Satz "Ilsebill salzte nach" bleibt er in Erinnerung. Mit einigen Werken wird er immer zu den Großen der deutschen Literaturgeschichte zählen.

Von Harald Eggebrecht

Für John Irving oder Salman Rushdie ist Günter Grass ein Vorbild und zugleich einer der großen Vertreter des sogenannten "magischen Realismus". Vor allem seine Prosawerke, also die Romane der Danziger Trilogie - "Die Blechtrommel", "Katz und Maus", "Hundejahre" - , dann das monumentale Romankonvolut "Der Butt", die für Grass'sche Verhältnisse geradezu elegante Novelle "Das Treffen in Telgte" und der späte Roman "Ein weites Feld" bilden jenen Kern, aus dem Grass' literarischer Ruhm in Deutschland und in der Welt erwuchs und gewiss lange fortklingen wird.

Andere Prosabücher und Roman genannte Werke, etwa "Örtlich betäubt" über die Jahre der Studentenbewegung, "Das Tagebuch einer Schnecke" über den SPD-Wahlkampf von 1969, an dem sich Grass sehr entschieden beteiligte, oder die düstere Zukunftsvision "Die Rättin", auch die Altersschriften "Im Krebsgang" über den Untergang des Flüchtlingsschiffs Wilhelm Gustloff in den letzten Kriegstagen oder "Unkenrufe" rücken etwas in die zweite Reihe. Sie sind zwar näher an der Zeitgeschichte dran, doch ihre von Tagesaktualität geprägten und auf Aktualität zielenden Inhalte wirken schon heute etwas angegilbt.

Ein Klassiker der deutschen und der Weltliteratur wird immer "Die Blechtrommel" bleiben, die Grass in den fünfziger Jahren in Paris schrieb und die 1959 erschien. Sie brachte ihm den Preis der "Gruppe 47" ein, finanziellen Erfolg und wurde zu dem Grass-Buch schlechthin. Volker Schlöndorff hat die "Blechtrommel" 1979 sehr erfolgreich verfilmt, der Film bekam einen Oscar und die Goldene Palme in Cannes.

Erzählt wird von Oskar Matzerath, der sich der Welt der Erwachsenen verweigert und mit drei Jahren beschließt, nicht mehr zu wachsen. Seine Mutter schenkt ihm eine Blechtrommel, die für ihn zum Kommentar-, Appell-, Hilferuf- und Alarminstrument wird. Außerdem kann er bei Bedrohungen oder Kränkungen so schreien, dass es Fenster-, Brillen- und sonstige Gläser zersplittern lässt. Wie bei allen Grass-Romanen wäre es vermessen, den "Inhalt" nacherzählen zu wollen, denn der Autor liebt die Reihung und Ineinanderverschachtelung von Episoden.

So erzählt Oskar, der in einer Nervenheilanstalt sitzt, von seinen Abenteuern mit den Irrungen und Wirrungen der deutschen und polnischen Danziger vor und während des Zweiten Weltkriegs. Aber auch die Verwicklungen in seiner Familie, seinen Amouren und seinem Protest gegen die Nazis werden zum Thema.

Vor allem die Danzig-Episoden begründen den Ruf des Romans. Am Ende des zweiten Buchs beschließt Oskar, wieder zu wachsen. Auch sein Schweigegelübde löst er auf. Im dritten Buch, das ganz anders ist als die ersten beiden, hat Grass viel Autobiografisches in seinem Helden Oskar verarbeitet - etwa seine Zeit als Kunststudent in Düsseldorf oder den Parisaufenthalt.

"Katz und Maus", 1961 erschienen, ist eher eine Novelle, man könnte sie als eine Art Scherzo sehen. Selbst für Grass-Verächter gilt "Katz und Maus" als eines seiner besten Bücher. Erzählt wird die Geschichte des Außenseiters Mahlke aus der Sicht seines Schulkameraden Pilenz während des Zweiten Weltkriegs in Danzig. Mahlke, der einen auffälligen Adamsapfel hat, beweist sich als Sportskanone, wird Soldat und will schließlich desertieren angeekelt vom Krieg. Doch Schulfreund Pilenz wird zum Verräter an Mahlke. Wegen dessen spielerisch-"unmoralischem" Umgang mit dem Ritterkreuzorden und wegen einer witzig-obszönen Onanierszene wollte man das Buch als unsittlich auf den Index setzen, rechte Kreise empörten sich über die Ritterkreuzspäße. Doch "Katz und Maus" ist ein Klassiker geworden.

Auch "Hundejahre", 1963 erschienen, beschäftigt sich mit Nazizeit, Weltkrieg und dem Ungenügen der sogenannten Vergangenheitsbewältigung. Der Roman ist wieder in drei Bücher eingeteilt, doch er ist mit Abstand das erzähltechnisch komplizierteste Buch der Trilogie. Außerdem ist es bereits von jenen längeren philosophischen Gedankenspielen durchsetzt, die auf den späteren Grass hinweisen. Anhand der Hauptfiguren Eduard Amsel und Walter Matern und deren Lebensläufen rollt Grass das Panorama der deutschen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis in die Zeit des Wirtschaftswunders hinein auf. Erzählt wird aus drei verschiedenen Perspektiven, die auch ineinander verschränkt werden. Der Titel bezieht sich übrigens auf Hitlers Hund, an dessen Stammbaum Grass den Irrsinn der NS-Rassenideologie böse persifliert.

Mit "Der Butt", 1977 erschienen, entfaltet Grass das Verhältnis zwischen Mann und Frau von der Jungsteinzeit bis zur Gegenwart. Grundlage ist dabei das plattdeutsche Märchen "Vom Fischer un siner Fru". Auch hier wird auf verschiedenen Ebenen erzählt, philosophiert und nachgedacht. Kochrezepte spielen ebenso eine wichtige Rolle wie das Gleiten durch die Jahrhunderte. "Ilsebill salzte nach" wurde 2007 zum schönsten ersten Satz gekürt - ein Beleg dafür, wie Grass' Werk nachwirkt.

"Das Treffen in Telgte" schildert auf ernste und doch amüsante Weise eine Zusammenkunft wichtigster Intellektueller zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges, die über den Frieden spekulieren und diskutieren. Indem Grass als Vorbild für das Treffen die Rituale bei den Lesungen der "Gruppe 47" übernahm, liest sich das Buch auch als ironisch-liebevoller Abgesang auf diese so ungemein einflussreiche Literaturgruppierung.

Als gewissermaßen letzten weiten Blick, den Grass auf die deutsche Geschichte wirft, gilt der 1995 erschienene Roman "Ein weites Feld". Und zwar geht es um die Zeit von der Revolution 1848 bis in die damalige Gegenwart von Wende und Wiedervereinigung. In langen Gesprächen und philosophierenden Monologen erörtern der Aktenbote Theo Wuttke, der sich Fonty nennt nach seinem Vorbild Theodor Fontane, und der Spitzel Hoftaller ihre Sicht auf die deutschen Ereignisse und Verhältnisse. Ein Buch der Querverweise, der Anspielungen. Das einst Burleske, Sinnliche, Pralle des Grass'schen Schreibens und Erzählens ist hier einer eher missmutigen Gesprächsprosa gewichen. Daher waren die Kritiken sehr gespalten.

Dennoch wird dieses Roman-Sixpack insgesamt den Namen und Rang von Günter Grass immer unter den Großen der neueren Literaturgeschichte in Deutschland und in der Welt erhalten und bestimmen.

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